Streitgespräch zu Corona-Impfstoffen: "Natürlich gibt es Restrisiken"

20.11.2020, 12:27 Uhr
Freiwillige haben in Studien bereits Impfstoffe gegen das Virus geimpft bekommen. 

© Christoph Schmidt, dpa Freiwillige haben in Studien bereits Impfstoffe gegen das Virus geimpft bekommen. 

Das Coronavirus Sars-Cov-2 ist noch nicht lange bekannt. Trotzdem haben schon die ersten Personen mögliche Impfstoffe bekommen. So etwas hat es noch nie gegeben.

Gerade deswegen sind viele Menschen skeptisch, so wie Sie, Herr Voit, weswegen Sie sich auch schon an zahlreiche Medien, so auch an uns, gewandt haben. Welche Sorgen haben Sie?

Jörg Voit: Bis ein Impfstoff zum Einsatz kommen konnte, hat es bislang in der Regel mindestens vier bis zehn Jahre gedauert. Aktuell gibt es einige Faktoren, die den Prozess beschleunigen. Da gehören auch administrative Komponenten dazu und die Tatsache, dass zu einigen Impfstoffkonzepten schon Voruntersuchungen vorliegen. Aber es gibt einen Knackpunkt: Man greift zwar auf Impfstoffkonzepte zurück, die es schon gibt, die aber noch nicht in klinischen Studien, also an Menschen, getestet worden sind. Bei mRNA-Impfstoffen kann es etwa zu einem sogenannten ADE ("antibody-dependent enhancement")-Effekt kommen. Ein Beispiel: Der Patient wird geimpft und bildet daraufhin zu wenige oder nicht ausreichend wirksame Antikörper. Dann steckt er sich mit dem Virus an. Doch die Antikörper, die ihm helfen sollen, verstärken das Virus sogar. Ob so etwas stattfindet, kann man erst sehen, wenn jemand geimpft wurde und sich mit dem Virus ansteckt.

Christian Bogdan: Zunächst ist zu betonen, dass die Möglichkeit eines ADE-Effektes keine spezifische Eigentümlichkeit von mRNA-Impfstoffen ist. Vielmehr muss man sich bei jeder Impfung fragen, ob die gebildeten Antikörper tatsächlich protektiv sind, das heißt, ob sie das Virus neutralisieren und seine Ausbreitung blockieren. Der ADE-Effekt könnte prinzipiell bei jeder Impfung auftreten, was aber bei den in Deutschland zugelassenen Impfstoffen definitiv nicht der Fall ist. Selbst wenn ein Antikörper nicht in der Lage sein sollte, ein Virus zu neutralisieren, hat das nicht automatisch zur Konsequenz, dass die Infektion dadurch verstärkt wird, da durch die Impfung auch noch andere Mechanismen stimuliert werden, zum Beispiel Abwehrzellen wie T-Lymphozyten.

Jörg Voit ist praktischer Arzt und Hausarzt, niedergelassen in Nürnberg mit eigener Praxis seit 2002.

Jörg Voit ist praktischer Arzt und Hausarzt, niedergelassen in Nürnberg mit eigener Praxis seit 2002. © Anne Kleinmann

Wie weit ist da die Forschung aktuell beim Corona-Virus?

Bogdan: Die publizierten Daten aus den Phase 1- und Phase 2-Studien zeigen bereits, dass es neutralisierende Antikörper- wie auch T-Zell-Antworten auf die Impfungen gibt. Deswegen bin ich sehr optimistisch, dass in den geimpften Personen nicht lauter wertlose oder gar schädigende Antikörper gebildet werden.

Warum geht die Impfstoff-Entwicklung aktuell so schnell?

Bogdan: Das geht nur deshalb so schnell, weil die entsprechenden Methoden, Labors und Produktionsprozesse seit längerem existieren und etwa im Bereich der Tumortherapie erprobt wurden. Wichtig ist, dass die Impfstoff-Zulassung am Ende immer nach den gleichen Regeln abläuft, an den Sicherheitsanforderungen hat sich hier nichts geändert. Wenn die Daten einer klinischen Phase-3-Studie tatsächlich vorliegen, dann werden sie durch die Europäische Arzneimittelbehörde und in Deutschland durch das Paul-Ehrlich-Institut nach strengen Kriterien geprüft.

Herr Voit, würden Sie Ihren Patienten einen Impfstoff empfehlen oder haben Sie noch andere Bedenken?

Voit: Die habe ich tatsächlich. Wie will man nachweisen, ob der Impfstoff am Ende wirkt, also ob eine Person dadurch wirklich geschützt ist oder nicht? Die in den Zulassungsstudien gemessene Bildung von Antikörpern ist nicht geeignet, die Wirksamkeit nachzuweisen. Das Einzige, was einem übrig bleibt, um das herauszufinden, ist ein Feldversuch. Man impft die Leute und schaut, was passiert, wenn sie sich eine Infektion einfangen.

Christian Bogdan ist seit 2007 Direktor des Instituts für klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum Erlangen und an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist zudem Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), die in Deutschland Impfempfehlungen ausspricht.

Christian Bogdan ist seit 2007 Direktor des Instituts für klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum Erlangen und an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist zudem Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), die in Deutschland Impfempfehlungen ausspricht. © Foto: Christian Bogdan

Bogdan: In der Tat sind Antikörper zunächst nur ein messbarer Parameter für eine Immunität. In den laufenden Phase 3-Studien wird überprüft, ob sie bei den Probanden vorhanden sind und virusneutralisierend wirken. Gleichzeitig misst man bei den Studien, ob auch eine T-Lymphozyten-vermittelte Immunantwort aufgebaut wird. Schließlich wird erfasst, wie viele Fälle von Covid-19-Infektionen bei den geimpften Personen im Vergleich zu einer ungeimpften Kontrollgruppe auftreten. So kann man sehen, ob und wie gut eine Impfung wirkt.

Herr Voit, was müsste gegeben sein, damit Sie Ihren Patienten eine Impfung guten Gewissens empfehlen könnten?

Voit: Die Antworten, die ich dafür haben will, kann mir niemand geben. Man will jetzt möglichst schnell den Impfstoff in der Breite anwenden. Da herrscht großer politischer Druck, der dazu führt, dass sich alle wahnsinnig beeilen, die an der Entwicklung beteiligt sind. Doch die relevanten Informationen kriegt man nur durch Anwendungsbeobachtungen über eine längere Zeit. Solange bleiben für mich Bedenken, was die Sicherheit des Impfstoffes angeht. Ich halte es für hochriskant gerade für Leute, die ihr Leben noch vor sich haben und die selbst kaum ein persönliches Risiko haben, schwer an Covid-19 zu erkranken. Die Politik sagt zwar, dass es keine Impfpflicht geben wird, aber ich bin skeptisch, ob es nicht eine "Impfpflicht durch die Hintertür" gibt, etwa weil sich Menschen für die Aufnahme in Gemeinschaftseinrichtungen oder die Tätigkeit im Gesundheitswesen impfen lassen müssen.


Was ist mRNA? Das sollten Sie über Impfstoffe wissen


Bogdan: Da waren jetzt einige Punkte dabei, die so nicht richtig sind. Die momentanen und geplanten Phase-3-Zulassungsstudien haben mit 40 000 bis 60 000 Teilnehmern pro Studie einen Umfang, der deutlich größer ist als bei früher zugelassenen Impfungen. Das erlaubt, nicht nur die Wirksamkeit gegen das Virus zu bestimmen, sondern auch mögliche Nebenwirkungen festzustellen, die seltener sind als eins zu 100. Natürlich gibt es Restrisiken, die durch die Zulassungsstudien nicht ausgeschlossen werden können. Hier geht es letztlich um eine Risiko-Nutzen-Abwägung. Auch das muss man den Patienten sagen. Natürlich wird man sehr seltene Nebenwirkungen erst beobachten können, wenn der Impfstoff längerfristig genutzt wird. Entsprechend sind Anwendungsstudien nach der Impfstoffzulassung eine ganz wichtige Komponente der Überwachung. Wenn man aber gar nicht impft, wird es diese Nachbeobachtungen gar nicht geben können. Das gilt für jeden Impfstoff, der bisher zugelassen und empfohlen wurde.

Was sagen Sie zu einer Impfpflicht durch die Hintertür, Herr Bogdan?

Bogdan: Es gibt weder den Plan einer allgemeinen Impfpflicht noch die Absicht, die ganze Bevölkerung zu impfen. Auch die Politik hat längst verstanden, dass es wenig sinnhaft ist, Menschen zu impfen, die das nicht wollen oder die durch Covid-19 weder selbst gefährdet sind noch andere Risikogruppen gefährden. Und selbst wenn man von Anfang an große Bevölkerungsteile impfen wollen würde: Wo soll der ganze Impfstoff herkommen? Und wer soll das alles verimpfen? Selbst die Impfung von nur zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland bedeutet bereits eine gewaltige logistische Herausforderung.

Am Anfang wird es also gar nicht genug Impfstoff geben?

Bogdan: Genau. Die mangelnde Verfügbarkeit ist ein großes Thema. Insofern wird das Ziel wahrscheinlich sein, primär die Menschen zu impfen, die am stärksten durch Covid-19 gefährdet sind. Ich persönlich bin der Auffassung, dass eine Impfung nicht die Lösung für alle Probleme sein wird. Sie wird nicht von heute auf morgen die Hygienemaßnahmen ablösen können, sondern zunächst nur einen relativ kleinen Teil der Gesellschaft schützen. Dann müssen wir sehen, wie es mit der weiteren Impfstoff-Produktion und der Impflogistik klappt.

Voit: Indem man zunächst nur Personen mit einem erhöhten Krankheitsrisiko mit deren Einverständnis impft, könnten die notwendigen Anwendungsbeobachtungen erfolgen, ohne die eine Nutzen-Risiko-Bewertung nicht möglich ist.

Bogdan: Da mRNA-Impfstoffe besondere Lagerungsbedingungen erfordern, wird es notwendig werden, Impfzentren zu etablieren. Gleichzeitig braucht es auch mobile Impfteams, die etwa besonders gefährdete Menschen wie Bewohner von Altenheimen impfen. Was es aber eben auch braucht, sind Nachuntersuchungen von geimpften Personen.

Warum?

Bogdan: Damit man langfristig nachvollziehen kann, wie sich die Antikörper und die T-Zell-Immunantwort über die Zeit entwickeln und wie sich die Sicherheit der Impfstoffe darstellt. Parallel zum Aufbau der Infrastruktur und der Logistik muss also jetzt schon durchdacht werden, wie bei möglichst vielen Geimpften die Immunantwort überprüft und gegebenenfalls auftretende impfbedingte Nebenwirkungen vollständig erfasst werden können.

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