Syrien: Ein Bombardement, bei dem keiner zusieht

05.07.2018, 18:00 Uhr
Syrische Streitkräfte bombardieren die Rebellenhochburg Daraa im Süden Syriens.

© AFP PHOTO / Mohamad ABAZEED Syrische Streitkräfte bombardieren die Rebellenhochburg Daraa im Süden Syriens.

Ist das zu zynisch gedacht? In Russland läuft derzeit immer noch die Fußball-Weltmeisterschaft. Die Bürger sind ganz verzückt, denn ihr Team, die Sbornaja, ist wider Erwarten noch im Wettbewerb und darf am Samstag in Sotschi gegen Kroatien um den Einzug ins Halbfinale spielen. Könnte es eine bessere Gelegenheit als die derzeit herrschende Fußballbegeisterung geben, um ein paar heikle Gesetze durchzuwinken? Just am Eröffnungstag der WM jedenfalls beschloss die russische Regierung eine Erhöhung des Rentenalters und der Mehrwertsteuer. Das erleichtert die zunehmenden Haushaltsnöte des Landes, und von einem Aufschrei ist nichts zu merken. Die Leute sind abgelenkt.

Einfach Fakten schaffen

Gehandelt wird aber nicht nur im Innern, sondern auch auf den außenpolitischen Feldern. In Syrien wurden, wenn die Berichte zutreffen, seit Mittwoch mehr als 600 Angriffe der syrischen und der russischen Luftwaffe gegen Ziele in der Rebellenhochburg Daraa und in der Umgebung geflogen. Daraa, wo die Proteste gegen Präsident Baschar al-Assad im März 2011 begonnen hatten, ist eine der letzten Regionen in Syrien, die noch unter Kontrolle von Rebellen stehen. Die Kämpfe haben seit Wochen an Intensität zugenommen. Seit dem Scheitern von Verhandlungen am Mittwochabend wollen das syrische Regime und sein Verbündeter Russland offenbar Fakten schaffen. Es wird massiv gebombt.

Die Weltöffentlichkeit kann den vielen Verrücktheiten derzeit kaum noch folgen. US-Präsident Donald Trump sorgt fast täglich für einen neuen Aufreger. Die Europäer streiten über Flüchtlinge, als gäbe es sonst keine Sorgen mehr, und ansonsten sorgt eben die Fußball-WM für Ablenkung.

Doch auch dieses Bombardement, das keinerlei Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt, hat Folgen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) haben schon jetzt mehr als 320.000 Menschen wegen der Kämpfe ihre Häuser verlassen müssen. Rund 60.000 von ihnen sind bereits an der geschlossenen Grenze zu Jordanien gestrandet, und es werden sicher noch viel mehr werden.

Wieder zu Verstand kommen

Und in Deutschland droht gleichzeitig eine Regierungskrise wegen der Frage, ob wir ein paar Dutzend Flüchtlinge mehr, die bereits in einem anderen Land registriert sind, direkt an unsere Grenze abweisen könne? Nichts macht den Irrsinn der deutschen Debatte offenkundiger als dieses krasse Missverhältnis. Es wird Zeit, dass die Verantwortlichen in unsere Regierung, insbosondere die Vertreter aus Bayern, wieder zu Verstand kommen. Sie sollten sich um reale Probleme kümmern, nicht um Phantomschmerzen.

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