Türkei-Offensive: Syrien schickt eigene Truppen

14.10.2019, 10:45 Uhr
Syrische Regierungstruppen schwenken Nationalfahnen, während sie in die nördliche Stadt Ain Issa fahren. Syrische Regierungstruppen wurden am Montag nach einem Abkommen zwischen den Kurden und Damaskus zu den kurdischen Hochburgen im Nordosten Syriens verlegt.

© -/SANA/dpa Syrische Regierungstruppen schwenken Nationalfahnen, während sie in die nördliche Stadt Ain Issa fahren. Syrische Regierungstruppen wurden am Montag nach einem Abkommen zwischen den Kurden und Damaskus zu den kurdischen Hochburgen im Nordosten Syriens verlegt.

Wenige Tage nach Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien droht eine weitere Zuspitzung der Lage in dem Grenzgebiet. Die Regierung in Damaskus schickt nun eigene Truppen in die Region. Die syrische Armee werde im Norden der "türkischen Aggression auf syrischem Boden entgegentreten", berichtete die Staatsagentur Sana am Sonntag, ohne Details zu nennen. Die EU-Außenminister wollen am Montag in Luxemburg über mögliche Sanktionen wegen des Einmarschs türkischer Truppen beraten.

Vereinbarung zwischen Regierung und Kurdenmilizen

Die Türkei hatte die lang geplante "Operation Friedensquelle" am Mittwoch mit Angriffen auf syrische Orte entlang der gemeinsamen Grenze begonnen. Ankara betrachtet die dortigen Kurdenmilizen als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation.

Der libanesische TV-Sender Al-Mayadeen berichtete von einer Vereinbarung der Regierung in Damaskus mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF). Diese werden von der Kurdenmiliz YPG angeführt, gegen die Ankara die Offensive begonnen hatte. Als Teil der Vereinbarung würden syrische Regierungstruppen ab Montagmorgen zur türkischen Grenze verlegt. Kontrollpunkte der SDF würden geöffnet, um der Armee Zugang zur Region zu verschaffen, berichtete Al-Mayadeen unter Berufung auf kurdische Quellen.


Merkel fordert Erdogan zum Stopp der Militäroffensive in Syrien auf


Die mit Russland verbündete Regierung von Präsident Baschar al-Assad beherrscht acht Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs große Gebiete im Zentrum sowie im Westen und im Süden des Landes. Im April hatte die Regierung zudem eine Offensive gegen die letzte große Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten begonnen.

Waffenembargo im Gespräch

In Luxemburg diskutieren die Außenminister der EU-Staaten am Montag über mögliche Reaktionen auf den türkischen Militäreinsatz. Schweden hat sich im Vorfeld der Gespräche offen für ein EU-weites Waffenembargo gegen die Türkei ausgesprochen und will bei einer Verschlechterung der Lage auch Wirtschaftssanktionen oder Sanktionen gegen Einzelpersonen vorschlagen. Auch die französische Regierung hat das Thema Sanktionen aufgeworfen. Nach einer Sondersitzung des französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats am späten Sonntagabend teilte der Elysee-Palast mit, dass Frankreich seine Bemühungen verstärken werde, ein "unverzügliches Ende" der türkischen Offensive zu erwirken.

Dass es schnell eine EU-Entscheidung in Richtung Sanktionen geben wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Diplomaten in Brüssel verweisen darauf, dass die Türkei noch immer Nato-Partei sei und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise als Partner gebraucht werde. Zudem gibt es die große Hürde, dass EU-Sanktionen einstimmig beschlossen werden müssten. Als wahrscheinlich gilt deswegen, dass die EU-Staaten vorerst jeweils selber entscheiden müssen, ob sie einen Waffenexportstopp oder andere Strafmaßnahmen verhängen.

US-Regierung zieht Soldaten ab

Länder wie die Niederlande haben bereits unilateral einen Lieferstopp für Rüstungsgüter angekündigt. Deutschland hat seine Rüstungsexporte an den Nato-Partner als Reaktion auf den Einmarsch teilweise gestoppt. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich mit Blick auf das Treffen in Luxemburg zuversichtlich. Er sei sich "ziemlich sicher, dass es dazu eine geschlossene Sprache" in der EU am Montag geben werde, sagte Maas in der ARD. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach in der Süddeutschen Zeitung von einem "ersten, wichtigen Schritt". Erstrebenswert sei aber eine "gemeinsame europäische Verständigung" über weitergehende Maßnahmen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am Sonntag in einen Telefonat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum sofortigen Stopp der Militäroffensive aufgefordert. Diese war auch Thema bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Sonntagabend in Paris. Beide warnten vor einem Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat durch das Vorgehen der Türkei in Nordsyrien. Am Sonntag hatten die kurdische Autonomiebehörde und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitgeteilt, dass rund 780 Angehörige von IS-Extremisten aus einem Lager ausgebrochen seien.

Unterdessen wollte die US-Regierung mit dem Abzug von rund 1000 Soldaten aus Nordsyrien beginnen. Verteidigungsminister Mark Esper erklärte am Sonntag im US-Fernsehen, es bestehe die Gefahr, dass die USA zwischen zwei vorrückende Armeen gerieten. Einen Zeitplan nannte er nicht. Auch blieb unklar, wohin die US-Soldaten sich zurückziehen sollten.

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock forderte eine Sondersitzung des Nato-Rates wegen der Militäroffensive der Türkei. "Ein Kriegsverbrechen ist nicht weniger ein Kriegsverbrechen, ein Bruch des Völkerrechts nicht weniger ein Bruch des Völkerrechts, nur weil der Aggressor ein Nato-Mitglied ist", sagte Baerbock der dpa. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter verlangte im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag), es dürfe keinen neuen Hermes-Bürgschaften für die Türkei geben. Baerbock und Hofreiter forderten ferner, bereits genehmigte Rüstungsexporte zu stoppen. Das lehnte Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul im RND mit dem Hinweis ab, das würde "den Vertrauensschutz hiesiger Lieferfirmen verletzen und uns gegebenenfalls Schadensersatzansprüchen aussetzen".

Am Wochenende hatten in mehreren Städten Deutschlands Tausende gegen das türkische Vorgehen protestiert. Allein in Köln waren es nach Schätzungen über 10 000 Menschen. Der türkische Botschafter in Deutschland, Ali Kemal Aydin, verteidigte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" das Vorgehen seines Landes.

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