Übergangsregierung in Thüringen: Ein zwiespältiger Vorstoß

18.2.2020, 07:35 Uhr
Die frühere Thüringer Regierungschefin Christine Lieberknecht (CDU) ist als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin im Gespräch.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa Die frühere Thüringer Regierungschefin Christine Lieberknecht (CDU) ist als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin im Gespräch.

Das ist ein gewagter, ein (vielleicht zu) cleverer Coup: Nach dem Debakel vom 5. Februar, als FDP-Mann Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten gewählt wurde, ringen die Parteien in Thüringen um Auswege aus der Krise. Die Linke hat nun eine Möglichkeit aufgezeigt: Vorübergehend, so ihr Angebot, solle die frühere Regierungschefin Christine Lieberknecht von der CDU das Land führen – bis es dann, nach spätestens 70 Tagen, zu Neuwahlen kommt.

Das klingt zunächst wie ein großzügiges Angebot: Seht her, liebe CDU'ler – ihr bekämpft uns Linke erbittert und seid nicht einmal bereit, unseren beliebten Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu tolerieren. Wir aber würden sogar eine Unions-Kandidatin ins Amt bringen...

Das Angebot ist für jene CDU, wie sie sich aktuell präsentiert, allerdings vergiftet. Denn noch gilt in der Partei der doppelte Unvereinbarkeitsbeschluss: keine Bündnisse mit der AfD, keine Bündnisse mit der Linken.

Christine Lieberknecht, die von 2009 bis 2014 über die Parteigrenzen hinweg angesehene Ministerpräsidentin, könnte aber nur mit Stimmen der Linken übergangsweise in dieses Amt zurückkehren. Anders geht das angesichts der Mehrheiten nicht.Die sehen so aus: Linke 29, AfD 22, CDU 21, SPD 8, Grüne und FDP 5 Sitze – da bringen die Parteien der Mitte keine eigene Mehrheit zustande, das ist ihr Dilemma in Thüringen.

Sind da Kommunisten am Werk?

Wenn aber die Linke Lieberknecht mitwählt – dann wäre das auch eine Art von Kooperation der CDU mit der von ihr offiziell ausgegrenzten Partei. Und also eine Herausforderung für die Union, ihr Verhältnis zur SED-Nachfolgepartei zu klären: Ist die Linke wirklich jene "Rote-Socken"-Partei, als die sie von der CDU auch heute noch attackiert wird? Sind da Kommunisten am Werk, die das Land gefährlich verändern wollen? Oder bürgerlich auftretende Pragmatiker wie Bodo Ramelow, um den sich die aktuelle Auseinandersetzung ja vor allem dreht?

Es wäre dringlich, wenn die CDU diese Fragen rasch beantworten würde. Insofern ist Ramelows Coup auch eine Chance für die Union: Sie muss in Zeiten immer schwieriger Mehrheitsfindungen ohnehin generell klären, was nun im Spezialfall Thüringen auf sie zukommt. Aber ob sie das genau dann tut, wenn sie die Linke quasi ultimativ zum Handeln zwingt? Zuletzt klangen die Töne aus der Union eher wieder wie vor 20 Jahren, eher polarisierend und abgrenzend; das könnte der Druck von links noch verschärfen.

Nicht nur ihren Umgang mit der Linken, sondern auch den mit der AfD muss die CDU klären. Denn es gibt gerade im Osten zahlreiche Unionspolitiker, die den Kurs der Parteispitze kritisieren und sich Kooperationen mit den Rechtspopulisten vorstellen können. Auf kommunaler Ebene gibt es die schon – ähnlich wie mit der Linken.

Doch gerade die Vorgänge in Thüringen haben gezeigt, welche Partei die AfD in ihrem Kern ist und warum sie sich deshalb fundamental von den andere Parteien unterscheidet: Die Art und Weise, wie die Höcke-AfD die Ministerrpräsidentenwahl instrumentalisierte, um die "Blockparteien" (O-Ton AfD) vorzuführen und zu spalten – dieses Verfahren zeigte, worum es der AfD geht: um die Demontage und Zerstörung der parlamentarischen Demokratie mit deren eigenen Mitteln.

AfD agiert destruktiv

Dabei agiert sie destruktiv, ja willkürlich und zynisch: Er rate seiner Partei, Bodo Ramelow zu wählen, um ihn so zu verhindern – das empfahl Alexander Gauland der AfD. Und Parteichef Meuthen lobte gerade den Höcke-“Flügel“ - die AfD driftet ungebremst weiter nach rechtsaußen und macht so jede Partnerschaft unmöglich.

Übrigens: Warum müssen Regierungschefs in Deutschland eigentlich in geheimer Wahl gewählt werden? Eine offene Abstimmung würde da mehr Klarheit schaffen. Bei der Kür Kemmerichs wäre das Verhalten der AfD unmittelbar bei der Wahl erkennbar gewesen. Und wenn nun Christine Lieberknecht gewählt wird, dann wäre bei offener Abstimmung erkennbar, woher ihre Stimmen kommen.

Das gilt auch dann, wenn Bodo Ramelow bei der angepeilten Neuwahl wieder als Spitzenkandidat und Stimmenmagnet für die Linke antritt. Denn seine Partei hat gute, durchsichtige Gründe, die Thüringer erneut zur Wahl zu rufen: Die Linke dürfte laut Umfragen massiv dazugewinnen. Der FDP und vor allem der CDU drohen dagegen drastische Verluste. Auch deshalb dürfte die Union Ramelows Angebot der CDU-geführten Übergangsregierung erst mal skeptisch sehen. Und wir erleben in Thüringen das nächste spannende Experiment, Mehrheiten in Zeiten einer schwächelnden Mitte zu sichern.

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