Ist das laut Gutachten "Kriegsbeteiligung"?

Ukrainische Soldaten üben im US-Stützpunkt Grafenwöhr das Schießen mit Nato-Haubitzen

Matthias Niese

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2.5.2022, 15:57 Uhr
Ein US-Soldat bei einem Manöver nahe des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr. Hier werden ukrainische Soldaten nun an britischen Haubitzen des Typs M777 ausgebildet.

© Armin Weigel/dpa Ein US-Soldat bei einem Manöver nahe des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr. Hier werden ukrainische Soldaten nun an britischen Haubitzen des Typs M777 ausgebildet.

Wenn die US-Army ankündigt, auch auf deutschem Boden ukrainische Soldaten an Haubitzen auszubilden, wird man bei uns hellhörig - schließlich liegt der 233 Quadratkilometer große US-Truppenübungsplatz Grafenwöhr/Vilseck in der Oberpfalz nur 66 Kilometer Luftlinie von Nürnberg entfernt mitten in der Metropolregion. Seit Jahrzehnten leben die Anwohner dort mit den Militärübungen der Amerikaner, bei denen vor allem Panzer- und Haubitzen-Geschosse nur so durch die Luft pfeifen - derzeit häufiger denn je.

Anwohner melden mehr Schüsse und mehr Bewegung

Denn Anfang März trafen zur Verstärkung der Nato-Ostflanke zusätzliche Soldaten des 1st Armored Brigade Combat Team der 3rd Infantry Division aus Fort Stewart im US-Bundestaat Georgia am Flughafen in Nürnberg ein und fuhren nach Grafenwöhr. Außerdem wurden "aus den Depots in Europa" Fahrzeuge und Ausrüstung per Schiene und Straße nach Grafenwöhr gebracht. „Es ist zu erwarten, dass der Schieß- und Übungsbetrieb in der nächsten Zeit zunimmt“, betonte damals der Pressesprecher der US-Army in Grafenwöhr, Franz Zeilmann.

Und tatsächlich: Anwohner des riesigen US-Stützpunktes vermelden mehr Bewegung und mehr Schüsse als vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. So wird unter anderem aus dem vom Zentrum des Truppenübungsplatzes über 20 Kilometer entfernten Pressath berichtet, wie gelegentlich nach lautem Knall die Wände wackeln und der Boden bebt. Sind das schon ukrainische Soldaten?

Die Ausbildung von Soldaten könnte schon "Kriegsbeteiligung" sein

Der Sprecher des US-Verteidigungsministers, John Kirby, sagte vergangenen Freitag, das Training auf deutschem Boden habe bereits begonnen, darunter an Haubitzen. Kirby sagte allerdings auch, zu den Standorten könne er keine Angaben machen.

Diese Ausbildung auf deutschem Boden bekommt nun eine juristische Komponente: Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag besagt: Völkerrechtlich können Waffenlieferungen als Kriegseintritt gelten, wenn der Westen ukrainische Soldaten daran auch ausbildet. Die Bundesregierung könnte nun dabei helfen, indem US-Soldaten auf deutschem Boden ukrainische Soldaten an Nato-Waffen ausbilden.

In dem Gutachten heißt es: "Wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei beziehungsweise Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.“ Die Sorge von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Deutschland in den Krieg in der Ukraine hineineinzogen werden könnte, wird so wieder aktuell.

Auch Bundeswehr bestätigt Ausbildung in Grafenwöhr

Kurz vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar verließen bereits 160 Militärberater und Mitglieder der Nationalgarde aus Florida das Land und wurden "an einen anderen Standort in Europa" verlegt. Sie sollen noch vor den Truppen aus Georgia laut örtlicher Presse Ende Februar in Grafenwöhr angekommen sein.

Ukrainische Soldaten üben im US-Stützpunkt Grafenwöhr das Schießen mit Nato-Haubitzen

© Wikipedia

Dort heißt es: "Bei leichtem Schneefall hatten die Männer und Frauen der Nationalgarde aus Florida Ende November ihren Einsatz in der Ukraine begonnen. Jetzt sind die US-Soldaten in Grafenwöhr untergeschlüpft – auf höchsten Befehl."

Die Bundeswehr bestätigte inzwischen, dass die Ausbildung der ukrainischen Soldaten in Grafenwöhr stattfinden wird: Die USA werden die ukrainischen Soldaten dort an Haubitzen des britischen Typs M777 schulen. Russlands Krieg gegen die Ukraine rückt somit über Umwege ein gehöriges Stück näher an uns heran.

"Das Training ist auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern geplant", sagte Generalleutnant Kai Rohrschneider, Abteilungsleiter Führung Streitkräfte im deutschen Verteidigungsministerium. Doch läuft es schon?

So lautet die Antwort der US-Armee

Auf unsere Anfrage, mehr über das amerikanische Engagement bei der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland und Grafenwöhr zu erfahren, erhielten wir inzwischen eine erwartbare Antwort von Audra E. Calloway, Pressesprecherin der US-Armee in Europa und Afrika mit Sitz in Wiesbaden. "Aus betrieblichen Sicherheitsgründen geben wir derzeit weder Standorte frei noch gewähren wir Zugang zu Schulungen ukrainischer Truppen. Die U.S. Army Europe and Africa schult die ukrainischen Streitkräfte in Artilleriesystemen und zugehöriger Ausrüstung in US-Einrichtungen in Deutschland und wird auf der Artillerie-Erstausbildung aufbauen, die die ukrainischen Streitkräfte bereits erhalten haben."

Und weiter heißt es: "Dieses Training unterstützt die jüngsten US-Sicherheitshilfepakete, die dazu beitragen sollen, die Verteidigungsfähigkeiten und Trainingskapazitäten der Ukraine zu verbessern. Die jüngsten US-Sicherheitshilfepakete für die Ukraine umfassten 155-mm-Haubitzen, Artilleriegeschosse und AN/TPQ-26-Gegenartillerieradare, die die Fähigkeit der Ukraine stärken werden, sich gegen die erneute Offensive Russlands in der Ostukraine zu verteidigen."

Die Vereinigten Staaten hätten seit der Invasion mehr als 3,4 Milliarden US-Dollar an Sicherheitshilfe bereitgestellt, um die ukrainischen Streitkräfte zu unterstützen, weitere 33 Milliarden sind geplant. Die Vereinigten Staaten würden weiterhin verfügbare Instrumente nutzen, um die Ukraine angesichts der russischen Aggression zu unterstützen. "Wir werden weiterhin mit unseren Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten, um zusätzliche Fähigkeiten zu identifizieren und der Ukraine bereitzustellen, die es ihr ermöglichen, Russlands erneuten Angriff auf eine souveräne Nation zu besiegen", schreibt Calloway und verweist auf ein Briefing des Pentagon-Pressesekretärs.

Wird auch Hohenfels ein Ausbildungsort für Ukrainer?

Ob ukrainische Soldaten auch im ähnlich weit von Nürnberg entfernten Truppenübungsplatz Hohenfels im Landkreis Neumarkt üben werden, ist noch nicht bekannt, bislang fehlt ein konkreter Hinweis darauf. Im Januar fand dort allerdings die internationale Militärübung "Allied Spirit 2022" mit 6000 Nato-Soldaten statt, die angeblich noch nichts mit dem Truppenaufmarsch der Russen an der ukarinischen Grenze zu tun hatte.

Dieses Übungsgelände der US-Army ist 163 Quadratkilometer groß und dient der Ausbildung von Großverbänden der Nato und multinationalen Partnern, um sie laut Bundeswehr "für Landoperationen überall auf der Welt einsetzbar zu machen." Es gibt dort ein extra für Übungszwecke aufgebautes, 319 Kilometer langes Straßennetz, Städte mit mehr als 1.300 Gebäuden und ein Flugfeld. Trainiert wird dort "das hochintensive Gefecht der verbundenen Waffen". Vielleicht auch der Häuserkampf und die Guerilla-Taktik? Denkbar, dass auch Hohenfels ein Ort für die Ausbildung ukrainischer Soldaten wird.

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