US-Wahl: "Trump wird sein Leben lang nicht anerkennen, dass er verloren hat"

19.11.2020, 09:21 Uhr
US-Wahl:

© Foto: imago images/Steve Sanchez

Herr Bialecki, vor vier Jahren – nach der US-Präsidentschaftswahl 2016 – haben Sie gesagt, dass die politische Kultur der USA durch den Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump schweren Schaden genommen habe – und für 2020 schon die Messer gewetzt würden. Haben sich Ihre Erwartungen im negativen Sinne erfüllt – oder gar übererfüllt?

Martin Bialecki: Eher Letzteres. Dass es angesichts der tiefen Spaltung im Land sehr heftig werden würde, war abzusehen; dass es aber so hässlich werden würde, dass Fakten und Ratio überhaupt nichts mehr gelten und dass Demagogie und Lügen so brutal und unbeherrscht eingesetzt würden, das konnten nur die größten Pessimisten kommen sehen. Da war ich zu optimistisch.

Den Wahlkampf 2015/16 haben Sie noch als dpa-Korrespondent in Washington begleitet. Nun haben Sie den Blick von außen auf die USA – gibt es grundlegende Unterschiede zwischen dem damaligen und dem gerade gelaufenen Wahlkampf?

Martin Bialecki: Beide Wahlkämpfe verbindet, dass fast ausschließlich nach Trumps Regeln gespielt wurde. Er hat die Wirklichkeit nach seinem Willen gebeugt, er hat damals wie heute die größte Energie daraus gezogen, sich mit seiner Basis kurzzuschließen – und nirgendwo anders verschmelzen Person, Medium und Botschaft so sehr wie in Donald Trump. Das ist ein richtiger Kult geworden, dagegen muss man erst mal ankommen. Natürlich hat die Pandemie auch den 2020er Wahlkampf extrem beeinflusst, die klassischen Touren und Auftritte gab es ja nicht. Nur Trump hat das nicht geschert, aber wen wundert’s, er hat seine eigene Welt kreiert.

Joe Biden ist nun der gewählte Präsident. Haben Sie damit gerechnet?

US-Wahl:

© Foto: privat

Martin Bialecki: Es wäre leicht, jetzt „Ja“ zu sagen. Ich habe es sehr, sehr gehofft, hatte aber Zweifel. Wir haben mit Trump schon zu viel erlebt, von dem man sich dachte: Das passiert nie, das ist unmöglich – und dann kam es doch ganz anders. Trump ist trotz der Niederlage enorm weit gekommen, er hat Millionen mehr Stimmen bekommen als 2016; Ich fürchte: nicht trotz seiner Politik, sondern wegen. Dass Biden sich letztlich durchsetzen würde, fand ich erwartbar; ich hatte aber ehrlicherweise mit viel größerer Zustimmung gerechnet.

In vielen, vor allem westlichen Hauptstädten wird man aufgeatmet haben, auch in Berlin. Sind die positiven Erwartungen, die dort mit Biden verbunden werden, gerechtfertigt?

Martin Bialecki: Auf jeden Fall, aber mit Einschränkungen. Mit einer Biden-Regierung kann der Westen wieder neu zusammenarbeiten. Es wird eine Rückkehr zu gemeinsamen Werten geben, einer gemeinsamen Wahrnehmung der Wirklichkeit, multilateralen Abkommen, ähnlichen Bedrohungsszenarien. Es wird aber keine Rückkehr zur „guten alten Zeiten“ geben. Deutschland und Europa werden sehr viel mehr leisten müssen, zum Beispiel für die eigene Sicherheit. Gleichzeitig und trotzdem werden die USA selber weniger leisten – das in Deutschland politisch durchzusetzen und gut zu erklären, wird nicht einfach, ist aber enorm wichtig, weil es nicht anders funktionieren wird.

Wäre es nicht naiv, zu glauben, dass Biden als US-Präsident die Interessen anderer Nationen stärker beachtet als die seiner eigenen? Wird er seine Vorstellungen nur freundlicher formulieren?

Martin Bialecki: Es ist für keinen Staatenlenker ungewöhnlich, zunächst einmal die Interessen seines Landes zu artikulieren. Biden wird das genauso tun wie andere vor ihm auch. Er wird dabei nicht brüllen und toben und twittern – das ändert aber nichts daran, dass die USA knallharte eigene Interessen haben und verfolgen werden. Nur – man wird sich wieder zivil und inhaltlich auseinandersetzen können. Allein das halte ich für einen Gewinn.

Was wird Ihrer Einschätzung nach auf der politischen Agenda Bidens ganz oben stehen?

Martin Bialecki: Die neue US-Regierung wird gar nicht anders können, als sich zunächst extrem nach dem Primat der Pandemiebekämpfung zu richten. Bei Amtsübernahme im Januar werden die Corona-Fallzahlen in den USA entsetzlich hoch sein. Der Kampf gegen Covid-19 ist eine Priorität, Trump hat das ja längst aufgegeben, es ist eine Schande. Die zweite ist die US-Wirtschaft, die wiederum infolge von Corona heftig leidet, mit allen Folgen für die Menschen – und für potenzielle künftige Wähler.

Wird sich Biden bei der Durchsetzung seiner Agenda kompromissbereiter zeigen?

Martin Bialecki: Kompromiss finde ich hier nicht das richtige Wort, leider. Biden wird sich nach Lage der Dinge von großen Teilen seiner Agenda verabschieden müssen, die Mehrheitsverhältnisse im mächtigen Senat werden wohl nicht zu seinen Gunsten sein. Es zeichnet sich ab, dass die Republikaner eine gusseiserne Obstruktionspolitik betreiben werden; Biden soll aus ihrer Sicht am besten komplett gegen die Wand fahren, so wie sie das schon mit Barack Obama gemacht haben. „Kompromiss“ ist den Republikanern ein Schimpfwort geworden.

Angela Merkel wird sicher schnell einen guten Draht zu Biden finden – doch Sie ist nicht einmal mehr ein Jahr im Amt. Wer von den deutschen Kanzlerkandidaten wird am besten mit Biden können?

Martin Bialecki: Gibt es schon einen Kanzlerkandidaten? Von den drei Bewerbern um den CDU-Parteivorsitz hat sicher Norbert Röttgen den breitesten außenpolitischen Horizont, er hat da zuletzt erfreulich klare Kante gezeigt. Für Friedrich Merz und Armin Laschet sollte das – bei aller Unterschiedlichkeit – auch kein größeres Problem sein, schließlich hat man gemeinsame Interessen. Gleiches gilt für den amtierenden bayerischen Ministerpräsidenten.

Hat ein US-Präsident Biden Einfluss auf den deutschen Bundestagswahlkampf? Wem hilft es, wenn das transatlantische Verhältnis wieder besser wird?

Martin Bialecki: Das hilft ja zunächst einmal allen. Deutschland gehört an die Seite der USA. Der Westen ist gut beraten, seine Kräfte zu bündeln und nicht zu zerfasern, auch wenn Deutschland und die EU ihre eigenen Interessen und Möglichkeiten sicher viel klarer werden artikulieren müssen. Ich kann in diesem Zusammenhang mit Begriffen wie Äquidistanz nichts anfangen, also einem gleichen Abstand Deutschlands zu Washington und Moskau. Russland ist eine Autokratie. Einen Einfluss Bidens auf den Wahlkampf sehe ich nicht.

Eine konservative deutsche Partei hätte sich eigentlich über einen konservativen US-Präsidenten freuen müssen, was mit Trump nicht möglich war. Hilft es umgekehrt der SPD, dass Biden Demokrat ist?

Martin Bialecki: Das ist mir zu holzschnittartig, Verzeihung. Das deutsche Parteiensystem ist mit dem der USA nicht wirklich zu vergleichen, und die US-Demokraten sind absolut keine linke Partei, auch wenn sie momentan um ihre Richtung ringen. Was die SPD anbelangt, so kann ich viele sicherheits- und außenpolitische Positionen nicht mehr nachvollziehen, auch und gerade gegenüber den USA. Manche Äußerung empfinde ich als stumpf, undifferenziert und sogar als tendenziell anti-amerikanisch. Ich würde mir sehr wünschen, dass die US-Wahl dieses Denken in der SPD wieder ändert – glaube es aber angesichts der handelnden Personen eher nicht. Dabei brauchen die USA unsere Unterstützung. Wir können ja mal in Peking und Moskau nachfragen, was man dort von einem fragmentierten Westen hält.

Die amerikanische Gesellschaft wird als so gespalten wie nie beschrieben. Was kann, was muss ein Präsident Biden tun, um das zu ändern?

Martin Bialecki: Präsident aller Amerikanerinnen und Amerikaner sein. Vor allem auf die Arbeiter zugehen. Der enorm wachsenden Gruppe der Latinos klarere Angebote machen. Bessere Bildungschancen für alle ermöglichen. Versuchen, den Konflikt zwischen Stadt und Land beizulegen. Sich eindeutig gegen Rassismus und Gewalt stellen – und so vieles mehr. Es ist wirklich eine herkulische Aufgabe, niemals dürfte ein Präsident bei Amtsantritt vor größeren Herausforderungen gestanden haben. Das Problem: Die andere Seite muss diese Heilung auch wollen. Und danach sieht es gerade leider nicht aus.


Wie wichtig ist die designierte Vize-Präsidentin Kamala Harris für die neue US-Administration – sowohl innen-, als auch außenpolitisch?

Martin Bialecki: Enorm wichtig. Als Symbolfigur, als bedeutend jüngere und frischere Kraft, als Zeichen der Hoffnung und der Zukunft. Es würde mich wundern, wenn sie Harris nicht immer weiter nach vorne schieben würden, um ihre Strahlkraft und ihr Charisma so lange immer mehr zur Geltung kommen zu lassen, bis sie rechtzeitig vor 2024 die natürliche Präsidentschaftskandidatin ist. Innenpolitisch ist auch das wieder nicht unheikel, die Linken bei den Demokraten beargwöhnen Harris, wittern Neoliberalismus und große Härte. Da wird viel Überzeugungsarbeit nötig werden.

Trump will alle juristischen Hebel in Bewegung setzen, um sich doch noch zum Sieger der Wahl machen zu lassen. Sehen Sie da irgendeine Chance – oder wird am 20. Januar auf jeden Fall Joe Biden vereidigt?

Martin Bialecki: Wir sind noch immer in der Ära Trump, deswegen will ich mit Begriffen wie „auf jeden Fall“ vorsichtig sein. Ich mache mir große Sorgen. Die Weigerung Trumps und seiner charakterlosen Hintersassen, die Niederlage anzuerkennen, zersetzt die Demokratie. Das ist wie Säure. Juristisch wird über Klagen gegen angeblichen Wahlbetrug nichts zu machen sein, weil es ihn so nicht gab. Anders sieht es mit einem möglichen Versuch aus, das Kollegium der Wahlmänner, das den Präsidenten am 14. Dezember wählen wird, umzudrehen. Das wäre ein Coup, ein Staatsstreich. Trump geht es bis zuletzt nicht um die Partei oder das Land, sondern ausschließlich um sich. Er wird sein Leben lang nicht anerkennen, dass er verloren hat. Nie.

Verwandte Themen


1 Kommentar