Verband warnt: "Frauen sind nur auf dem Papier gleichberechtigt"

1.2.2021, 12:29 Uhr
Die Pandemie wirkt sich auch auf das Rollenverständnis von Frauen aus, sagt der Bundesverband berufstätiger Mütter (VBM). 

© Wolfram Steinberg, NN Die Pandemie wirkt sich auch auf das Rollenverständnis von Frauen aus, sagt der Bundesverband berufstätiger Mütter (VBM). 

Frau Spachtholz, wir leben im Jahr 2021. Viele Frauen sagen von sich, dass sie gleichberechtigt sind. Braucht es in dem Bereich überhaupt noch Engagement?

Cornelia Spachtholz: Auf dem Papier sind Frauen gleichberechtigt, im echten Leben aber nicht. Und die Pandemie zeigt uns derzeit mit einem Brennglas, wo die Herausforderungen liegen: In der "Care-Arbeit", den Gehältern und in deren Folge, den Renten. Nehmen wir nur ein Beispiel: Frauen haben zwar oft einen höheren Bildungsabschluss, doch dann stagniert die Karriere bei der Familiengründung. Oft werden sie dort in ein traditionelles Rollenverständnis zurückgeworfen. Also überflüssig ist unsere Arbeit nicht. Wir arbeiten als Verband daran, dass wir uns irgendwann auflösen können, aber davon sind wir noch weit entfernt.

Dieses Zurückwerfen in ein konservatives Rollenverständnis wurde nach Meinung vieler durch den Lockdown verschärft. Wie sehen Sie das?

Spachtholz: Dem stimme ich absolut zu. Die Verteilung ist derzeit in vielen Haushalten nicht gerecht: Viele Mütter arbeiten zuhause, kümmern sich um die Kinder und betreiben nebenher auch noch "Home Schooling". Natürlich sind Väter wesentlich aktiver als noch vor zehn Jahren. Dennoch liegt der Löwenanteil der Familienarbeit immer noch bei den Frauen.

Frauen fühlen sich und sind verantwortlich für die Familienarbeit. Allerdings bringt der Lockdown noch einen zweiten Effekt mit sich: Auch viele Väter arbeiten derzeit zuhause und werden dadurch mehr in den Alltag integriert, wodurch es zu einem "Aha-Effekt" kommt. Also sie sehen, was geleistet wird und schätzen diese Leistung mehr.

Cornelia Spachtholz wurde am 31. Oktober 1967 in Hannover geboren. Mit sechs Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Nürnberg. Nach Stationen in anderen Städten lebt und arbeitet die Diplom-Kauffrau (fh) wieder hier als Onlinemarketing Consultant für ein Verlagshaus. Zudem ist sie SPD-Mitglied, seit 2005 im Bundesverband berufstätiger Mütter (VBM) und seit 2013 deren Bundesvorsitzende. Sie hat einen Sohn.

Cornelia Spachtholz wurde am 31. Oktober 1967 in Hannover geboren. Mit sechs Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Nürnberg. Nach Stationen in anderen Städten lebt und arbeitet die Diplom-Kauffrau (fh) wieder hier als Onlinemarketing Consultant für ein Verlagshaus. Zudem ist sie SPD-Mitglied, seit 2005 im Bundesverband berufstätiger Mütter (VBM) und seit 2013 deren Bundesvorsitzende. Sie hat einen Sohn. © e-arc-tmp-20210129_143036-1.jpg, NNZ

Es gibt viele Frauen, die sich selbst dafür entscheiden, zuhause zu bleiben, um ihre Kinder aufzuziehen - ein Modell, von dem Sie abraten?

Spachtholz: Nein, wir wollen grundsätzlich niemandem sein beziehungsweise ihr Lebensmodell vorschreiben. Aktuell machen sich Frauen mit der Entscheidung, zu Hause zu bleiben, in erster Linie abhängig vom Partner wie auch vom Staat. Und Fakt ist, dass wir eine sehr hohe Trennungs- und Scheidungsrate haben und dass dann viele Frauen zu Allein- und Getrennterziehenden werden. In der Folge können viele nicht Vollzeit arbeiten gehen. Die Armut ist damit vorprogrammiert.

Das Problem ist, dass wir in den ehe- und familienpolitischen Leistungen Fehlanreize haben, die eigentlich längst in den Gleichstellungsberichten der Bundesregierung identifiziert und auch von unterschiedlichsten Expert*innen bestätigt wurden. Im Klartext heißt das also: Die politischen Entscheidungsträger*innen müssen die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit man sich auch frei für einen solchen Weg entscheiden kann.

Werden wir konkret: Welche Rahmenbedingungen meinen Sie?

Spachtholz: Wir haben als Verband berufstätiger Mütter ein Ziel-Spektrum auf unserer Webseite, in dem es um verschiedene Themen geht. Davon nenne ich jetzt mal einige Punkte: Auch eine Expert*innengruppe des Finanzministeriums hat schon vor rund zwei Jahren festgestellt, dass beispielsweise das Ehegattensplitting ein Hemmnis für die Erwerbsbeteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ist. Deshalb setzen wir uns seit unserer Verbandsgründung vor 30 Jahren für die Abschaffung des Ehegattensplittings ein und stehen für die Individualbesteuerung, wie in etlichen europäischen Ländern.

Auch die kostenlose Krankenkassen-Mitversicherung für Ehepartner ist überholt, weil auch das einen Anreiz schafft, die Erwerbstätigkeit zwischen den Partnern nicht gleich zu verteilen und Familie mit Kindern inzwischen auch vielfach ohne Ehe gelebt wird. Stattdessen sollte man lieber andere Anreize schaffen, wie beispielsweise die Elternzeit gleichwertig zwischen beiden Elternteilen aufzuteilen zur vollen Ausschöpfung des Elterngelds.

Sie sprechen jetzt aber von den klassischen Familien...

Spachtholz: Ganz und gar nicht. Wir wollen nicht eine Gruppe gegen die andere ausspielen. Familie ist für mich viel breiter gefächert und fängt da an, wo man verbindlich Verantwortung übernimmt. Das kann also auch eine Wahlfamilie sein, nicht nur die eigenen Kinder, sondern ebenso die Eltern oder die Freundinnen, die sich gegenseitig unterstützen.


Altersarmut nimmt weiter zu: DGB verlangt Kurswechsel in der Rentenpolitik


Man kann das gut in diesem Bild beschreiben: Stellen Sie sich ein Fußballfeld vor, an dessen Rand zehn Menschen stehen und versuchen, über den Zaun zu schauen, um sich das Spiel anzugucken. Die Menschen sind alle unterschiedlich groß, dick, unsportlich oder sportlich. Ihnen allen muss man eine individuelle Steighilfe und einen Schemel hinstellen, damit sie gemeinsam auf Augenhöhe sind und rüber schauen können. Und das trifft auch im wahren Leben zu, aber ich gehe noch einen Schritt weiter: Wir müssen die Menschen jeweils unterstützen, dass nicht nur alle zugucken können, sondern im besten Fall mitspielen können. Da gibt es noch viel zu tun.

Führungspositionen in Teilzeit, egal ob für Mann oder Frau, sind in vielen Unternehmen bis heute nicht möglich. Brauchen wir mehr Vorgaben der Politik?

Spachtholz: Wir vertreten die These: Effizienz statt Präsenz. Also viel mehr virtuelle Zusammenarbeit, nicht nur zu Pandemiezeiten, und vor allem mit klaren verbindlichen und transparenten Regeln und Arbeitsschutz. Wir müssen in Deutschland von der Präsenskultur wegkommen. Zudem fordern wir eine Quote für das "Gender-Top-Sharing": Das heißt, dass sich zwei verschiedene Geschlechter - denn jetzt haben wir ja nicht mehr nur Mann und Frau - eine Führungsstelle aufteilen.

Wenn wir mehr dieser Teilzeitmöglichkeiten haben, können viel mehr Frauen ihre Qualifikationen und Neigungen im Wirtschaftskreislauf einbringen und Verantwortung übernehmen. Zudem würde eine solche Regelung auch Männern helfen: Viele Väter haben den Wunsch, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, verzichten aber darauf aus Angst eines Karriereverlustes.

Um Frauen in höhere Positionen zu bringen, hat die Politik aber auch schon etwas getan: Erst vor wenigen Tagen hat das Kabinett den Gesetzentwurf über die Frauenquote für Vorstände in großen Unternehmen gebilligt.

Dieses Gesetz ist ein Meilenstein, gerade für die Frauen, die jetzt mit ihrer Qualifikation zum Zuge kommen und einen langen Weg hinter sich haben. Ich bin aber gespannt, wie lange es dann noch dauern wird, bis Frauen auch andere Frauen solidarisch befördern.

4 Kommentare