Untätigkeit und Schuldzuweisungen

Vierte Welle: Politische Streitereien werden Corona nicht besiegen

18.11.2021, 15:56 Uhr
Streitereien unter den Regierungsparteien oder heuchlerische Schuldzuweisungen durch die Union. Die noch amtierenden und zukünftigen Regierungsparteien verlieren den Blick fürs Wesentliche - die gemeinsame Bekämpfung des Coronavirus.

© imago stock&people Streitereien unter den Regierungsparteien oder heuchlerische Schuldzuweisungen durch die Union. Die noch amtierenden und zukünftigen Regierungsparteien verlieren den Blick fürs Wesentliche - die gemeinsame Bekämpfung des Coronavirus.

Es ist ein krasser Fehlstart, den die neue Koalition hinlegt, noch bevor sie im Amt ist. Die vierte Welle übertrifft ihre Geschwister bei weitem; und doch erklärt Berlin die epidemische Lage von nationaler Trageweite für beendet. Als ob das Virus sich davon beeindrucken ließe.

Damit nimmt der Bund den Länder wichtige Instrumente aus der Hand im Kampf gegen die Pandemie. Die angehenden Koalitionäre ahnten wohl, dass sie auf der falschen Spur sind. Anders lässt sich kaum erklären, dass sie hektisch das Infektionsschutzgesetz überarbeitet haben. Und jetzt streiten die Bundestagsfraktionen, als hätten sie nie zusammengearbeitet.

Das ist ein Armutszeugnis für alle Beteiligten. Für die Union, weil sie in Wahrheit noch in der Regierung ist, ihr Gesundheitsminister das Ende der epidemischen Lage angestoßen hatte, und sie jetzt Empörung heuchelt. Und für SPD, Grüne und FDP, weil sie es besser wissen sollten. Ihre Landespolitiker mühen sich mit der Realität vor Ort ab, mit den Katastrophenszenarien, die sich in den Bundesländern abzeichnen. Das letzte, was sie brauchen, ist ein unsinniger Berliner Streit.

Als hätte es die Wellen vorher nicht gegeben

Womöglich stecken dahinter andere Überlegungen, geht es um Ablenkung. Denn gewarnt waren alle, die Politik wie die Bevölkerung. Die Fachleute hatten früh die Szenarien beschrieben, die uns jetzt einholen. Ein Blick nach Österreich zeigt uns die Zukunft. Dort richten Kliniken die Triage ein, gehen zwei Bundesländer nach einem ersten Lockdown für Ungeimpfte jetzt in den Lockdown für alle.

Hätte die Politik doch auf die Fachleute gehört. Seit Wochen beschreiben sie die notwendigen Schritte von einer Impfpflicht für möglichst viele Berufsgruppen über umfassende Tests auch für Geimpfte bis hin zum Boostern. Die Antwort war erst Schweigen und dann Hektik. Es ist schön, wenn Bayern nun die Boosterimpfungen für alle freigibt, und das schon fünf Monate nach der zweiten Spritze. Und es ist folgerichtig, dass das Land eine harte 2G-Linie verhängt hat, die faktisch einem Lockdown für Ungeimpfte gleichkommt und sie endlich bewegen soll, dass sie sich ebenfalls immunisieren.

Nur ist das Land darauf nicht vorbereitet, sind die Impfzentren nicht gerüstet und auch nicht die niedergelassenen Ärzte. Es ist ein verheerendes Signal, wenn die endlich impfwilligen Ungeimpften nicht zum Zug kommen, weil sich viel zu viele in den Zentren drängen. Und es ist verheerend, wenn gleichzeitig die vulnerablen Gruppen nicht geboostert werden können, weil es an Personal und Impfstoff fehlt.

Die Republik ist in die vierte Welle gestolpert, als habe es die ersten drei Wellen nie gegeben. Und es wird nicht besser, wenn die Parteien sich nun im kleinlichen Gezänk verlieren, statt beherzt und vor allem gemeinsam zu reagieren. Nur so ließe sich die Katastrophe noch abwenden.

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