Virus soll zu Erkältung werden

Virologe Drosten will sich freiwillig mit Corona infizieren - Lauterbach widerspricht Idee

8.9.2021, 15:13 Uhr
Der Virologe und Leiter der Virologie in der Berliner Charité Prof. Dr. Christian Drosten. 

© Michael Kappeler Der Virologe und Leiter der Virologie in der Berliner Charité Prof. Dr. Christian Drosten. 

Prof. Dr. Christian Drosten ist wie so oft zu Gast im NDR Info-Podcast "Das Coronavirus-Update", der zweimal in der Woche informiert, einordnet und Hintergründe zur aktuellen Corona-Lage liefert. Der Virologe der Berliner Charité erklärt in der jüngsten Folge vom Freitag (3. September) die Lage in Deutschland und warum eine dritte Impfung für einige Bevölkerungsgruppen wichtig sei. "Wir haben eindeutig eine Bevölkerungsgruppe, die ist sehr alt. Wir wissen, die Älteren, die verlieren den Immunschutz." Und verwies auf eine Studie in der Berliner Charité, die vor kurzem durchgeführt wurde. "Neutralisierende Antikörper sind im Moment vielleicht der beste Hinweis aus dem Labor auf einen Schutz."

"Definierte Gruppen" für Dritt-Impfungen

Er erklärt weiter: "Bewohnerinnen und Bewohner von Altersheimen da wissen wir, die sind besonders gefährdet. Die verlieren den Impfschutz nach sechs Monaten besonders stark." Hier greift die notwendige dritte Impfung, welche auch als "Booster-Impfung" bezeichnet wird. Der Virologe bezeichnet sie als "absolut super". Allerdings müsse man sich in der Politik eine ethische Frage stellen. Und zwar mit Blick auf ärmere Länder: In Afrika beispielsweise haben viele Menschen noch nicht einmal eine erste Impfdosis erhalten. In Deutschland gebe es deshalb "definierte Gruppen", welche eine dritte Impfung erhalten sollen.

Blick in die nahe Zukunft

"Die endemische Situation als eine Erkältungssituation betrachten", sei langfristig das Ziel von Expertinnen und Experten. Das heißt konkret: das "Immun-Update" werde irgendwann automatisch, also durch immer wiederkehrende Kontakte mit dem Virus erfolgen. "Wir müssen in einen Zustand kommen, wo sich das Virus schleichend in der Bevölkerung ausbreiten kann und den meisten Infizierten aber nichts ausmachen wird." Dieser Zustand der "Endemizität" kann nur mit einer steigenden Impfquote erreicht werden.

Durch die "echten Infektionen", also eine Erkrankung, werde die Immunität in der Bevölkerung deutlich belastbarer, was einen enormen Vorteil darstellt. Die sogenannte Schleimhautimmunität, die durch die Impfung erzeugt wird, sorgt für deutlich mildere Verläufe der Corona-Infektion, die Antikörperreaktion lasse aber auch relativ schnell wieder nach. "Eine Infektionsimmunität ist auf Dauer robuster", so Drosten. Diese kann aber erst nach einer durchgemachten Covid-19-Infektion eintreten. Dass liege daran, dass dann körpereigene T-Zellen lokal Antikörper produzieren, erklärt der Virologe.

"Eigentlich ist es nicht das Ziel für alle Zeit immer impfen zu müssen", so Drosten mit Blick in die Zukunft. "Mit dem Virus leben lernen, nachdem über die Impfung ein Bevölkerungsschutz erreicht ist, lautet seine Devise. "Dann ist das Virus immer noch nicht weg", betont er.

Lauterbach warnt

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warnt dennoch vollständig geimpfte Personen davor, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, wie der Spiegel berichtet. "Es ist richtig, dass eine Corona-Infektion nach einer doppelten Impfung die Immunität abrundet", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Aber ich würde niemandem empfehlen, sich freiwillig zu infizieren oder eine Ansteckung auch nur zu riskieren", ergänzt er. "Auch vollständig Geimpfte können mit schweren Verläufen ins Krankenhaus kommen. Außerdem gibt es das Risiko von Long Covid auch bei Geimpften", erklärt Lauterbach. "Und drittens vergrößert eine solche Praxis die Gefahr für alle Ungeimpften auf eine riskante Art und Weise."

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warnt vollständig geimpfte Menschen davor, sich mit dem Virus zu infizieren. 

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warnt vollständig geimpfte Menschen davor, sich mit dem Virus zu infizieren.  © Kay Nietfeld/dpa

"Ich will eine Impfimmunität haben"

Der Virologe der Charité, Christian Drosten erklärte zuvor im Podcast, wie er persönlich gerne immun werden würde: "Ich will eine Impfimmunität haben und darauf aufsattelnd will ich dann aber durchaus irgendwann meine erste Allgemeininfektion und die Zweite und auch die Dritte haben, damit habe ich mich schon lange abgefunden. Und dann weiß ich, ich bin richtig langhaltig belastbar immun und werde nur noch alle paar Jahre überhaupt mal dieses Virus sehen (...) Das kann ich als relativ gesunder Erwachsener so für mich verantworten. Es gibt andere Bevölkerungsgruppen, die können das natürlich nicht. (...) Ich kann das für meine eigene Gesundheit auch nur verantworten, weil ich jetzt zweifach geimpft bin und ich muss zugeben, ich wäre gerne auch noch ein drittes Mal geimpft. (...) Meine dritte Impfdosis geht aber erstmal nach Afrika. Das Problem ist, dass wir das mit der Eigenverantwortung nicht bevölkerungsweit im Moment machen können. (...) Viele Leute können diese Verantwortung nicht übernehmen, denn sie werden im Nachhinein, wenn sie einen schweren Verlauf durchmachen mussten, sagen: 'hätte mir das jemand richtig erklärt, dann hätte ich die Eigenverantwortung anders gewählt'."

Großes Gesundheitsrisiko

Aus den Krankenhäusern berichten demnach immer wieder Ärztinnen und Ärzte von Intensivstationen, die fast nur ungeimpfte Patientinnen und Patienten behandeln müssen, die an dem Virus erkrankt sind. Sie bereuen es bitter, sich nicht haben impfen zu lassen.

Drosten betont außerdem ausdrücklich, dass Menschen, die eine Impfung bewusst ablehnen und damit in den Herbst gehen, ein sehr großes Risiko für ihre eigene Gesundheit eingingen. Die Impfquote der 12- bis 59-Jährigen müsse auf 85 Prozent und mehr steigen.

Trotzdem sei die endemische Situation, zu der es langfristig kommen soll, ein Szenario, das Mut macht.

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