Welchen Einfluss hat Social Media auf Deutschlands Wahlen?

27.3.2018, 11:44 Uhr
Welchen Einfluss hat Social Media auf Deutschlands Wahlen?

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Wahlforscher hatten über Jahrzehnte das alleinige Interpretationsmonopol inne. Schon am Wahlabend warteten sie mit ersten Interpretationen auf. Das war einmal. Heutzutage müssen riesige Datenmengen gewälzt werden, um dem Wählerverhalten auf die Schliche zu kommen, erst dann kann eine profunde Analyse erfolgen. Nur ein Beispiel: Allein 350 Millionen Tweets mussten Professor Simon Hegelich und sein Team auswerten, um die Social-Media-Aktivitäten im Bundestagswahlkampf zu untersuchen.

Diese Aktivitäten waren beachtlich, wenn nach Ansicht der Experten auch nicht wahlentscheidend: So verbreiteten sich Tweets mit dem Hashtag #MerkelMussWeg dank der freundlichen Unterstützung von Social Bots, also im Netz eingesetzter Maschinen, rasend schnell. Und sie fanden, da wird es bedenklich, auch den Weg aus den Tiefen des Netzes heraus: "Denn eine durchaus gängige Form der Manipulation besteht darin, durch besonders starke Aktivitäten in den sozialen Netzwerken Trends vorzutäuschen", heißt es in einer Mitteilung der Hans-Seidel-Stiftung, die die Studie in Auftrag gegeben hatte.

Wie die Manipulation funktioniert, ist schnell erklärt: Einige dieser Netz-Kampagnen griffen die klassischen Medien auf, "weil Journalisten dem Thema eine vermeintlich hohe Bedeutung zumessen und darüber berichten". Eine gefährliche Entwicklung, die den an der Technischen Universität München (TUM) lehrenden Hegelich nachdenklich stimmt: "Wenn Kategorien wie Kommunikation, Freundschaft, Vertrauen, Wahrheit und Diskurs nicht mehr dieselbe Bedeutung haben, wie in der Zeit vor Entstehen der Social Media, dann verändert das auch die Demokratie." Diese Aussage ist spätestens seit der Wahl Donald Trumps keine Befürchtung mehr, sondern Gewissheit. Denn Trumps Erfolg wäre ohne die digitale Revolution unvorstellbar gewesen.

Drei Parallelen zu den USA

Während des Bundestagswahlkampfes in Deutschlands stießen Hegelich und sein Team auf drei "deutliche Parallelen" zu den USA: Erstens stieg auch hierzulande die Bedeutung von Social Media signifikant an, zweitens sind rechte Netze ausgebaut worden und drittens schreitet die Manipulation der öffentlichen Meinung spür- und messbar voran.

Deutschland ist zwar noch nicht voll erfasst von der digitalen Revolution, doch die Veränderungen in der politischen Landschaft sind bereits unübersehbar. So fußt der Erfolg der AfD unter anderem auch auf deren Facebook-Aktivitäten: Dort hat die AfD mit rund 400.000 Fans doppelt so viele Unterstützer wie CDU, CSU, SPD oder Grüne. Auf den Wahlkampf bezogen, heißt das: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde "jeder deutsche Facebook-Nutzer mindestens einmal mit AfD-Inhalten in seiner Timeline konfrontiert". Zu diesen Inhalten zählte naturgemäß die Flüchtlingsdebatte.

Auch hier liefern die Forscher einen klaren Befund: Wer auf den rechten, also mit flüchtlingsfeindlichen Inhalten bestückten Seiten, unterwegs war, hat sehr viele ähnliche Posts in seinem Angebot wiedergefunden. Mehr als andersdenkende User etwa aus dem linken Spektrum. Warum? Weil die Verbindungen auf den rechten Seiten sehr eng waren, etwa dadurch, dass ein Nutzer Inhalte auf mehreren Seiten geliked hat.

Radikaler Sturkturwandel

Derzeit, so bilanziert Hegelich, erleben wir "einen radikalen Strukturwandel der Öffentlichkeit, der die Demokratie, wie wir sie kennen, grundlegend und disruptiv verändert". Immerhin ein kleines bisschen Hoffnung verbreitet der Lehrstuhlinhaber für Political Data Science an der TUM: "Ob zum Guten oder zum Schlechten, wird sich noch zeigen."

Um die Dinge zum Guten zu wenden, sollte die Politik Hegelichs Handlungsanweisung beherzigen: "Das eigentliche Ziel muss aber sein, ein Konzept zu entwickeln, wie sich die digitale Revolution gestalten lässt. Die Vorreiter, USA und China, werden kaum als Best-Practice-Beispiele taugen." Am Ende plädiert Hegele für eine Neuausrichtung der Netzpolitik: "In Deutschland hört man immer die Schlagworte ,Breitband und Medienkompetenz‘, aber das ist vermutlich nicht genug gegen ,Breitbart und Plattformökonomie‘."

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