Weltkriegs-Reparationen: Polen fühlt sich von Deutschland diskriminiert

21.8.2019, 14:48 Uhr
Neben Polens Außenminister Jacek Czaputowicz hat jetzt auch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki weitere Reparationszahlungen für die Schäden des Zweiten Weltkriegs gefordert.

© Monika Skolimowska (dpa) Neben Polens Außenminister Jacek Czaputowicz hat jetzt auch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki weitere Reparationszahlungen für die Schäden des Zweiten Weltkriegs gefordert.

Kurz vor dem 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs beklagt Polen, dass es bei den deutschen Reparationsleistungen deutlich benachteiligt worden sei. Der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz sagte in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur, bei der Entschädigung der von Deutschland angegriffenen Länder habe es "einen Mangel an grundsätzlicher Fairness" gegeben. "Polen wurde in diesem Prozess diskriminiert."

Obwohl Polen besonders stark unter den Angreifern und Besatzern des Nazi-Regimes gelitten habe, sei der Anteil an den Entschädigungszahlungen "minimal" gewesen. "Es gibt Länder, die ein Vielfaches weniger verloren haben, aber mehr Kompensation bekommen haben. Ist das in Ordnung?", fragte Czaputowicz. "Die zentrale Frage ist, ob Polen im Vergleich zu anderen Staaten fair behandelt wurde." Ausdrücklich nannte er Frankreich und die Niederlande.

Polens Ministerpräsident unterstützt die Forderung

Unterstützt wird er in seinen Forderungen auch von Polen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki: "Polen hat von Deutschland bis heute keine angemessene Kompensation für die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs bekommen. Das ist nicht fair. Dabei kann es nicht bleiben", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Polen hatte im Zweiten Weltkrieg gemessen an der Gesamtbevölkerung so viele Tote zu beklagen wie kein anderes Land. Vier bis sechs Millionen Polen kamen ums Leben - und damit etwa jeder Sechste bis Siebte. Auch der Grad der Zerstörung durch den Vernichtungskrieg der Nazis war vergleichsweise hoch. Die Hauptstadt Warschau wurde vor dem Rückzug der Wehrmacht weitgehend dem Erdboden gleich gemacht.

Bis zu 800 Milliarden Euro stehen im Raum

Die rechtskonservative PiS-Partei hat das Thema Entschädigung nach der Regierungsübernahme 2015 wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Nach früheren polnischen Berechnungen belaufen sich die von Deutschland verursachten Kriegsschäden auf etwa 800 Milliarden Euro. Eine polnische Parlamentskommission hat gerade einen neuen Bericht dazu fertiggestellt, bei dem aber noch nicht klar ist, wann er veröffentlicht wird. Am 13. Oktober finden in Polen Parlamentswahlen statt.

Am 1. September wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Gedenken an den Überfall auf Polen nach Warschau und Wielun reisen, das als erste polnische Stadt von den deutschen Angreifern bombardiert wurde. An den Zeremonien nimmt neben dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda auch US-Präsident Donald Trump teil.

Wenige Tage vor dem Jahrestag äußert sich Czaputowicz nun ausgesprochen deutlich zu dem Thema. "In Polen gibt es die Überzeugung, dass Deutschland uns Anfang der neunziger Jahre unter Druck gesetzt hat, dieses Thema nicht zur Sprache zu bringen. Deshalb kehren wir jetzt zu dem Thema zurück."

Deutschland hält das Thema mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit für rechtlich und politisch abgeschlossen. Das Auswärtige Amt verwies am Montag lediglich auf frühere Aussagen von Außenminister Heiko Maas zu dem Thema. "Juristisch (…) ist das Thema für Deutschland abgeschlossen. Aber, die Erinnerung und die Aufarbeitung (…), die wird für uns niemals abgeschlossen sein", hatte der SPD-Politiker bei seinem Polen-Besuch anlässlich des 75. Jahrestags des Warschauer Aufstands am 1. August gesagt. "Deutschland steht auch gerade moralisch zu seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und das, was es in Polen angerichtet hat."

"Das ist nicht fair", sagt Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki über die seiner Ansicht nach unzureichenden Reparationszahlungen .

"Das ist nicht fair", sagt Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki über die seiner Ansicht nach unzureichenden Reparationszahlungen . © Pawel Supernak/PAP/dpa

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass Polen keine Entschädigungen mehr zustehen. Unter anderem wird das damit begründet, dass Polen 1953 auf Reparationen verzichtet habe. Polen argumentiert dagegen, diese Erklärung sei unter sowjetischen Druck entstanden und verfassungswidrig.

Ob Polen in letzter Konsequenz auch dazu bereit wäre, rechtliche Schritte einzuleiten, sagte Czaputowicz nicht. "Es ist zu früh, darüber zu diskutieren. Die Gerichte befassen sich nur mit rechtlichen Aspekten der Angelegenheit, in dieser Situation müssen aber auch Moral und Fairness eine Rolle spielen", sagte der Außenminister. "Zu einer guten Verständigung zwischen unserer Länder gehört, dass die Polen das Gefühl haben, gerecht behandelt zu werden."

In Sachen Reparationen sieht Warschau nach Griechenland

Die polnische Regierung will auch abwarten, wie Deutschland mit den griechischen Reparationsforderungen umgeht. Die inzwischen abgewählte linke Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte die Bundesregierung per diplomatischer Note offiziell zu Verhandlungen über Reparationen aufgefordert. Eine Antwort gibt es noch nicht. Nächste Woche will der neue, konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis nach Berlin kommen. "Wir werden beobachten, wie Deutschland mit den Ansprüchen Griechenlands umgeht. Wir sprechen jedoch nicht mit Griechenland über dieses Thema", sagte Czaputowicz.

Die Linken-Politikerin Brigitte Freihold forderte die Bundesregierung auf, Polen entgegenzukommen. "Jahrelang hat die Bundesrepublik die berechtigten Forderungen der Opfer des NS-Vernichtungskriegs in Osteuropa nach Entschädigung und Wiedergutmachung abgelehnt", sagte die Bundestagsabgeordnete. "Deutschland muss endlich die Verantwortung für die unvorstellbaren Kriegsschäden übernehmen und Reparationen an die polnische Gesellschaft zahlen."

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