Wenn Kollegen Hautkontakt suchen

8.3.2015, 20:12 Uhr
Wenn Kollegen Hautkontakt suchen

© Foto: dpa

NÜRNBERG — Die Zahlen sind erschreckend. Jeder Zweite in Deutschland, in den meisten Fällen sind es Frauen, ist an seinem Arbeitsplatz schon einmal sexuell belästigt worden. Nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist jede fünfte Frau bereits gegen ihren Willen von Kollegen berührt worden.

Auch zwölf Prozent der Männer berichteten von unerwünschter körperlicher Annäherung. Und das, obwohl der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, seine Mitarbeiter zu schützen. Das Problem: Viele wissen das gar nicht.

Betriebsrat hilft

46 Prozent der Befragten kannten keine entsprechenden Schutzmaßnahmen ihrer Firma. Dabei müssen Personalabteilungen von sich aus aktiv Hilfen anbieten und zur Aufklärung beitragen.

„In der privaten Wirtschaft sind Frauenbeauftragte selten. Aber man kann sich auch an Betriebs- oder Personalräte wenden“, sagt Eva Löhner. Seit August 2014 berät sie als Frauenbeauftragte der Stadt Nürnberg Betroffene. „Die Dunkelziffer der Fälle liegt deutlich höher, das muss sich ändern.“

Sexuelle Belästigung sei eine Möglichkeit der Machtdemonstration. „Männer — natürlich nicht alle — wollen ihre Bastionen und Privilegien verteidigen“, sagt Löhner. Solange die Stellung von Frau und Mann ungleich bleibe, werde es das Phänomen geben. Dennoch würden sich zumindest mehr Frauen dagegen wehren als früher.

Obwohl das Verhalten strafrechtlich sanktioniert werden kann, sind viele unsicher, was bestraft werden kann und was nicht. „Jede Betroffene definiert das für sich selbst“, findet die Frauenbeauftragte. Dadurch ergibt sich eine Grauzone, die vor allem Männer verwirrt. „Normalerweise sollte aber jeder über genügend Intuition verfügen, wo die Grenzen seines Gegenübers liegen“, sagt Löhner. Die Aussage, die Frau sei zu empfindlich, akzeptiert sie nicht. „Das ist eine faule Ausrede.“

Juristisch ist der Begriff der sexuellen Belästigung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert. Demnach darf die Würde der betreffenden Person nicht verletzt werden. Zudem ist es verboten, ein von Einschüchterung, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld zu schaffen.

„Natürlich muss jeder Fall einzeln betrachtet werden“, erläutert Richterin Silja Steindl vom Arbeitsgericht Nürnberg. „Dennoch gilt für alle: Der Zusammenhang ist wichtig.“ Wenn der Vorgesetzte versehentlich den Arm einer Mitarbeiterin berührt, sei dies anders zu bewerten als eine Situation, in der der Vorgesetzte anzügliche Bemerkungen macht und dann den Arm anfasst. Generell sieht die Juristin aber Fortschritte beim Kampf gegen sexuelle Belästigung: „Es wird eher thematisiert als früher“, sagt sie.

In der Regel würde den Belästigern auch schneller gekündigt. „In der Arbeit hat man meistens mehr Zeugen. Kolleginnen bekommen oft etwas mit oder werden ebenfalls belästigt“, weiß Steindl. Viele Fälle von sexueller Belästigung landen allerdings gar nicht vor dem Arbeitsgericht.

„Jeder sollte immer selbst entscheiden können, ob er einen Vorfall öffentlich macht“, meint Löhner. Betroffenen, die sich bei ihr melden, rät die Frauenbeauftragte von einer direkten Konfrontation ab. „Wir hören uns beide Parteien an und finden eine Lösung.“ Idealerweise dürfe der Frau kein Nachteil entstehen, wenn sie den Belästiger anklagt. „Aber in Wirklichkeit sorgt das doch für viel Unruhe.“

Opfer brauchen Mut

In solchen Fällen ist es für die Frauen wichtig, selbstbewusst auf Situationen der sexuellen Belästigung zu reagieren, glaubt Meno Metz, fachliche Leitung beim Nürnberger Verein Aura. Seit 26 Jahren berät und coacht sie Frauen. „Viele fragen sich, ob sie sich am Arbeitsplatz wehren dürfen — und die Antwort ist: ja!“ Dafür allerdings braucht es Mut und Überwindung.

„In unseren Kursen versuchen wir Frauen beizubringen, Grenzen zu überschreiten und selbstbewusst an Dinge heranzugehen.“ Betroffene sollten Unterstützung suchen. „Viele zweifeln, ob sie nicht selbst Schuld daran haben, dass sie belästigt werden. Doch das stimmt nicht“, sagt Metz.

Sie bestärkt Frauen darin, Männer mit ihrem Verhalten zu konfrontieren. „Er muss merken, dass er auf Widerstand stößt.“ Dabei sollte man direkt benennen, was einen stört. „Egal ob es ein sexistischer Witz ist oder Blicke in den Ausschnitt.“ Auch das ist bereits sexuelle Belästigung.

Keine Kommentare