Streit um das Selbstbestimmungsgesetz

Worauf sich die Ampel einigen kann - und worauf nicht

Alexander Jungkunz

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23.8.2023, 15:55 Uhr
Präsentierten das Gesetz: Familienministerin Lisa Paus und Justizminister Marco Buschmann. 

© Michael Kappeler, dpa Präsentierten das Gesetz: Familienministerin Lisa Paus und Justizminister Marco Buschmann. 

Niemand kann sagen, dass die Ampel wenig tut. Im Gegenteil: Sie bringt eine Reform nach der anderen auf den Weg - in einem Tempo, bei dem viele den Überblick verlieren. Und mit Themen, die manche als Steilvorlage gegen die Koalition verwenden.

Das Selbstbestimmungsgesetz ist dafür ein Paradebeispiel. Es ist im Kern ein sinnvolles Vorhaben: Menschen, die mit ihrer Geschlechts-Zuordnung nicht klarkommen, können dies sehr einfach ändern - mit einem Gang zum Standesamt kann sich zum Beispiel ein als Mann Geborener, der sich als Frau, trans oder nicht-binär fühlt, dazu erklären und auch seinen Vornamen entsprechend ändern lassen.

Bisher standen vor so einem Schritt hohe bürokratische Hürden, ja Schikanen; das hatte das Bundesverfassungsgericht beanstandet. Eine Korrektur war also überfällig - und sie ist ganz im Sinne des Grundgesetzes: "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit", heißt es da in Artikel 2.

Teils übers Ziel hinaus

Wenn es um gesellschaftspolitische Reformen geht, ist sich die Ampel meist sehr viel schneller einig als bei wirtschafts- oder energiepolitischen Themen - siehe auch das Staatsbürgerschaftsrecht oder die Cannabis-Legalisierung. Bei all diesen Vorhaben prescht die Koalition nach Einschätzung von Experten teils übers Ziel hinaus: Dass nun schon 14-Jährige zwar mit Zustimmung der Sorgeberechtigten, aber ohne sonstige Prüfung oder Beratung Geschlecht und Namen ändern können, das finden manche zu weitgehend.

Es ist allerdings leicht zu durchschauende Panikmache, wenn CSU-Landesgruppenchef Dobrindt ein "Gesetz aus dem Tollhaus" angreift. Die Union (und auch die SPD in der GroKo) hat diese Reform - wie viele andere - nicht angepackt. Und: Das Vorhaben bringt sehr wenigen Menschen große Erleichterungen. Für die breite Mehrheit ändert sich überhaupt nichts. Manche schüren nun Ängste etwa vor Transpersonen, die sich Zugang zu Frauen-Saunen verschaffen. Die Erfahrung, die andere Staaten mit ähnlichen Gesetzen gemacht haben, widerlegen das eindeutig. Sicherheitsgefahren wurden gebannt - Straftäter, die ihre Identität wechseln (und abtauchen) wollen, können dies nur nach eingehender Überprüfung der Sicherheitsbehörden.

Niemand macht so einen schweren Schritt leichtfertig

Was die Ampel auf den Weg bringt, ist die Umsetzung verbriefter Menschenrechte für eine kleine Gruppe. Ist das Wechseln der Identität bei jungen Leuten "in" und wird nun gefördert, wie es Alice Schwarzer befürchtet? Niemand macht so einen schweren Schritt leichtfertig - aber die Entwicklung ist zu beobachten. Was man sich von der Ampel wünschen darf: dass sie auch bei anderen Projekten ähnlich energisch vorangeht. Sie baut nun sogar Bürokratie ab statt auf dem Weg zur Selbstbestimmung. Warum geht dieser Bürokratie-Abbau bei Reformen so zäh, die das Land wirtschaftlich voranbringen können und müssen?

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