Es kracht

Zoff in der Koalition: Söder und Aiwanger im Clinch

4.7.2021, 08:29 Uhr
Markus Söder, Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, spricht auf der Pressekonferenz nach einer Sitzung des bayerischen Kabinetts zwischen Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister und Landesvorsitzender der Freien Wähler in Bayern, und Klaus Holetschek, Gesundheitsminister von Bayern.

© Matthias Balk/dpa, NNZ Markus Söder, Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, spricht auf der Pressekonferenz nach einer Sitzung des bayerischen Kabinetts zwischen Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister und Landesvorsitzender der Freien Wähler in Bayern, und Klaus Holetschek, Gesundheitsminister von Bayern.

Es hat gedauert. Seit Wochen raunen CSU-Kabinettsmitglieder mit Empörung in der Stimme, Hubert Aiwanger wolle sich nicht gegen Corona impfen lassen. Auch Ministerpräsident Markus Söder hatte das in Pressekonferenzen einfließen lassen, wenn auch ohne Namen. Die Reaktion bei den Journalisten ließ auf sich warten. Bis jetzt.


Am Dienstag erbarmte sich endlich einer und fragte Söder nach Aiwanger, obwohl der gleich neben ihm stand. Söder reichte die Frage weiter. Er tat es erkennbar gern. Dass Aiwanger als sein Vize sich nicht impfen lässt, ärgert den CSU-Politiker. Aiwanger stotterte sich durch seine inhaltsleere Antwort, Söder schüttelte demonstrativ veständnislos den Kopf. Aber das Thema war gesetzt.
Aiwanger hat als Chef der Freien Wähler die Koalition mit der CSU mit einem schönen Bild beschrieben. Das sei so, hatte er gesagt, als lege man sich mit einem Sumoringer ins Bett. Kühn hatte er hinzugefügt, das sei deshalb nicht so schlimm, weil die Freien Wähler die CSU ordentlich abgespeckt hätten. Knapp drei Jahre ist das her. In der CSU haben sie das putzig gefunden, den Vergleich mit dem Ringer, ebenso Aiwangers steile These, er habe die CSU geschrumpft.


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Heute lachen sie nicht mehr. In der CSU wächst die Sorge, dass die Freien Wähler ihr bei der Bundestagswahl die entscheidenden Stimmen abjagen. Nicht, dass in der Partei jemand an einen Wahlsieg der Aiwanger-Truppe glaubte. Selbst in den Reihen der Freien Wähler hält sich der Glaube daran in Grenzen. Doch die Freien Wähler seien „für sieben, acht Prozent in Bayern“ gut, sagt einer aus der Führung. Stimmen, die der CSU fehlen werden, weil beide aus dem gleichen Wählertopf schöpfen.
In der CSU sieht man das offenkundig ähnlich. Markus Söder warnt vor Zweitstimmen für die Freien. Nur die CSU könne Bayern in Berlin vertreten, sagt er. Und er kontert Aiwangers Spruch von der „durchgeknallten Bundesregierung“, in der seine CSU sitzt. Wer so daherrede, sagt Söder, „bleibt besser daheim“. Woran Aiwanger nicht im Traum denkt.

Gezielte Angriffe

Das erklärt die Schärfe, mit der die CSU derzeit auf Aiwanger reagiert. Er ist Spitzenkandidat seiner Partei und der einzige Landespolitiker der Freien Wähler, der sich um ein Mandat in Berlin bewirbt. Fabian Mehring, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien, spricht von einem „konzertierten Campaining, wie es typisch ist für die CSU“: Die Partei bündelt ihr Feuer auf einige wenige. In diesem Fall vor allem auf Aiwanger. „Die schießen 500 despektierliche Bemerkungen über ihn ab und versuchen ihn als hinterwäldlerischen Bauern darzustellen“, sagt Mehring.
Fraktionschef Florian Streibl sieht das ähnlich. Wie Mehring sieht er keine Koalitionskrise. „Die Zusammenarbeit auf der parlamentarischen Ebene und im Kabinett ist sehr gut“, sagt er. Auch Streibl ordnet die CSU-Angriffe als „Wahlkampfscharmützel“ ein und geht davon aus, dass sich die Lage im Herbst nach der Wahl wieder beruhigen werde.
In der CSU spotten sie derweil, ausgerechnet Aiwanger träume von sich als Weltpolitiker. Sie verweisen darauf, dass sein Ansehen bei den Wirtschaftsbossen schlecht sei, und dass er nie seine Rolle als Landwirt abgelegt habe. So mischt er sich gerne in das Ressort von CSU-Agrarministerin Michaela Kaniber ein, zu ihrem Ärger. Dem Niederbayer ist das egal. Aiwanger positioniert sich dort, wo er Stimmen vermutet, ob das bei den Landwirten ist, den Stromtrassengegnern oder den Impfunwilligen. „Der sucht gezielt die Unzufriedenen“, sagt einer aus dem CSU-Vorstand. Und denen rede er nach dem Mund.


Aiwanger bestätigt das auf seine Weise. Nach seiner anfänglichen Sprachlosigkeit beim Impfen hat er jetzt seine Position gefunden. „Wenn ich ins gleiche Horn wie Söder blasen würde und jeden, der sich nicht impfen lässt, tendenziös in eine bestimme Ecke stelle“, sagt er, „möchte ich nicht wissen, wie viele zu komischen Parteien überlaufen würden.“ Aus seiner Sicht „müsste die CSU es eigentlich begrüßen, dass wir Menschen einbinden, die die CSU verloren hat.“
Die Freien Wähler „als Bollwerk gegen die AfD“, wie Aiwanger das nennt, das empfinden sie selbst in seiner eigenen Partei als gewagt. Die Stammwählerschaft der Freien Wähler, sagt einer, finde sich nicht bei der AfD, sondern in der Mitte. In der CSU warnen sie, Aiwanger habe keine Skrupel und keine Position; er fische in jedem Becken, auch in dem der AfD. Sie werfen ihm vor, dass er in München jeden Vorschlag Söders abnickt. Und anschließend draußen das Gegenteil erzählt. „Er ist ein Populist“, sagt ein Spitzenmann der CSU. „Ihm geht es nie um die Sache. Immer nur um die Stimmen.“

Feste Fangemeinde

Aiwangers Anhänger lassen das nicht gelten. In den sozialen Netzwerken hat der Niederbayer eine so große wie unbeirrbare Fangemeinde, die ihn für jede Aktion feiert und gegen Kritik in Schutz nimmt. Ob der 50-Jährige diesen Schutzschirm braucht, steht auf einem anderen Blatt. Aiwanger kann erstaunlich gut einstecken. „An einer robusten Person wie ihm“, sagt Florian Streibl, „perlen die Angriffe ab. Er lässt sich nicht provozieren.“
Noch. Denn auch Aiwanger hat seine Schmerzgrenze. Klar findet er, dass jeder Angriff der CSU auf ihn helfe, weil sie damit die Aufmerksamkeit auf ihn richte. Aber „diese gezielten Diffamierungskampagnen stören mich.“ Die CSU verbreite auf allen Ebenen die Unwahrheit, und sie scheue sich auch nicht, „ins Persönliche zu gehen.“ „Schlichtweg infam“ nennt der Niederbayer das.


Trotzdem gibt er sich unbeeindruckt. So sei das mit der CSU, sagt Aiwanger: „Die fühlen sich nur sicher, wenn die anderen drei Stufen unter ihnen stehen. Sitzen die anderen am Boden, ist alles okay. Sitzen sie mit am Tisch, werden sie nervös und kauen auf ihren Nägeln.“ Das zumindest ist sicher: Die Waffen streckt Aiwanger definitiv nicht. Es können noch ungemütliche Wochen werden für beide Seiten bis zur Bundestagswahl.

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