Zum Nachtisch ein paar Vorurteile

13.5.2016, 19:57 Uhr
Zum Nachtisch ein paar Vorurteile

© Foto: Pfrogner

Der Ministerin schmeckt’s ganz wunderbar: Erbsen-Minz-Suppe, Auberginenmousse, ein vegetarischer Auflauf nach irakischer Art. Und dieser Nachtisch: Kuchen mit dicker Schokoglasur und Puddingcreme, sehr mächtig, sehr fein.

Während des Essens erklärt Michaela Marksová, tschechische Arbeits- und Sozialministerin, was sie davon hielte, falls muslimische Flüchtlinge in ihr Land kommen würden: gar nichts. Tschechien sei ein christlich geprägtes Land, da passe die islamische Kultur nicht. Man müsse sich nur ansehen, wie Frauen behandelt würden — Stichwort Kopftuch. Ihr gegenüber sitzt Wiam aus Syrien, ein Tuch ist kunstvoll um die Haare drapiert und in die Stirn gezogen. Sie hat den Kuchen gebacken, den die Ministerin so genüsslich verzehrt. Andere Asylbewerber bereiteten das Übrige zu. Marksová ist zu Gast bei Refukitchen, einem interkulturellen Kochprojekt in Nürnberg.

Es ist ein — auf den ersten Blick — paradoxer Besuch. Da kommt die Ministerin eines Landes, das sich wie kaum ein anderes EU-Mitglied in der Flüchtlingskrise abgeschottet hat, und informiert sich über Integrationsprojekte. Dafür habe man bewusst Nürnberg ausgewählt, es sei eine „Vorzeigestadt“, sagt Markus Rinderspacher, SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, der mit dem Nürnberger Abgeordneten Arif Taþdelen den Tag organisiert hat.

Alte Freundschaft

Die SPD und die Tschechische Sozialdemokratische Partei verbindet eine lange Freundschaft. Selbst während des Kalten Krieges gab es Kontakte, aber immer auch Differenzen. Aktuell steht die Flüchtlingspolitik zwischen den Schwesterparteien und auch zwischen Rinderspacher und Marksová. Dabei ist sie bei weitem keine Hardlinerin in ihrem Land, Äußerungen des Präsidenten Miloš Zeman, der etwa von einer „geplanten Invasion“ spricht, gehen Marksová zu weit.

Dennoch, was sie sagt, könnte man auf einer Pegida-Kundgebung hören: Muslime? „Diese Kultur will ich nicht“, sagt sie unverblümt. Klagen von Flüchtlingen über schlechte Unterbringungen? „Für mich ist ein schlimmer Ort Auschwitz. Wenn jemand aber vor Krieg flieht und es warm hat, einen Platz zum Schlafen und etwas zu essen, muss das reichen. Was erwarten denn die?“ Markus Rinderspacher schaut bei diesen Worten ziemlich angestrengt und beeilt sich zu versichern, „zwischen unseren politischen Positionen liegen Welten. Ein Holocaust-Vergleich ist indiskutabel.“

Dennoch sei der Dialog wichtig, sagt Rinderspacher. Auch Taþdelen, dem als Muslim manche Äußerungen der Ministerin sicher sauer aufstoßen, bemüht sich um Ausgleich: Er freue sich, dass Marksová so offen sei und sich für die Nürnberger Projekte interessiere — neben Refukitchen besuchte man die Berufsschule und informierte sich bei der Stadt.

Streit um Quote

Mitunter haben die SPD-Politiker auch Verständnis: Etwa für Marksovás Klage, die EU-Kommission habe bei ihren Planungen zu Flüchtlingsquoten die kleinen Ost-Staaten nicht mit einbezogen. Ihre Rhetorik mit erneuten Bezügen zur Nazizeit ist hingegen wieder schwierig: Man habe sich bei der Quoten-Forderung wie beim Münchner Abkommen von 1938 gefühlt — es bedeutete im Prinzip das Ende der damaligen Tschechoslowakei: „Damals wurde ohne uns über uns entschieden. Und jetzt versuchte man es wieder.“ Auch da schnauft Rinderspacher tief durch.

Doch vergebens war der Besuch nicht: Sie nehme mit, wie wichtig Sprache für Integration ist, sagt Marksová. Und dass man sie parallel zur Berufsausbildung vermitteln kann. Dafür müsse man Strukturen schaffen — falls doch mal muslimische Flüchtlinge nach Tschechien kommen. In den letzten eineinhalb Jahren haben nach Regierungsangaben weniger als zehn Syrer oder Iraker einen Asylantrag gestellt.

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