Olaf Scholz stellt sich der Hauptstadtpresse

Zwei Stunden Kreuzverhör: Was der Kanzler zu Klima, China, Sterbehilfe und Freibädern sagt

Harald Baumer

Berlin-Korrespondent der NN

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14.7.2023, 14:52 Uhr
Olaf Scholz während seiner Jahrespressekonferenz.

© Michael Kappeler, dpa Olaf Scholz während seiner Jahrespressekonferenz.

AfD-Erfolge: Schon in seiner Zeit in Hamburg habe er vor über 20 Jahren erlebt, dass Rechtspopulisten 19 Prozent erreichen konnten (damals die Schill-Partei), sagt Olaf Scholz. Er empfiehlt den Deutschen „mehr Gelassenheit“, was die Diskussion um unterschiedliche Lebensentwürfe angeht. Er sei sich ganz sicher, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht besser abschneidet als bei der letzten. Von einer „Normalisierung des rechten Gedankenguts“ in der Gesellschaft kann er nichts entdecken, auch nicht angesichts der AfD-Erfolgszahlen im Osten der Republik.

Risiken minimieren

China-Strategie: Deutsche Unternehmen sind nach Feststellung des Kanzlers bereits längst dabei, das sogenannte „de-risking“ zu betreiben, also die Minimierung von Risiken. Das heißt, sie machen zwar weiterhin Geschäfte mit China, suchen aber intensiv nach zusätzlichen anderen Partnern und Lieferanten. Sie erfüllten also bereits, was die Regierung in ihrer neuen China-Strategie fordert.

Klimaziele: Von einer „Verwässerung“ der Klimaziele beim veränderten Entwurf für das Heizungsgesetz will der Kanzler nichts wissen. Deutschland sei mehr als viele andere Nationen auf dem Weg, die vereinbarten Ziele einzuhalten. Er vertraue auf die Bürger, dass sie sich bei gründlicher Betrachtung gegen fossile Brennstoffe entscheiden, wenn sie ihre Heizung erneuern müssen - und auf die Kommunen, dass sie entsprechende Wärmenetze schaffen. Manche Techniken wie die Tiefengeothermie hält er in Deutschland noch längst nicht für ausgeschöpft.

Klingelton: Mitten in der Pressekonferenz beginnt ein Handy mit dem Klingelton des Weihnachtsliedes „Jingle Bells“ zu läuten. Der Eigentümer, in der ersten Reihe sitzend, kann es auch nach längerem Herumfummeln daran nicht ausschalten und muss schließlich den Saal verlassen. Der Kanzler nimmt die Störung gelassen: „Ich glaube, das ist kein Cyber-Angriff.“

Koalitionsstreit: “Dass da so laut diskutiert worden ist, gefällt weder mir noch irgendjemandem sonst“, sagt der Kanzler zum ständigen Ärger innerhalb der Ampel-Koalition. Aber es stünden viele Veränderungen an und etliche Themen seien zum ersten Mal ernsthaft diskutiert worden. An Kompromissen führe kein Weg vorbei.

Was tun bei Gewalt in Schwimmbädern?

Migration: Scholz hofft fest darauf, dass Europa nach langem Streit endlich das vor einigen Wochen beschlossene Migrationsabkommen umsetzt, das unter anderem Verfahren bereits an den Außengrenzen vorsieht. Die Rückführung oder Abschiebung von Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, soll „kooperativ, besser und effizienter“ gestaltet werden. In der Hinsicht vertraut er auf Vereinbarungen mit den Herkunftsstaaten, die gerade intensiv verhandelt würden.

Schwimmbäder und Gewalt: Er selbst war vor über 40 Jahren zuletzt zum Schwimmen im Freibad. Aus eigener Erfahrung kann er also nicht wissen, wie es in manchen Bädern inzwischen zugeht. Aber natürlich hat er mitbekommen, dass sich Gewalt, Pöbeleien und Zerstörungen häufen. Er schließt sich der Meinung seiner Innenministerin an: „Da muss man auch handeln, zum Beispiel mit Polizei.“ Zum hohen Anteil der Tatverdächtigen und Täter mit migrantischem Hintergrund sagt er: „Wer so etwas macht, verhält sich nicht so, wie unsere Regeln sind.“

Sterbehilfe: Olaf Scholz selbst hat im Bundestag nicht zu diesem Thema abgestimmt. Er war auf einem anderen Termin, wäre aber ins Parlament geeilt, wenn es auf seine Stimme angekommen wäre. Nachdem nun keine gesetzliche Regelung geschaffen sei, müsse man sich wie bisher an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientieren. Dass der Bundestag gescheitert ist, bezeichnet er als „bedauerlich“.

Steuererhöhungen: Wäre es angesichts der gigantischen staatlichen Aufgaben nicht mal an der Zeit, über Steuererhöhungen oder Vermögenssteuer nachzudenken, fragt ein Journalist. Olaf Scholz geht in seiner Antwort nicht näher darauf ein, sondern verweist auf Maßnahmen zur Förderung von Start-Ups.

Streubomben für die Ukraine: Deutschland werde solche Munition, die völkerrechtlich verboten sei, selbst nicht vermitteln. Aber die USA habe die entsprechende Uno-Konvention (wie Russland und die Ukraine) nicht unterzeichnet. Die souveräne Entscheidung der Vereinigten Staaten, Streumunition an die Ukraine zu liefern, müsse die Bundesrepublik hinnehmen.

Urlaubsreif: Zu seinen konkreten Reisezielen und -zeiten will Olaf Scholz nichts sagen. Aber eines gesteht er ein: „Ich freue mich darauf, dass ich in Urlaub fahren kann.“ Sollte es aus politischen Gründen nicht möglich sein, könne er aber auch damit umgehen.

Versprecher: Als ihn ein schwedischer Journalist zum Beitritt seines Landes zur Nato anspricht, da antwortet Scholz versehentlich „Ich unterstütze den Nato-Beitritt der Ukraine“. Als er merkt, was er gesagt hatte, zuckte er zusammen. Denn genau das wollen die USA, Deutschland und der große Teil des Westens derzeit noch nicht. Vielleicht war der Kanzler irritiert, weil ihn der Schwede zunächst mit „Du“ angesprochen hatte, wie das in seiner eigenen Sprache üblich ist.

Zwei-Prozent-Ziel: Im Jahr 2024 will Deutschland das lange zugesagte Versprechen einhalten, dass die Verteidigungsausgaben zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Zu dem Zweck rechnet der Kanzler aber zum normalen Haushalt einen Teil des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr hinzu. In Zukunft will Scholz nicht mehr von dieser Quote abweichen („Das wird auch so bleiben“).

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