Quelle–Mitarbeiter verstehen die Euphorie nicht

3.11.2010, 08:02 Uhr
Quelle–Mitarbeiter verstehen die Euphorie nicht

© Horst Linke

Richtig sauer wird Harald F. (alle Namen geändert), wenn er die Selbstbeweihräucherungen der Politiker hört, die davon schwärmen, wie schnell doch die Krise überwunden worden sei. Auch deren Verweis auf Arbeitslosenstatistiken kann den 55-Jährigen nicht beeindrucken. Als langjähriger Mitarbeiter in der Marktforschung weiß er: „Jede Statistik kann man immer so hindrehen, dass sie ins Konzept passt.“ Tatsache sei, dass viele ehemalige Quelle-Mitarbeiter noch immer arbeitslos sind. Vor allem für die älteren Arbeitnehmer sehe es ziemlich düster aus.

Die Hoffnung, dass er als einschlägig erfahrene Fachkraft im teilweise nach Fürth verlagerten Landesamt für Statistik schon irgendwie unterkommen wird, wurde ebenso enttäuscht wie der Glaube an die Aussage seines ersten Quelle-Chefs. Dieser hatte Harald F. bei der Einstellung 1977 versprochen, sein Arbeitsplatz sei „so sicher wie die Bank von England“.

Nicht in der Statistik

Sieben Monate Qualifizierungsmaßnahmen hat Harald F. hinter sich. In dieser Zeit tauchte er in keiner Arbeitslosenstatistik auf. Weil er merkte, wie rau der Wind auf dem Arbeitsmarkt weht, hat der 55-Jährige versucht, sich möglichst breit aufzustellen. Er orientierte sich in der Immobilienbranche und jobbte aus Interesse abends auch im Callcenter. Vor der Tätigkeit am Telefon hat er seitdem höchsten Respekt. Die erfordere großes Geschick und sei total unterbewertet.

„Wenn von ursprünglich 1800 Quelle-Mitarbeitern immer noch 800 ohne Job sind, dann ist das eine Menge Holz“, dämpft er die Euphorie des Fürther Stadtoberhauptes über die wirtschaftliche Entwicklung. Allerdings schöpft Harald F. für sich selbst inzwischen wieder Mut, dass er wieder ins Berufsleben findet. Die Aussichten dafür seien jedenfalls besser als vor einem Jahr.



Quelle–Mitarbeiter verstehen die Euphorie nicht

© Harald Sippel

Keine Hoffnungen macht sich hingegen Theresa K., die 20 Jahre bei Quelle-Agenturen gearbeitet hat. Jetzt ist sie 61 und weiß: „Da nimmt einen eh keiner mehr.“ Trotzdem schreibt sie ohne Hoffnung auf Antwort jede Woche mindestens eine Bewerbung. „Sonst gibt’s kein Arbeitslosengeld.“ Und das braucht sie bis zur vorgezogenen Rente mit 63. Auch was sie dann erwartet, ist wegen der Abschläge nicht rosig: 750 Euro im Monat – und das, obwohl Theresa seit ihrem 18. Lebensjahr immer gearbeitet hat, immer in gut bezahlten Stellungen. Sie trägt es jedoch mit Fassung. „Ich spiele Lotto“, sagt die 61-Jährige und fügt verschmitzt hinzu: „Und vielleicht finde ich ja noch den Märchenprinz.“

Ehrenamtlich aktiv

Weil sich Theresa K. gerne nützlich macht, arbeitet sie ehrenamtlich im Fürther Hospizverein. Ihr Einsatz gilt schwerkranken Menschen. Keine leichte Aufgabe, aber eine schöne, wie sie selbst einräumt.

Ihre Kollegin Sonja W. kann von Glück sprechen. Die 48-Jährige hat inzwischen eine befristete Stelle gefunden. Ein Praktikum während einer Qualifizierungsmaßnahme war gewissermaßen der Türöffner. Trotz übler Erfahrungen in der Arbeitslosigkeit hat sie den Mut nie fahren lassen. Zur Aufbesserung der Haushaltskasse arbeitete auch sie im Callcenter.

Obwohl die ehemalige Großkundenbetreuerin im Quelle-Vertrieb den Niedergang des Unternehmens vorhersehen konnte, war das Ende doch bitter: „Ich brauchte ganz schnell eine billigere Wohnung und fand keine. Weil ihr nach Abzug der Nebenkosten nur noch 500 Euro im Monat zum Leben blieben, wagte sie mit großer Überwindung den Gang zur Tafel. Doch nach einstündiger Wartezeit wurde sie mit der Bemerkung abgewiesen, sie verfüge über ein zu hohes Einkommen und werde nie etwas von der Tafel bekommen, Ironie des Schicksals: Als sie sich später ehrenamtlich im Zirndorfer Familienzentrum engagieren wollte, bot man Sonja W. einen Posten bei der Tafel an.

Drohung von Abzügen

Betroffen macht es die 48-Jährige, dass man in der Arbeitslosigkeit häufig unter Druck gesetzt wird. Die Drohung von Abzügen sei allgegenwärtig und Freundlichkeit oft Fehlanzeige. Sonja W gibt zu bedenken: „Wir haben bei Quelle immer unsere Arbeit gemacht, waren vernünftig und freundlich, selbst wenn wir mal Stress hatten.“ Dass der Wirtschaftsaufschwung allen ehemaligen Quellemitarbeitern zu neuer Arbeit verhilft, glaubt die 48-Jährige nicht.



Das Problem der Arbeitsslosigkeit jenseits der 50 Jahre schildert Paul M., ehemaliger Mitarbeiter in der Quelle-Revision, so: „Geistig läuft man immer auf Hochtouren, dabei bewegt man sich tatsächlich im Leerlauf. Obwohl auch er die dramatische Lage des Unternehmens erkannt hatte blieb er bis zuletzt auf seinem Posten – „weil ich daran glaubte, noch etwas retten zu können.“ Bei der Arbeitsagentur ist diese Einstellung später auf Unverständnis gestoßen. Auch sonst fühlte sich Paul. M nicht ernst genommen. Bei den Agenturterminen habe man nur Daten abgefragt, aber keine Perspektiven eröffnet. Die persönlichen Anliegen blieben außen vor. Dennoch gibt der ehemalige Revisor den Mut nicht auf, perfektioniert nebenbei die Englisch-Kenntnisse und engagiert sich im Sportverein.

Absprung geschafft - aber ohne Abfindung

Den Absprung geschafft hat Maria L. noch vor dem Aus bei Quelle. Das war 2007, als sie zu einer privaten Reinigungsfirma wechselte. Allerdings mit deutlichen Abstrichen und ohne Abfindung. Geblieben sind die Unsicherheit des Arbeitsplatzes und die Trauer.

Fazit der Betroffenen: Wirtschaftlich mag sich die Situation für die Stadt ein Jahr nach dem Aus bei Quelle nicht so dramatisch entwickelt haben wie befüchtet, menschlich liege im Umgang mit den ehemaligen Mitarbeitern jedoch noch vieles im Argen. Dem versuchten die Kirchen mit einer Andacht und Gesprächen bei Gebäck und Kaffee entgegenzuwirken.

Die Betriebsseelsorge und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt veranstalten regelmäßig Treffen für ehemalige Quelle-Kräfte. So auch am 11. November um 18 Uhr in der Gudrunstraße 33 in der Nürnberger Südstadt. Am Tag darauf sind die Betroffenen ins Nürnberger Museum Industriekultur, Äußere Sulzbacher Straße 60–62, eingeladen. Dort soll aus Porträts und Geschichten eine Fotocollage entstehen.