Sachbuch-Tipp

Seepferdchen: Schwangere Männchen und andere spannende Fakten

3.12.2021, 14:18 Uhr
Zwei Pazifische Seepferdchen halten sich an einem Schwamm fest. Die meisten Seepferdchen leben monogam – zumindest im Meer.  

© imago images/imagebroke Zwei Pazifische Seepferdchen halten sich an einem Schwamm fest. Die meisten Seepferdchen leben monogam – zumindest im Meer.  

Sind Seepferdchen wirklich die einzigen Tiere der Welt, bei denen die Männchen schwanger werden?

Till Hein: Ja. Zumindest im engeren Sinn. Auch bei den langgezogenen, schmalen Seenadeln – engen Verwandten der Seepferdchen – tragen nicht etwa die Weibchen, sondern die Männchen die befruchteten Eier am Körper. Bei Fahnenschwanz-Seenadeln beispielsweise kleben sie am Bauch des werdenden Vaters, bei manchen Drachenkopf-Seenadeln liegen sie in einer Hautfalte versteckt.

Ausschließlich bei den Seepferdchen aber weisen die Männchen einen Brutbeutel auf, der nach der Empfängnis geschlossen wird und die Funktion von Gebärmutter samt Plazenta übernimmt. Auf dem Höhepunkt des Liebesspiels stülpt sich aus der Körpermitte des Weibchens ein längliches Organ, das an einen Penis erinnert: der Ovipositor. Damit spritzt es seine Eizellen in den Brutbeutel des Männchens, und der Partner befruchtet sie mit seinen Spermien.

Während der Schwangerschaft versorgen die werdenden Väter die Embryonen im Brutbeutel dann etwa mit Kalzium und Omega-3-Fettsäuren. Zudem schützt das väterliche Immunsystem sie vor Krankheiten.

Haben Seepferdchen Heilkräfte?

Hein: Jahrhundertelang galt getrocknetes, pulverisiertes Seepferdchen in Europa als Wundermittel gegen Haarausfall, Tollwut, Seitenstechen sowie mangelnde Libido. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) vertraut sogar bis heute auf angebliche Heilkräfte dieser Fische: zum Beispiel gegen Nierenleiden oder Impotenz. Wissenschaftliche Belege für eine tatsächliche medizinische Wirksamkeit gibt es jedoch keine.

Sind alle ausgewachsenen Seepferdchen etwa gleich groß?

Hein: Nein. Manche Arten werden kaum größer als ein menschlicher Daumennagel. Die Dickbauchseepferdchen (Hippocampus abdominalis) aus Australien dagegen erreichen eine Länge von bis zu 35 Zentimetern.

Leben Seepferdchen monogam?

Hein: In der Regel ja. Viele Seepferdchen-Pärchen bleiben im Meer ihr Leben lang zusammen, und es kommt niemals zu Seitensprüngen. Sogar ihre reproduktiven Zyklen, die durch Geschlechtshormone gesteuert werden, gleichen sich oft aneinander an: Die nächsten weiblichen Eizellen werden dann genau zu dem Zeitpunkt reif, an dem der Gatte die Geburt des gemeinsamen Nachwuchses hinter sich gebracht hat – und es kommt erst dann wieder zu Geschlechtsverkehr.

Studien in Aquarien ergaben allerdings: Bei entsprechendem Angebot paart sich so manches Seepferdchen an einem einzigen Tag auch mit mehr als zehn Artgenossen.

Wie viele Arten von Seepferdchen gibt es?

Auch im Mittelmeer leben Seepferdchen wie dieses sogenannte langschnäuzige Exemplar.  

Auch im Mittelmeer leben Seepferdchen wie dieses sogenannte langschnäuzige Exemplar.   © imago images/imagebroker/Dirscherl

Hein: Über die Jahrhunderte wurden tatsächlich mehr als 120 unterschiedliche Arten der Gattung Hippocampus (Seepferdchen) wissenschaftlich beschrieben. Viele Spezies wurden allerdings mehrfach entdeckt, wie neue Studien gezeigt haben. Und andere hat vielleicht noch nie jemand gesichtet. Denn diese Tiere sind sehr gut getarnt. Zum Beispiel können viele Seepferdchen ihre Farbe – wie Chamäleons – der Umgebung anpassen.

Manche Experten gehen davon aus, dass es mindestens 80 unterschiedliche Arten gibt. Die besonders strenge Taxonomin Sara Lourie von der McGill University in Montreal hingegen, die sich jahrelang intensiv mit der Klassifizierung von Seepferdchen befasst hat, erkennt nur 44 unterschiedliche Arten an.

Haben Seepferdchen Zähne?

Hein: Nein. Im 19. Jahrhundert erschienen in britischen Zeitungen zwar Inserate für "seahorse teeth" – also "Seepferdchen-Zähne". Doch das lag an mangelnder Bildung der Werbetexter, die Hippocampus (Seepferdchen) offensichtlich mit Hippopotamus (Flusspferd) verwechselt haben. Elfenbein-Eckzähne von Flusspferden waren damals zur Herstellung von Zahnersatz sehr begehrt. Seepferdchen dagegen haben zahnlose Mäuler – und sind dennoch sehr erfolgreiche Raubtiere. Ihre Wunderwaffe ist die Pipettenschnauze. Damit können sie Beute aus dem Hinterhalt schneller einsaugen, als Menschen mit den Augen zwinkern. Bereits Jungtiere verschlingen pro Tag bis zu 4.000 Kleinstkrebse.

Stimmt es, dass Seepferdchen gerne tanzen?

Hein: Ja. Sogar sehr gerne. Bei Sonnenaufgang kommen miteinander verbandelte Weibchen und Männchen zusammen, schmiegen ihre Schnauzen aneinander und beginnen einander leichtflossig zu umkreisen. Anmutig wiegen sie sich gemeinsam hin und her, wie im Takt einer Unterwassermusik. Auch außerhalb der Paarungszeit. Fachleute gehen davon aus, dass solche Rituale für die Paarbindung bei Seepferdchen sogar wichtiger sind als der Sex.

Sachbuch-Tipp: Till Hein: "Crazy Horse – Launische Faulpelze, gefräßige Tänzer und schwangere Männchen: Die schillernde Welt der Seepferdchen", mare-Verlag, Hamburg 2021, 240 Seiten, 22 Euro.

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