Königliche Kanalinsel

Urlaubsziel Jersey: Gut getürmt vor Frankreichs Nase

Christian Mückl

Kultur / Leben

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26.4.2023, 05:55 Uhr
Leuchtturm von St. Corbiere an Jerseys Klippen. 

© Christian Mückl Leuchtturm von St. Corbiere an Jerseys Klippen. 

Auf Jersey lässt es sich gut türmen. Vor dem Alltag, vor dem Feind und vor der Flut. Erst setzten die Engländer auf dem grünen Eiland dem Frankreich Napoleons ihre Wachtürme vor die Nase. Später schickte Hitler die Wehrmacht für seine Wahnidee eines betonierten Atlantikwalls vorbei. Heute kommen wir Touristen. Und sind willkommen bis in die Leucht- und Wehrtürme hinein, die teilweise als Ferienwohnungen gemietet werden können.

So ein Turm kann eine Insel auf einer Insel sein, die Leben rettet. Gerade dann, wenn das Bauwerk im gezeitenumpeitschten Felsenwatt vor der Küste steht, eineinhalb Wanderstunden vom Strand entfernt wie Seymour Tower.

Die vier Seelen - zwei Frauen, zwei Pferde - die sich hierher in den späten 1980ern flüchteten, können ein Lied davon singen. Beziehungsweise wiehern. Man bedenke, dass der Tidenhub vor Jersey bis zu zwölf Meter Unterschied beim Wasserstand beträgt. Jedenfalls vertat die Truppe sich mit der Uhrzeit, die Flut kam. Rettung versprach nur der Seymour-Turm.

Pferde auf dem Balkon

Gut, dass das Bauwerk auf etwa acht Metern Höhe eine Art Balkon hat. Irgendwie bekam die Damen ihre Pferde über die schmalen Treffenstufen auch tatsächlich hoch.

Nur: Wie sie am nächsten Morgen wieder herunter bekommen? Die Huftiere waren noch immer völlig verschreckt und weigerten sich. Blieb nichts anderes übrig, als zwei Bagger zur Hilfe zu holen, die eine Rampe über die Treppenstufen legten. Vergebens. Was tun?
Nun zählt Jersey zu den tierfreundlichen Ecken dieser Erde, wo man nicht nur als Wasserzeichen eine Kuh auf der 1-Pfund-Note vorfindet (auf Augenhöhe mit der rückseitigen Queen) und gemeinsam mit seinen Hunden bis weit in den Herbst hinein in den Atlantikbuchten schwimmen geht.

Auf Jersey beherrscht man auch das Pferdelatein. Das sollte die verängstigten Tiere auf dem Balkon von Seymour Tower retten. Eine Leitstute wurde zum Turm geführt. Einmal gewiehert und fertig. Die Gäule trotteten brav treppab. Gut gewiehert, Stute.

Neben den erwähnten Frauen leben heute rund 105 000 Einwohner auf Jersey. Die Insel ist mit ihren grün durchwucherten Tälern, Wiesen, Klippen und Sandstränden ein guter Vorposten Großbritanniens, aber als Kronbesitz direkt dem Königshaus unterstellt. Sie haben hier eine eigene Währung, eigene Gesetze und eine eigene Flagge weht natürlich auch im Inselwind.

Jersey ist mit neun mal 15 Kilometer Größe auf Granit und Schiefer das größte Geschwisterchen der Inselfamilie mit Guernsey, Sark und Harm. Was für eine politische Promenadenmischung: Vom Auswärtigen Amt Großbritaniens vertreten und von den britischen Streitkräften verteidigt. Als Steuerparadieschnen kein Geheimtipp mehr.

Die Mehrwertsteuer entfällt, vom Einkommen werden maximal 20 Prozent an Steuern abgeschlagen, was die Insel für gut 200 Banken und Investmentfonds recht sexy macht. Gerüchten zufolge sind mehr als 225 Milliarden Euro auf dem Eiland geparkt. Es gibt Inselbewohner, die von einer modernen Form des Schmuggels sprechen ...

Bis auf die Knochen britisch

Jersey als die südlichste und angeblich sonnigste Insel Großbritanniens wirbt damit, französisches Flair zu atmen und bis auf die Knochen britisch zu sein. Auf Tradition hält man viel. Wenn das Inselparlament tagt, dann nicht, ohne in schwere Roben zu schlüpfen und sei es, um Gesetze zu verabschieden, die es kaum woanders gibt.

Mit 50 Pfund wird zum Beispiel bestraft, wer als Haus- oder Landbesitzer nicht die Bäume oder Allee vor seinem Anwesen auf mindestens vier Meter Durchfahrthöhe zuschneidet, was jeden Sommer zu geschehen hat. Gemeindemitarbeiter messen nach.

Tatsächlich verkehren auf Jersey, das über eine ausgezeichnetes Nahverkehrsnetz verfügt, Doppeldeckerbusse wie Amphibienfahrzeuge. Letztere verbinden die Inselhauptstadt St. Helier mit dem vorgelagerten Elisabeth-Castle. Die insularen Busfahrpläne sind so attraktiv, dass man getrost auch abgelegene Ecken über die Klippenwanderwege erkunden kann und zum Diner zurückkommt.

Der Damm der Inseleisenbahn, die bis 1970 zum Leuchtturm von Corbiere verkehrte, ist heute ein Rad- und Wanderweg. Auf die Landwirtschaft hält man viel bei diesem Inselvölkchen, wo nicht die sprichwörtlich dümmsten Bauern die größten Kartoffeln haben, sondern das Ernteziel die kleinen, feinen sind: "Royals" nennen sie die majestätischen Winter-Erdäpfel zärtlich, die an den Südhängen zum Atlantik hin im Dezember gesteckt werden, im April geerntet, zuweilen mit nährstoffhaltigem Seetang gedüngt.

Fundgrube für Seetang

Da wurde dann die abgelegene Westbucht "Stinky Bay", wo sich besonders viel Tang ansammelt und nach der heute ein Craft-Beer benannt ist, zur streng organisch riechenden Fundgrube.

Was die Himmelsrichtungen betrifft, kann man bei den Bunkertouren einiges über Betonköpfe und Kriegswahn lernen. Den Bau von 140 Bunkern und 16 Tunnelsystemen ordnete Adolf Hitler bei Zwangsarbeitern und Wehrmacht an. Er selbst besuchte die Insel nie, wo sie einem sympathischen Einheimischen zufolge "zu viel essen und zu viel trinken". Sie können also nichts dafür, dass Hitler sie zu einem Lieblingsobjekt seiner Verteidigungsideen auserkor.

Wehrmachtsturm in der Bucht von St. Brelade, Jersey.

Wehrmachtsturm in der Bucht von St. Brelade, Jersey. © Christian Mückl

Hitlers Fehler: Er ließ nur die Westküste von Jersey mit Panzersperren und Bunkern betonieren. Der Westen war für ihn gleich Amerika. Die Amerikaner indes flogen, als sie dann kamen, einfach drüber hinweg, landeten in der Normandie und befreiten Jersey von der Ostküste aus.

Wie friedlich es die rund 50 deutschen Soldaten hatten, die im Tower von Greve de Lecq ihren Dienst schoben, im Pub wohnten und den Sandstrand vor der Schießscharte aus sahen, wurde ihnen wohl erst nach Kriegsende klar. Als die Amis reinratterten, taten sie angeblich genau das, was man auf Jersey gut tut: türmen.

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