Brut- und Setzzeit

Wildtier in Not? So erkennen Sie, ob ein Vogelküken Hilfe braucht

Saskia Muhs

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11.4.2024, 18:29 Uhr
Ein Amsel-Ästling, der keine Hilfe benötigt. 

© Lara Grundei Ein Amsel-Ästling, der keine Hilfe benötigt. 

Im Minutentakt schwärmen sie aus und machen sich auf die Suche nach Larven, Würmern oder anderer reichhaltiger "Babynahrung": Bei heimischen Wildtieren dreht sich in den kommenden Wochen alles um den Nachwuchs. Seit März ist Brut- und Setzzeit. Alle, die zwischen März und Mitte Juli die Natur genießen wollen, sollten ein paar Dinge beachten.

Hin und wieder kommt es im Frühling vor, dass Passanten vermeintlich verwaiste, hilflose Jungtiere finden, die im wahrsten Sinne mutterseelenallein in der Wildnis oder im Garten sitzen. Doch oft trügt der Schein: Einschreiten sollte man als Mensch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen: Denn wer ein Wildtier "rettet", tut diesem oft damit keinen Gefallen und verstößt vielleicht sogar gegen das Bundesnaturschutzgesetz, warnt Tierärztin Lara Grundei.

Grundei hat Veterinärmedizin studiert und spezialisiert sich derzeit auf heimische Wildtiere. Ihren Beruf hat Grundei ein Stück weit auch zum Hobby gemacht: In ihrer Freizeit versorgt sie Igel, Eichhörnchen und Vögel, die tatsächlich verletzt oder in Not geraten sind. Nebenher betreibt sie einen Instagram-Kanal, auf dem sich alles rund um die Bewohner unserer Gärten, Wälder und Felder dreht.

Wildtiere aufzunehmen ist grundsätzlich illegal

Dort erklärt Grundei unter anderem, wie man erkennt, ob ein Tier wirklich Hilfe braucht und wie man dabei am besten vorgeht. Das dient nicht nur dem Wohle des Tieres, es schont im Zweifel auch den Geldbeutel. Denn Fakt ist: Ein Tier einfach aus der Wildnis zu entnehmen, ist per Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) illegal und kann saftige Geldstrafen nach sich ziehen. Und selbst wer in Ausnahmefällen richtig handelt und ein Tier in Obhut nimmt, könnte für dessen Behandlungskosten herangezogen werden.



Egal ob Vogel, Eichhörnchen, Hase oder Reh: Laut Paragraf 45 (5) des Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) dürfen nur kranke oder verletzte Tiere vorübergehend aus der Natur entnommen werden, um sie gesundzupflegen. Sobald das Tier wieder gesund sind, sprich selbstständig in Freiheit leben kann, muss es dorthin wieder ausgewildert werden. Wer ein Tier in Obhut nimmt, trägt dafür die volle Verantwortung.

Der Finder oder die Finderin muss laut Gesetz sicherstellen, dass das Tier fachgerecht versorgt wird. Konkret heißt das: Das Tier als Laie zu Hause selbst aufpäppeln ist nicht erlaubt, man muss das Tier also zu einem Tierarzt oder noch besser, in eine Wildtierauffangstation bringen, so Grundei. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, ist die Aufnahme des Tieres außerdem der Naturschutzbehörde zu melden.

Wildtierstationen am Limit

Im Frühjahr, besonders in den Monaten Mai und Juni, werden enorm viele wilde Tiere, insbesondere junge Vögel, in den Auffangstationen abgegeben. Durch steigende Tierzahlen vergrößert sich auch die personelle und finanzielle Belastung. Die Pflegestellen und Auffangstationen werden größtenteils durch Spenden finanziert, dadurch sind die oft ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überlastet.

Besonders Jungvögel werden oft fälschlicherweise eingesammelt und abgegeben. Die Finder erkennen oft nicht, ob es sich tatsächlich um einen Notfall handelt oder nicht. "Ein Küken großzuziehen ist ein Vollzeitjob - die meisten von ihnen müssen tagsüber alle 30 bis 60 Minuten gefüttert werden und das über mehrere Wochen hinweg", erklärt Grundei. Jedes Tier weniger, das grundlos in der Station abgegeben wird, schont somit die Nerven der Pfleger und schafft Kapazitäten für tatsächliche Notfälle.

Nestling oder Ästling? So erkennen Sie den Unterschied

Lara Grundei wirbt deshalb auf ihrem Instagram-Account für bessere Aufklärung im Umgang mit Wildtieren. Bei Jungvögeln gibt es oft einfache Merkmale, an denen sich erkennen lässt, ob das Tier tatsächlich aus dem Nest gefallen ist und Hilfe braucht oder ob Sie das Tier ruhigen Gewissens sich selbst überlassen können.

Schritt eins: Zunächst einmal sollte man prüfen, ob das Tier offensichtlich verletzt ist. Das heißt: Gibt es sichtbare Wunden, Blutergüsse oder stehen Gliedmaßen wie Flügel oder Beine unnatürlich ab? Wenn ja, kann man das Tier in Obhut nehmen, denn dann braucht es tatsächlich Hilfe.

Ist das nicht der Fall und man beobachtet das Küken über ein paar Stunden hinweg dabei, wie es ohne Eltern am Boden sitzt, gilt es, im zweiten Schritt zu erkennen, ob es sich um einen sogenannten "Nestling" oder einen "Ästling" handelt.

Vogelarten kann man grob in Nestflüchter und Nesthocker einteilen. Zu den Nestflüchtern gehören beispielsweise Enten - hier verlassen die Küken schon bevor sie fliegen können, das Nest und erkunden ihre Umwelt. Nesthocker sind zum Beispiel Meisen, Amseln, Drosseln oder Stare. Sie leben, bis sie flügge werden, mit ihren Eltern im und am Nest.

"Eine Ausnahme ist der Spatz - der verlässt tatsächlich erst, wenn er fliegen kann, das Nest - ein flugunfähiger Spatz außerhalb des Nests braucht also in den meisten Fällen tatsächlich Hilfe", sagt Grundei.

Bei den meisten Nesthockern hingegen gehört es zum Flügge werden dazu, dass die Vogeljungen mit zunehmendem Alter das Nest zeitweise verlassen, um das Fliegen und die Nahrungssuche zu üben. Manche Menschen beobachten das und denken, die Küken seien versehentlich aus dem Nest gefallen.

Die Fußstellung ist ein entscheidendes Kriterium

Dabei ist der Unterschied leicht an den Beinen zu erkennen: Steht der Vogel auf den Beinen und hüpft herum und hat er ein bereits ein dünnes Federkleid, handelt es sich wahrscheinlich um einen Ästling, der keine Hilfe braucht. Kann der Vogel jedoch nicht auf seinen eigenen Füßen stehen und hockt fast nackt am Boden, sollte man einschreiten: "Wenn man das Nest findet (und sich sicher ist, dass es das richtige Nest ist), kann man das unverletzte Tier bedenkenlos dorthin zurücksetzen." Der menschliche Geruch, der durch das Anfassen entsteht, sei für Vögel kein Problem, da diese einen nicht sehr stark ausgeprägten Geruchssinn haben.

Findet man das Nest nicht, ist es am wichtigsten, den Nestling warmzuhalten. "Das geht in der eigenen Handfläche oder mithilfe einer lauwarmen Wärmflasche. Und mehr sollte man auch erstmal nicht tun", appelliert Grundei. Viele Finderinnen und Finder meinen es gut und versuchen dem Küken Wasser oder Nahrung einzuflößen – das sollte man auf keinen Fall tun, im schlimmsten Fall kann das tödlich enden. "Lieber vorerst gar keine Nahrung, als die falsche Nahrung", fasst sie zusammen. "Bitte auch nicht auf jeden Tipp aus dem Internet hören, hier finden sich auch jede Menge Falschinformationen".

Ist das Tier in Sicherheit und aufgewärmt, sollte man sich möglichst schnell um die fachgerechte Unterbringung kümmern. Eine gute erste Anlaufstelle ist die lokale Wildtierhilfe, zum Beispiel der Wildtierhilfe Mittelfranken e.V.. In Facebookgruppen finden sich oft private Pflegestellen - wie seriös die aber tatsächlich sind, ist nur schwer abschätzbar, warnt Grundei. Bei anderen Tierarten wie Greifvögeln, Hasen oder Füchsen könne man sich auch jederzeit Rat beim örtlichen Jäger einholen. Dessen Kontakt kann man zum Beispiel über die lokale Polizeidienststelle in Erfahrung bringen.

Im Zweifel: H-A-S-E

Als kleine Eselsbrücke für das auf den ersten Blick umfangreiche Herangehensweise, kann man sich das Wort "Hase" merken, so ein Tipp der Tierärztin.

H - steht für Hilfsbedürftigkeit überprüfen

A - Anlaufstelle, zum Beispiel eine Auffangstation ausfindig machen und kontaktieren

S - steht für "Sichern", also das Einfangen/Aufnehmen des Tieres, wobei man auch an den eigenen Schutz denken sollte. Denn wilde Tiere können beißen oder auch Krankheiten und Parasiten übertragen.

E - Eigenverantwortung: Wer das Tier aufnimmt, ist für dessen Unterbringung und gegebenenfalls auch Behandlungskosten verantwortlich.

Die Brutzeit geht insgesamt von März bis August. Wer sich also künftig an diese Regeln hält, tut Wildtier und Auffangstationen etwas Gutes. Denn ob ein Tier in einer Auffangstation überlebt, ist alles andere als sicher, sagt Grundei. Denn nur rund die Hälfte der abgegebenen Tiere werden wieder so gesund, dass man sie zurück in die Natur entlassen kann. Ist das nicht möglich, müssen sie in den meisten Fällen eingeschläfert werden, da laut Bundesnaturschutzgesetz Wildtiere nicht dauerhaft in Gefangenschaft gehalten werden dürfen".

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