Ein Wohntraum in Pistaziengrün
13.07.2020, 20:13 UhrWenn zwei Straßen im spitzen Winkel aufeinandertreffen, dann stellt das den Architekten, der das eigenwillig geschnittene Grundstück zu beplanen hat, gerne mal vor Herausforderungen. Meistert der Planer die Aufgabe, dann sind so genannten "Stirnhäuser" indes eine wahre Bereicherung für das Straßenbild, man denke etwa an das (leider kriegszerstörte) Toplerhaus in der Sebalder Altstadt oder das weltberühmte Flatiron Building in New York City.
1906 bekam auch der Nürnberger Stadtteil Gostenhof, der damals noch weit weniger "hip" war als heute, sein wohl exzentrischstes Stirnhaus: Johann Dorner fiel die Aufgabe zu, das dreieckige Grundstück an der Einmündung der Hesse- in die Knauerstraße mit einem Mietshaus zu bebauen. Um den zur Verfügung stehenden Raum ideal zu nutzen, ordnete Dorner an den Straßen je zwei Flügel an, die er durch einen kurzen Querriegel verband.
Der Clou: Dorner fasste die Ecken gegen die Straßenkreuzung mit zwei gedrungenen Türmen ein und spannte dazwischen abgerundete Balkone mit Kunstschmiedegeländern auf. Dadurch erhielt der Reigen der üppig gegliederten Fassaden und Dachlandschaften des Karrees einen fulminanten Abschluss.
Zwar sind die Quartiere rund um das Gebäude durchaus reich an Mietshäusern von außergewöhnlich hoher gestalterischer Qualität, die sich von den schematischeren Wohnhäusern des späten Klassizismus mit ihren sich wiederholenden Aufrissen und Mansarddächern absetzen. Die Knauerstraße 17 jedoch fällt aus dem Rahmen: Kaum jemand, der hier einmal vorbeigekommen dem dieser architektonische Hingucker in Pistaziengrün nicht aufgefallen wäre.
Und hier kommt der Balsam für die Seelen all jener Bauhandwerker, die sich schon mal von "Gstudierten" langatmige Belehrungen über Geschmack und "echte" Baukunst anhören mussten: Der Schöpfer der Knauerstraße 17 war nämlich kein akademisch ausgebildeter Architekt, sondern ein solider Handwerker. Seine Karriere hatte Johann Dorner als Maurerlehrling begonnen, hatte sich zum Gesellen und dann zum Meister hochgearbeitet und 1904 sein eigenes Bautechnisches Büro in der Landgrabenstraße 27 eröffnet. Erst viel später ließ er sich in den Adressbüchern und Gewerbeverzeichnissen offiziell als "Architekt" führen.
Zuhause für betuchte Bürger
Die frühen Mieter des Hauses entstammten allesamt der gehobenen Mittel- und der Oberschicht: 1907 etwa gastierte in einer Wohnung im zweiten Obergeschoss die Schauspielerin Liese-Marit Jacobs-Monnard (1889–1931), die damals als Salondame am Intimen Theater wirkte. 1925 las man am Klingelschild die Namen von Johann Beckstein, pensionierter Oberpostmeister des Postamtes Hochstraße, Emil Aschenbroich, Chefkoch und Inhaber des Schmidtskellers in Neugroßreuth, Frieda Felgenhauer, Kaufmannswitwe und frühere Inhaberin einer Stellenvermittlung und Georg Lindenberger, der eine Färbereimaschinenfabrik im Hummelsteiner Weg besaß.
In einer der Wohnungen im zweiten Stock lebten die Stiefels. David Stiefel – er stammte aus einem kleinen Ort in Tauberfranken – war Schneider für Herrenmode und Mitglied der orthodoxen jüdischen Gemeinde Adas Israel.
Die Nazis verschleppten ihn und seine Ehefrau Marianne 1942 ins Ghetto Theresienstadt, wo beide binnen zweier Jahre, angeblich an "Altersschwäche", starben. An den Lederhändler Adolf Stern, der 1941 im Konzentrationslager Riga-Jungfernhof ermordet wurde, erinnert heute ein "Stolperstein" im Gehsteig vor dem Haus. Im Unterschied zu den Nachbarhäusern nagte der Zahn der Zeit nur wenig an dem eigenwilligen Stirnhaus, das heute unter Denkmalschutz steht und 2015 behutsam instandgesetzt wurde: Die Haustür und die Fenster wurden erneuert. Die beiden Ecktürme tragen heute Kegeldächer; die Zierbänder und einige Fensterschürzen in reichen Jugendstilformen an den Obergeschossen, ehedem wohl in Sgraffito-Technik ausgeführt, sind verschwunden, liegen aber möglicherweise unter jüngerem Putz verborgen.
Die Kartusche mit dem Baujahr hoch oben zwischen den Türmen indes ist noch heute, wenn auch nur mit Mühe, zu erkennen. Und wer genau hinsieht, der entdeckt zwischen all den Schnörkeln des Balkongeländers im ersten Stock den geschwungenen Buchstaben "H", der vermutlich an den Bauherrn des Gebäudes erinnert.
In einer Welt, in einer Stadt, die sich immer schneller und immer radikaler zu verändern scheint, sind ausgefallene historische Gebäude wie die Knauerstraße 17 ein Anker, der für Beständigkeit steht. Johann Dorner, der Maurermeister mit den cleveren Ideen, würde sich gewiss sehr darüber freuen, das sein Werk noch heute viele Menschen begeistert.
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