Es ging um die Ehre

7.12.2005, 00:00 Uhr
Es ging um die Ehre

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Frau Suzan-Menzel, im geschilderten Fall ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, die drei jungen Frauen sind Hals über Kopf ausgezogen. Hätte man in diesem scheinbar so unüberbrückbaren Konflikt überhaupt schlichten können?

Gülseren Suzan-Menzel: Mediatoren sind auf so etwas gut vorbereitet, aber die Beteiligten müssen wissen von dieser Hilfestellung und sie müssen damit einverstanden sein. Ganz grundsätzlich: Es gibt keine kulturellen Barrieren zwischen Menschen, die sich nicht durch Gespräche überwinden ließen. Die meisten Streitfälle, in denen unterschiedliche Kulturkreise scheinbar hart aufeinander prallen, sind nur gefärbt von diesem Hintergrund. In Wirklichkeit steckt etwas dahinter, was auch zwischen Deutschen zum Streitfall werden könnte.

Sie meinen, auch mancher deutsche Hausherr könnte ein Problem mit Männerbesuch haben?

Suzan-Menzel: Mir hat gerade eine 23-jährige Deutsche erzählt, dass ihre Vermieterin sich ständig einmischt, wenn ihr Freund kommt, und dass sie deshalb vielleicht wieder ausziehen wird. Hier würde niemand den Schluss ziehen, dass alle Deutschen merkwürdige Moralvorstellungen haben. Keine Zeitung würde darüber schreiben, es wäre kein Thema.

Der Ehrbegriff dieses türkischen Mannes spielt eine große Rolle in dem Streit. Was hat es auf sich mit dieser Ehre?

Suzan-Menzel: Für einen Film habe ich Frauen aus unterschiedlichen Ländern gefragt, was Ehre für sie bedeutet. Frauen aus dem Mittelmeerraum denken dabei an weibliche Sexualität, an Jungfräulichkeit und die Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Deutsche konnte mit dem Begriff wenig anfangen.

Was ist Ehre für Ihre Landsleute?

Suzan-Menzel: Im Türkischen denkt man stärker in Begriffen von Gemeinschaft und Ehre. Es gibt die Ehre des Hauses, der Nachbarschaft, der Straße. Das kann Vorwand für Unterdrückung sein, aber es wird auch beschützend, fürsorglich gemeint. In der Regel verhindert dieser Ehrbegriff die Integration nicht. Menschen wie der Gostenhofer Vermieter gehören oft der ersten Einwanderergeneration an und haben ihre Haltung über Jahre hinweg nicht weiterentwickelt. Er scheint einfach stehen geblieben zu sein . . .

. . . und lebt damit isoliert unter einer moralischen Käseglocke?

Suzan-Menzel: Was nicht heißt, dass sich das in einem längeren Prozess nicht ändern könnte. Die Mädchen haben ja auch gespürt, dass ihnen dieser Mann etwas Gutes tun wollte, indem er Verantwortung übernahm. Vielleicht hätten sich die Beteiligten mit ihren drei Freunden noch einmal beim Tee mit ihm zusammensetzen und die Sprachprobleme — im doppeltem Sinn — überwinden sollen. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, dass das geht.

Was haben Sie erlebt?

Suzan-Menzel: Als ich nach Deutschland kam und in eine Wohnung zog, klingelte niemand aus dem Haus, um mich zu begrüßen. Ich war überzeugt, dass die Leute mich als Ausländerin ablehnten. Bis ich endlich mitbekam, dass in Deutschland die neue Mietpartei den Anfang macht und sich vorstellt.

Sie arbeiten im „Netzwerk interkulturelle Mediation“ des Sozialdienstes der Stadt mit. Ein Angebot, das seit drei Jahren besteht. Wird es angenommen?

Suzan-Menzel: Es gibt 23 ausgebildete Mediatoren und Mediatorinnen bei der Stadt und in freien Verbänden, die kostenlos arbeiten. Sie treten immer zu zweit auf, einer von ihnen ist immer Migrant, so können insgesamt elf Sprachen abgedeckt werden. Noch werden wir vor allem bei Familien- und Beziehungsstreitigkeiten gerufen. Nachbarn, die im Stadtteil miteinander Probleme haben, kennen die interkulturelle Mediation noch zu wenig. Mediation bedeutet, dass beide Parteien dabei gewinnen. Interview: CLAUDINE STAUBER

Interkulturelle Mediation beim Allgemeinen Sozialdienst der Stadt Nürnberg, Telefon (09 11) 2 31 26 86.