Die Bahn als Barriere: Treuchtlingens Stadtrat ist ratlos

21.1.2021, 06:04 Uhr
Die Bahn als Barriere: Treuchtlingens Stadtrat ist ratlos

© Patrick Shaw

Dass der Stadtrat oder ein Ausschuss komplett ratlos ist, erlebt man nicht alle Tage. Im Treuchtlinger Bauausschuss war das jüngst der Fall – mit erheblichen Konsequenzen, sollte es so bleiben.

Die Bahn als Barriere: Treuchtlingens Stadtrat ist ratlos

© Visualisierung: Ingenieurbüro Heinhaus

Das Problem ist knapp 70 Meter lang, zwei Meter breit und 115 Jahre alt: die Fußgängerunterführung, die zwischen Dürerstraße und Neufriedenheim den nördlichen Flaschenhals des Treuchtlinger Bahnhofs unterquert. Sie ist im Umkreis von rund 400 Metern nach Norden und fast 800 Metern nach Süden die einzige Möglichkeit, auf die andere Seite der beiden die Stadt durchschneidenden Bahnstrecken zu kommen.

Möchte etwa ein Anwohner östlich der Gleise im Fachmarktzentrum in der westlich gelegenen Ansbacher Straße einkaufen, müsste er ohne den Tunnel die Straßenunterführung bei Gstadt nehmen und ganz im Norden um das ehemalige Bahnbetriebswerk herum laufen. Statt 200 Metern und drei Minuten wäre das ein Umweg von anderthalb Kilometern und gut 20 Minuten Gehzeit – einschließlich einer nicht barrierefreien Steigung über die Gstadter Brücke.

"Hopfen und Malz verloren"

Betroffen wären einer Zählung zufolge täglich rund 200 Passanten. "Die Bahnstrecken trennen die Stadt durch einen massiven Korridor mit nur wenigen Querungen, sodass es wehtut, wenn eine davon wegfällt", verdeutlichte Robert Heinhaus vom gleichnamigen Augsburger Ingenieurbüro im Ausschuss.

Die Bahn als Barriere: Treuchtlingens Stadtrat ist ratlos

© Patrick Shaw

Doch lange wird es die alte Röhre nicht mehr geben. Denn der 1905 gebaute und 1930 verlängerte Durchstich, der früher vom Stellwerk zum Bahnbetriebswerk führte, ist vollkommen marode. Der Sandstein bröckelt sichtlich, und bei den einen Meter dicken, aber unbewehrten Beton-Widerlagern sind laut Heinhaus "Hopfen und Malz verloren". Überall dringt Wasser ein, sodass auch die als Deckenkonstruktion zweckentfremdeten alten Schienen munter vor sich hin rosten.

Eigentlich war die Unterführung nie für die Öffentlichkeit gedacht und steht auch nicht im Straßenverzeichnis. Das Eisenbahnkreuzungsgesetz greift deshalb nicht, sodass die Stadt eine Erneuerung aus eigener Tasche zahlen müsste. Denn die Bahn braucht die Verbindung nicht mehr und würde sie wohl verfüllen. "Für sie ist die beste Brücke keine Brücke", so Heinhaus. Je nach Standsicherheit könnte das schon bald passieren – spätestens jedoch 2027, wenn auch die Gstadter Bahnunterführung ausgebaut wird.

Eine "Nicht-Machbarkeitsstudie"

Für die Stadt hat der Brückenbauingenieur deshalb eine Machbarkeitsstudie erstellt, die im Wesentlichen vier Möglichkeiten beleuchtet: Sanierung, Neubau als Unterführung, Neubau als Überführung und Neubau an anderer Stelle. Denn den Wegfall der Verbindung hinzunehmen, kommt für die Stadt (noch) nicht in Frage.

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© Visualisierung: Ingenieurbüro Heinhaus

Den bestehenden Tunnel zu reparieren, wäre Heinhaus zufolge lediglich eine kurzfristige Lösung, denn die Unterführung sei "jenseits ihrer Nutzungsdauer". Sie neu zu verputzen, anzustreichen und die größten Risse zu verpressen würde zwar "nur" etwa 317.000 Euro kosten, spätestens in sechs bis sieben Jahren würde die Bahn den Weg aber trotzdem dicht machen. "Und dann wäre das Geld einfach weg", rät der Gutachter von dieser Variante ab.

Das Problem bei einem Neubau an alter Stelle ist, dass dann der Bestandsschutz wegfiele und die aktuellen Bauvorschriften gelten würden. Das hieße, dass die neue Unterführung mindestens doppelt so breit und um die Hälfte höher werden müsste – zuzüglich Zugangsrampen, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten. Kosten: gut fünf Millionen Euro, von denen abzüglich Bundesmitteln mehr als drei Millionen Euro bei der Kommune hängen blieben. Der Bahn, auf deren Grund der Neubau entstünde, müsste die Stadt zudem etwa 550.000 Euro als Ablösung für dessen Unterhalt bezahlen.

Über oder unter den Gleisen?

Variante drei wäre eine Überführung der Bahnstrecke an alter Stelle mit einer Fußgängerbrücke. Wegen des Höhenversatzes und der Oberleitungen müsste diese rund 6,20 Meter hoch sein sowie seitlich eingehaust und eventuell überdacht werden. Aufgrund des begrenzten Platzes bräuchte sie außerdem an den Enden Treppentürme samt Aufzügen für Rollstuhl- und Fahrradfahrer. Ein solcher Bau würde etwa sechs Millionen Euro kosten, davon dreieinhalb Millionen als Anteil der Stadt. Da die Brücke in deren Besitz bliebe, müsste sie zusätzlich mit jährlich 50.000 Euro an Unterhaltskosten rechnen.

Als vierte Möglichkeit böte sich an, die Bahnsteigunterführung des Bahnhofs nach Westen durchzustechen und so einen Tunnel an neuer Stelle zu schaffen. Die bestehende Röhre ist etwa 89 Meter lang und müsste dafür wegen der erheblich breiteren Gleisanlagen auf stattliche 144 Meter verlängert sowie (je nach Nutzung durch Bürger und Reisende) auf fünf bis acht Meter Breite verbreitert werden. Überdies bräuchte auch sie wegen des um sieben Meter ansteigenden Geländes an der Westseite Treppen und einen Aufzug sowie eine Verkehrsinsel als Überquerungshilfe in der Wettelsheimer Straße.


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Ein zusätzliches Manko bei dieser Lösung ist laut Ingenieur Heinhaus die schlechte Einsehbarkeit eines so langen Tunnels, die zu einer mangelnden "sozialen Kontrolle" führe. Während der Bauzeit im laufenden Betrieb müssten die Züge dann über Hilfsbrücken rollen. Gesamtkosten: deutlich über acht Millionen Euro, davon mehr als fünf Millionen als Anteil der Stadt sowie 750.000 Euro als Unterhalts-Ablösung an die Bahn.

Im Kontext der Umgehung?

Die Option einer Brücke an dieser Stelle habe er gar nicht erst geprüft, so Heinhaus, weil diese sogar mit einer zweistelligen Millionensumme zu Buche schlagen würde. "Fakt ist, dass die Machbarkeitsstudie horrende Zahlen aufzeigt", fasste der Fachmann zusammen. Und auch die vermeintlich günstige Instandsetzung sei wegen der kurzen Haltbarkeit "ein vergifteter Pilz".

Angesichts fehlender Alternativen und der Zumutbarkeit für die Bürger sei "das Geld am Ende die nachrangige Frage", warf Stefan Fischer (SPD) ein. "In irgendeinen sauren Apfel werden wir beißen müssen." Bürgermeisterin Kristina Becker (CSU) äußerte sich indes beruhigt, dass "uns offenbar zumindest noch ein paar Jahre Zeit bleiben, um eine Lösung zu finden".

Eine "globalere" Alternative brachte dritter Bürgermeister Hubert Stanka (UFW) ins Spiel. Wenn man keinen neuen Personentunnel ins Auge fasse, sondern gleich eine Straßenunterführung mit Gehwegen – eventuell als Teil einer künftigen Nordumfahrung –, wäre der Staat mit einem deutlich größeren Kostenanteil im Boot, ließ er sich von Heinhaus bestätigen. "Ja, suchen Sie sich einen Verbündeten", empfahl auch der Gutachter. Gleiches gelte für einen fußgängergerechten und barrierefreien Ausbau der Gstadter Unterführung – die laut Bauamtsleiter Jürgen Herbst ohnehin bereits geplant ist.

Der Ausschuss verwies das komplexe Thema am Ende in den Arbeitskreis Verkehr. Es sei "der einzig gangbare Weg, im größeren Kontext der Treuchtlinger Umgehung darüber zu beraten", so Rathauschefin Becker.

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