Gesundheit als neue Treuchtlinger Identität?

29.11.2019, 06:04 Uhr
Gesundheit als neue Treuchtlinger Identität?

© Fotomontage: TK-Archiv / suma Support Management

Treuchtlingen hat Heilwasser, einen Kurpark, eine Outdoor-Hochschule, einen Naturpark, Kurärzte und bald auch wieder eine Klinik. Beste Bedingungen für "gesunden Urlaub", sollte man meinen. Doch es fehlt der Kitt, die klare Linie, das große Ganze. Vor allem aber fehlt eine Identität, die Fremden beim Namen "Treuchtlingen" sofort in den Sinn kommt, und mit der sich die Bürger identifizieren. Denn die trauern teils noch der alten Eisenbahnerstadt hinterher, hadern mit der ländlichen Lage oder lassen an ihrer Heimat im Gespräch und im Internet kaum ein gutes Haar. Wer möchte hier schon Urlaub machen?

Das will Stefanie Grucza ändern. Ihre Vision für die seit Jahrzehnten politisch gewollte, aber in Konzepten für die Schublade steckengebliebene "Gesundheitsstadt" stellte die seit einem Jahr in Treuchtlingen tätige Leiterin der Kur- und Touristinformation dem zuständigen Stadtratsausschuss vor – und bekam fast einhellig grünes Licht samt des nötigen Geldes.

Wie viele Papiere gab es nicht seit dem Bau der Altmühltherme vor 23 Jahren: zwei Vermarktungskonzepte 1989 und 1996, das CIMA-Stadtentwicklungskonzept 2002, das "Stadtentwicklungskonzept 2030" von 2012, das Positionspapier von Gruczas Vorgänger Christoph Schmitz von 2013 und zuletzt 2015 die Standortanalyse der Kurortmedizinerin Prof. Angela Schuh vom deutschen Heilbäderverband. Viel getan hat sich nicht, und Grucza hat "in vielen Gesprächen den Eindruck gewonnen, dass die Bevölkerung die Hoffnung schon aufgegeben hat, dass sich Treuchtlingen in Richtung Gesundheitstourismus entwickeln kann".

Gesundheit als neue Treuchtlinger Identität?

© TK-Archiv / Patrick Shaw

Nur 27 Prozent Auslastung

Entsprechend ernüchternd ist der Status Quo. Einer Analyse der Münchner Agentur "Project M" zufolge stagnieren die Übernachtungszahlen derzeit bei einer Auslastung von knapp 27 Prozent. "Und das sind hauptsächlich Monteure und Arbeiter", so die Tourismus-Chefin. Die seien für die Hoteliers zwar bequeme Gäste, brächten die Stadt aber nicht weiter. Im Gegenteil: In die Hotels und Ferienwohnungen werde zu wenig investiert, vielerorts dominiere noch der "Charme der Achtziger".

Um Impulse zu setzen, hat die Agentur Treuchtlingens Stärken und Schwächen in Sachen Gesundheitstourismus zusammengetragen. So gebe es zum Beispiel "einige barrierefreie Hotels, aber nur eines ist allergikerfreundlich". Hotels für Gäste, die gezielt zum Auskurieren von Erkrankungen anreisen? Fehlanzeige. "Die Hotelentwicklung ist der Dreh- und Angelpunkt, auch für die Auslastung und Weiterentwicklung von Therme und Altmühlvital", so Grucza. Ein hochwertiges Hotel würde zudem "den Modernisierungsdruck auf bestehende Betriebe erhöhen".

Gute Noten erhält die Stadt für die Therme, die Verkehrsanbindung, die Kompetenz der Ärzte, die Rad- und Wanderwege, die Kombination aus Kurpark, Altmühlvital, IGM-Prophylaxezentrum und Adventure-Campus sowie vor allem für ihre Lage am Schnittpunkt von Naturpark Altmühltal, Fränkischem Seenland und Geopark Ries. Schwächen seien die fehlende "Corporate Identity" und die Scheu vor einer Positionierung ("eierlegende Wollmilchsau"), Personalmangel und unklare Zuständigkeitem im Tourismus, eine lückenhafte Besucherlenkung sowie eine ineffiziente Vermarktung.

Tourismus fehlt im Stadtbild

Qualität und Zahl der auf Gesundheit und Wellness setzenden Gaststätten und Beherbergungsbetriebe sind den Gutachtern zufolge gering, der Einzelhandel nicht touristisch ausgerichtet (hier moniert die Agentur explizit das Fehlen eines Outdoor-Ladens), der Kurpark "mangelhaft inszeniert", und die Stadtmitte habe kaum Flair. "Dort dürfen wir uns nicht auf zwei sanierten Plätzen ausruhen", warnt Grucza. Neben dem kaum wahrgenommenen Individuellen Gesundheitsmanagement (IGM) gebe es zudem keine buchbaren gesundheitstouristischen Angebote. Und in der Bevölkerung fehle die nötige "Tourismusgesinnung".

Gesundheit als neue Treuchtlinger Identität?

© TK-Archiv / Patrick Shaw

Daraus folgt für die Experten, dass Treuchtlingen mittelfristig wohl keine realistische Chance hat, Reiseziel für echte Kur- und Therapiegäste zu werden – geschweige denn auf den Titel "Bad". Sich als Urlaubsort "mit gesunden Mehrwerten" sowie "zur Erhaltung und Verbesserung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit" zu etablieren, sei aber machbar. Das führe zu der Frage: "Ist der Gesundheitstourismus tatsächlich ein Zukunftsmodell für Treuchtlingen?"

Stefanie Grucza ist davon überzeugt. Der Bereich sei ein Megatrend. "Der gesunde Körper gilt mittlerweile als Statussymbol", erklärt sie. Dazu kämen zunehmend psychische Erkrankungen, die Themen Resilienz und Selbstfürsorge, Ernährung als Selbstverwirklichung sowie der Trend zu Bewegung für Körper und Seele. "Wenn wir dort hin wollen, dann los!", so Grucza. "Es dürfen keine 20 Jahre mehr vergehen, sonst verlieren wir an Akzeptanz, und die Marktdurchdringung wird schier unmöglich." Beispiele, wo diese Image-Wende gelungen ist, seien Garmisch Partenkirchen und Bad Staffelstein.

Starten sollte die Stadt laut Grucza zunächst mit der Entwicklung einer "Marke", die "ein Entscheidungskreis, dem Bürger, Leistungsträger, Politik und Touristiker angehören", in Workshops entwickeln soll. Gleiches gilt für Schritt zwei, das Erstellen eines Tourismuskonzepts samt Handlungs- und Geschäftsfeldern, Produkten und Controlling. Schritt drei ist die Standortentwicklung mit Verkehrsberuhigung, Bauleit- und Einzelhandelsplanung.

Wandel kostet Zeit und Geld

Dafür muss die Stadt Geld in die Hand nehmen. Unter Gruczas 21-stufigem Kostenplan stehen knapp 650.000 Euro. Etwa ein Zehntel davon sollen schon nächstes Jahr in die Markenentwicklung (27.000 Euro) und das Tourismuskonzept (32.000 Euro) fließen. Zuschüsse könnte es laut Bürgermeister Werner Baum aus der Städtebauförderung geben. Weitere 65.000 Euro veranschlagt Grucza, um den Status Quo aufrecht zu erhalten und einige neue Marketingkonzepte auszuprobieren. Geplant sind die Einberufung eines Tourismusbeirats und regelmäßige Vermieterversammlungen – die nächste am 3. März.

Fahrplan und Budget segnete der Ausschuss mit einer Gegenstimme ab. Nur Kristina Becker (CSU) sagte nein, weil sie über die Kosten gern getrennt abgestimmt hätte. Die Notwendigkeit der touristischen "Markenbildung" leuchte auch ihr ein. Zudem bat sie, schon jetzt auch die künftige psychosomatische Klinik und das geplante Hotel mit einzubeziehen sowie "die in das IGM gesteckte Arbeit nicht zu vergessen und das dortige Knowhow zu nutzen".

Stefan Fischer (SPD) forderte, dass es dafür "schon 2020/21 Verschiebungen im Haushalt und andere Investitionsschwerpunkte geben muss". Darüber hinaus seien bei den Hoteliers und Wirten noch "dicke Bretter zu bohren". Sie müssten "erst wieder Lust auf Tourismus bekommen", stimmte ihm Stefanie Grucza zu.

Auf die Vorarbeit an den "Thementischen" des Stadtentwicklungsprozesses von 2012 wies Joachim Grzega (SPD) hin. Sie gelte es wertzuschätzen und einzubinden. "Wir haben uns viel zu lange mit Kleinklein aufgehalten", fasste SPD-Fraktionschefin Kerstin Zischler zusammen. "Jetzt können wir nicht mehr warten, bis die Klinik da ist, geschweige denn ein Hotel." Ein Wandel der Stadt zur "Wohlfühloase" sei am Ende "auch für die Bürger ein Gewinn".

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