Vorm Erfrieren gerettet: Eine wahre Ostergeschichte

1.4.2021, 06:04 Uhr
Vorm Erfrieren gerettet: Eine wahre Ostergeschichte

© Patrick Shaw

Ostern, was ist das eigentlich? Am heutigen Gründonnerstag gedenken die Christen des letzten Abendmahls Jesu, am morgigen Karfreitag seiner Kreuzigung. Und doch geht es bei der Geschichte vom Leiden und Sterben Christi um mehr als nur um Religion und Kirche: Es geht um ethisch richtiges Handeln; es geht darum, seinen Nächsten zwar vielleicht nicht unbedingt gleich zu lieben, wie es die Bibel formuliert, ihn aber zu achten und wertzuschätzen; und es geht darum, seinen Mitmenschen aufzuhelfen, wenn sie straucheln.

Vorm Erfrieren gerettet: Eine wahre Ostergeschichte

© Patrick Shaw

Ein Sinnbild für diesen Gedanken, der auch den meisten anderen Religionen innewohnt und der so gut zur Karwoche passt, steht im lichten Wald am Hang des Treuchtlinger Heumöderntals. Es ist ein steinerner Bildstock in Form einer Stele mit einem achteckigen "Stoppschild" als Kopf, darin ein kreuztragender Jesus. Gestiftet hat ihn vor vielen Jahren ein in der Nähe wohnender ehemaliger Treuchtlinger Lehrer, der ungenannt bleiben möchte. Anlass war ein für ihn prägendes Ereignis kurz vor Ostern, im März 1990.

Damals, einige Monate nach dem verheerenden Orkan "Wiebke", begleitete der Protagonist seine Mutter gegen Abend beim Spaziergang. Unweit des Stadtrands stießen sie auf eine große, vom Sturm entwurzelte Fichte, unter deren langen Ästen sich eine Art Zelt gebildet hatte. "Beim Näherkommen teilten sich die Fichtenzweige ein klein wenig und ein Frauengesicht schaute heraus", erinnert sich der Treuchtlinger. "Bitte keine Polizei rufen!", habe es flehentlich aus dem provisorischen Unterschlupf getönt.

Ein nächtlicher Gast

Da es kurz vor dem Dunkelwerden und schon ziemlich kalt war, luden die beiden Spaziergänger die Frau zum Abendessen ein und erfuhren dabei mehr über den Überraschungsgast. "Stark alkoholisiert war sie aus Nürnberg gekommen. Nach einer vom Freund erzwungenen Abtreibung bei einem Kurpfuscher sei sie dennoch vom Lebensgefährten rausgeworfen worden. Es wären Zwillinge geworden", so die traurige Erzählung des mutmaßlichen Lebensretters. Geschwächt, betrunken (unter der Fichte fanden sich am nächsten Tag zwei leere Schnapsflaschen) und im Freien hätte die damals 31-Jährige die Nacht wohl nicht überlebt.


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Die Mutter bot der Fremden ein Bett für die Nacht an. "Ein fragender Blick auf mich. Spontan war mir das Wort Jesu gegenwärtig: Was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan", blickt der einstige Religionslehrer zurück. Viele Jahre lang habe er diesen Satz seinen Schülern ans Herz gelegt. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück ging es dann gemeinsam zum Gesundheitsamt. Die beiden Treuchtlinger sahen die Frau danach nie wieder.

Ein Zeichen im Wald

Doch die Geschichte endet hier nicht. Denn tags darauf kam einer seiner Achtklässler auf den Lehrer zu. Er habe etwas dabei, um das schlichte schwarze Wandkreuz im Klassenzimmer zu schmücken, über das die Klasse einige Tage zuvor gesprochen hatte. In der Hand hielt der Junge eine gusseiserne Jesus-Figur – nichts besonderes, Massenware, mit einem abgebrochenen Arm.

Das Erstaunliche: Er habe die Figur nicht irgendwo daheim im Keller oder auf dem Dachboden gefunden, sondern "im Wald". Für den Religionslehrer war dies eine Art Bestätigung, richtig gehandelt zu haben – eine in seinen Worten "wurzelhafte Christuserfahrung". Denn, wie ein anonymes Zitat aus dem späten Mittelalter besage: ,,Jesus hat keine Arme und keine Hände, nur unsere."


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"Von jenem Tage an hielt ich einen etwas anderen katholischen Religionsunterricht", erzählt der mittlerweile längst pensionierte Treuchtlinger. "Ich wurde gelassener, wesentlicher. Manches im Stoffplan nahm ich einfach nicht mehr durch. Die sogenannten Grobziele und Feinziele des Lehrplans missachtete ich ohne Gewissensbisse, ich beschränkte mich aufs ganz Zentrale." Doch das reichte nicht: "Am Ende des Jahres wurde ich unruhig. Es musste im Wald, wo wir die Frau gefunden hatten, ein Zeichen gesetzt werden."

Bildhafte Erinnerung

Es wurde der Bildstock aus Jurastein, der bis heute dort wacht. "Steh Wanderer. Wisse, in jedem Geworfenen will Dir Jesus begegnen", steht in schlichten Lettern darauf. Dazu das achteckige Stoppschild als Kapitell und der "niedergeworfene Jesus" mit dem Kreuz in Form der vom Sturm umgeworfene Fichte. "Ein Mensch, eine Frau, aus der Bahn des Lebens geworfen – und doch wieder aufgehoben", wie der Stifter es deutet.

Noch heute legen Spaziergänger immer wieder Steine, Blüten oder Schneckenhäuser an den Bildstock. Darunter blühen im Frühjahr blaue Leberblümchen. Vandalen haben schon einmal versucht, das Kapitell zu zerschlagen – erfolglos. So ist das "Wanderer-Stoppschild" im Heumöderntal bis heute ein zwar wenig bekannter, aber umso eindrucksvollerer Gedenkort an eine reale Leidens- und Rettungsgeschichte sowie an deren biblisches Gegenstück – das gerade zu Ostern, auch ganz ohne Christ sein zu müssen, zu Solidarität und Mitmenschlichkeit aufruft.

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