3. September 1970: Dürer würde sich im Grab umdrehen

3.9.2020, 07:00 Uhr
3. September 1970: Dürer würde sich im Grab umdrehen

© N.N.

1200 Bürger haben bisher ihren Tipp abgegeben, welcher Entwurf von der Jury als bester ausgewählt worden ist. Die 60 interessantesten Ideen sind, wie berichtet, in den Schaufenstern der Dresdner Bank an der Bischof-Meiser-Straße ausgestellt. 20 Preise im Gesamtwert von 2000 DM werden am 9. September, drei Tage nach Ende des Wettbewerbs ausgelost. Welches Interesse die Aktion findet, geht daraus hervor, daß sich Touristen aus der ganzen Bundesrepublik und auch Ausländer aus England, Frankreich, Israel, Polen, Österreich und Ungarn an dem Wettbewerb beteiligen. Wir haben Passanten befragt, was sie von den 60 Entwürfen halten.

Hier die Antworten: Einer älteren Dame ist die Auswahl anscheinend zu groß, denn sie meint achselzuckend: "Die sind alle schön. Da sollen sich andere Leute Kopfzerbrechen machen." Zwei junge Mädchen sind beeindruckt von einem Entwurf, der ganz in Schwarzweiß gehalten ist und Dürer in vier Lebensphasen, vom Kind bis zum erwachsenen Künstler darstellt. "Der hat mit 20 Jahren genauso ausgesehen wie mein Freund", meint die eine begeistert. "Nur Dürers Haare waren ein bißchen länger", fügt die andere hinzu. Ein älterer Herr betrachtet fasziniert ein verschwommenes Dürer-Porträt. Eine Viertelstunde lang kann er sich nicht davon lösen. Es ist aber das einzige, das ihm gefällt, denn er füllt seine Teilnehmerkarte aus, ohne die anderen Entwürfe auch nur eines Blickes zu würdigen. Zwei Schüler sind ganz Feuer und Flamme für den Quiz. "Mensch, da können wir 600 DM gewinnen", freut sich der eine. "He, schau mal, auf dem Plakat sieht der Dürer wie Paul McCartney aus", ruft der andere begeistert und deutet auf eine abstrakte Federzeichnung, die Albrecht Dürer darstellt. Ein Rentner ist ganz entrüstet und schimpft: Wenn das der Dürer sehen könnte, würde er sich im Grab umdrehen."

Ungeduldig zerrt plötzlich ein kleiner Junge seine Mutti am Ärmel, Mami, guck mal, ist das der Osterhase" quiekst er und zeigt auf ein Plakat, das den "Hasen" von Dürer in knalligem Orange, Gelb und Blau zeigt. Ein junger Lehrer sieht den bunten Hasen als ein Symbol, "Dem Dürer ist es manchmal auch dreckig gegangen und er mußte sich von Grünzeug ernähren, so wie die Hasen. Die bunten Farben bedeuten Heiterkeit, denn auch wenn er eine harte Zeit durchstehen mußte, verlor Dürer nicht seine Schaffenskraft." Außerdem ist der Lehrer von Dürers Haartracht sehr beeindruckt, denn er verkündet: "Ab heute lasse ich mir die Haare wachsen, dann sehe ich nächstes Jahr so wie der Dürer aus." Eine alte Dame zeigt sich sehr fortschrittlich: "Die konservativen Entwürfe interessieren mich gar nicht so sehr", meint sie, "heutzutage muß man einfach modern eingestellt sein, wenn ich etwas Altmodisches auswähle, habe ich von vornherein keine Chance zu gewinnen." Künstlerisches Gefühl legt ein Herr in mittleren Jahren an den Tag. Er deutet auf einen Entwurf mit schwarzem Untergrund und einem weißen Kreis mit weißem Mittelpunkt. "Den Mittelpunkt hätte ich nicht in die Mitte, sondern irgendwo an den Rand gesetzt", meint er sachverständig. Zwei Schulbuben sehen die Dürer-Porträts ganz unkompliziert. "Da müssen wir unsere Mütter mal herbringen. Wenn die sogar einen Hippie im Schaufenster ausstellen, dürfen wir unsere Haare bestimmt auch so lang tragen."

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