31. Oktober 1970: Schult und Sühne müder Macher

31.10.2020, 07:00 Uhr
31. Oktober 1970: Schult und Sühne müder Macher

© Volker Ranke

Über seine „Aktion 20 000 Kilometer“ berichteten wir bereits. Um „die alltäglichen Dinge bewußter zu machen“, fährt Schult 20 Tage lang zwischen dem Hamburger Kunsthaus und dem Münchner Aktionsraum I in einem gelben Citroën Dyane hin und her. Jeden Tag wird die Windschutzscheibe als „visuelles Protokoll“ ausgebaut, jede Regung des Bewußtmachers wird auf Tonband und Film gebannt. Acht Museen und Kunstvereine, die er ansteuert, ein Buch, das geschrieben wird, ein 40-Minuten-Farbfilm, den das Studienprogramm des Bayerischen Rundfunks über die Aktion produziert (Sendetermin: 5.11., 20.15 Uhr), eine 20tägige Ausstellung, drei Industriefirmen, für die er wirbt, seine Freundin Elke Koska und der Münchner Kunstvereinsdirektor Reiner Kallhardt, die das ganze koordinieren, machen die Aktion möglich. Gestern abend kam HA Schult in die Nürnberger Kunsthalle. Mit nur einer Bockwurst im Magen, einer vom heißen Gaspedal zerschlissenen Kreppsohle und zehn Minuten Verspätung parkte Schult sein gelbes Bewußtseins-Räumfahrzeug vor der Nürnberger Kunsthalle: Falsch und zweifellos gebührenpflichtig.

Aber er ist ja zu einem guten Zweck unterwegs: „Nicht das Endprodukt, das ,Kunstwerk‘, ist wichtig ... Die Frage, ob das noch Kunst sei, ist nicht zu beantworten. Die Frage nach der Kunst ist eine permanente Diskussion. Aufgabe der Aktion 20 000 km ist, diese Frage von einer unerwarteten, von einer überraschenden Seite anzugehen.“ Aus dem Redestrom der Plaudertasche Schult ragen drei Worte ins Bewußtsein: Kunst, Scheiße und ein autoritär-didaktisches „Nä“, mit dem er seine Erklärungen unwiderruflich plausibel macht. Noch gestern morgen um vier hatte er Uwe Seeler in Hamburg klargemacht, daß er der „Gott der Tankwarte“ sei, worüber Uwe ein wenig sauer war. Und doch, Schult kommt auf seiner Rallye mit allen gut aus – „alle sind fröhlich, alles freut sich“, wenn sie des gelben Männchens ansichtig werden: „In der Kneipe wird über Kunst geredet, das finde ich Klasse, kann ich noch 'ne Cola haben.“ Was daran so Klasse ist, wenn Leute, die aus guten Gründen von Kunst absolut nichts wissen wollen, darüber reden – das freilich erklärte der Macher nicht. Denn „ich bin unbeliebt bei den Künstlern und unbeliebt bei den Linken, weil die sagen, der ist noch für Kunst.“

Da bleibt Schult nichts anderes als der Appell an das Volk, an den Mann auf der Straße, dem er auf diese vertrackte Art und Weise etwas nahebringen will, was aufgrund völlig verschiedener Interessenlagen des einfachen Mannes und der Kunstschaffenden nicht nahegebracht werden kann. Und da das so ist und da schon ganz andere Konzepte an dieser Situation gescheitert sind, machen wir's halt so: „Die Menschen sollen durch meine Aktion verwirrt werden, damit sie zu sich selbst finden.“ Mit gewaltigem Aufwand und einer perfekt organisierten Public-Relations-Maschinerie mag die Verwirrung gelingen. An dem Schriftgut, das Kallhardt – dem man noch vor einiger Zeit politisches Engagement abkaufte – und Schult-Freundin Elke Koska in den letzten Wochen pfundweise auf deutsche Redaktionstische prasseln ließen, entlarvt sich freilich die Aktion: „Permanente Diskussion“ – wozu? „Bewußtmachung" – wessen? Leerformeln, entwendet aus dem Vokabular integrer Urheber, die heute allseits diffamiert werden. Entwendet zum Zwecke eines platten narzißtischen, kommerziellen und nichtsnutzigen PR-Zirkus. Mag die „Verwirrung“ gelingen! Dann werden zeitgenössische Kunstbestrebungen im Bewußtsein der Menschen endgültig mit jenem gelben Männchen verknüpft: Schult und Sühne für die geistige Impotenz heutiger Kulturmacher.

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