Kinder gehen nicht in Regelunterricht

Aufgedeckt: Eltern betreiben offenbar alternative Schule bei Erlangen

24.11.2021, 05:55 Uhr
Offenbar nutzt die Gruppe die Königsmühle bei Erlangen-Eltersdorf für ihren alternativen Unterricht. 

© Anne Kleinmann Offenbar nutzt die Gruppe die Königsmühle bei Erlangen-Eltersdorf für ihren alternativen Unterricht. 

Im Erlanger Stadtteil Eltersdorf wird anscheinend bereits seit Wochen eine Art alternative Schule betrieben. Wie unsere Redaktion erfuhr, sollen dort teilweise mehr als 30 Kinder täglich privat unterrichtet werden und das auch während der eigentlichen Unterrichtszeit. Einige der Kinder haben demnach auch seit Monaten nicht mehr am Präsenzunterricht in ihren "richtigen" Schulen teilgenommen.

Grundstück außerhalb von Erlangen genutzt

Während dort angesichts der hohen Inzidenz in Bayern derzeit sowohl eine Test-, wie auch eine Maskenpflicht gilt, werden in der alternativen Schule bei Erlangen laut unseren Informationen keine derartigen Maßnahmen umgesetzt. Für den Besuch der alternativen Schule sollen die Eltern sogar ein Schulgeld von mehreren hundert Euro bezahlen. Für ihren Unterricht soll sich die Gruppe laut unseren Recherchen unter anderem an Inhalten orientieren, die von dem selbsternannten Lerncoach und Zauberkünstler Ricardo Leppe aus Österreich propagiert werden. Leppe spricht sich in seinen Videos bei YouTube offen gegen die Schulpflicht und die staatliche Verantwortung, pädagogische Inhalte zu vermitteln, aus.

Für ihren mutmaßlichen alternativen Unterricht nutzen die Eltern offenbar die Königsmühle - ein Anwesen außerhalb von Eltersdorf, mit einem großen Wohnhaus, einem großen Wirtschaftsgebäude und einer Scheune. Das bestätigte auch ein Vor-Ort-Besuch unserer Redaktion: Während der eigentlichen Unterrichtszeit brachten am frühen Morgen mehrere Eltern ihre Kinder auf das Gelände. Ansonsten war das Grundstück bei weiteren Besuchen vor Ort mit Bauzäunen abgesperrt, inklusive Schildern mit dem Hinweis, dass das Privatgrundstück nicht betreten werden dürfe.

Zu den Vorwürfen auf dem Gelände eine alternative Schule zu betreiben, wollten sich einige der Anwesenden auf Nachfrage unserer Redaktion aber nicht äußern. Das Gelände werde zur Versorgung von Tieren genutzt, hieß es lediglich. Auch bei diesem Besuch waren - zu eigentlichen Unterrichtszeiten - mehrere Kinder auf dem Gelände zu sehen.

Bis vor den Herbstferien war zumindest das Fernbleiben vom Präsenzunterricht sogar noch erlaubt. Lehnten Eltern oder auch Kinder beispielsweise die Test- oder Maskenpflicht an den Schulen ab, konnten letztere vom Präsenzunterricht befreit werden.

Um die dadurch teilweise über Monate weggebliebenen Kinder wieder ins System zu integrieren, drehte die Bayerische Staatsregierung nun zuletzt allerdings die Daumenschrauben an: "Schülerinnen und Schüler, die keinen negativen Test vorweisen, haben keinen Anspruch auf Distanzunterricht mehr. Die Schulpflicht kann also nicht durch Distanzunterricht erfüllt werden", betont das bayerische Kultusministerium hierzu auf Nachfrage. Ausnahmen von dieser Regelung gebe es nur bei Grunderkrankungen des Kindes oder einer im selben Haushalt lebenden Person und müssen per Attest nachgewiesen werden.

Private Schulen brauchen für Betrieb Genehmigung

Doch auch mit der neuen Regelung werden teilweise noch Kinder vom Unterricht ferngehalten, zeigt die Recherche unserer Redaktion: In Chatgruppen beim Nachrichtendienst Telegram, in denen sich Eltern zu dem Thema austauschen, schreiben einige offen, dass sie auch trotz der drohenden Konsequenzen ihre Kinder weiterhin nicht zur Schule bringen. Entsprechende Fälle müssen nun aber von den Schulleitern an die Behörden gemeldet werden. Bleiben die Eltern uneinsichtig, drohen Bußgelder und sogar ein Schulverweis.

Nicht nur deswegen sind schulähnliche Aktivitäten wie in Erlangen-Eltersdorf aber problematisch: "Private Ersatzschulen unterliegen den jeweiligen Landesgesetzen und dürfen in Bayern nur mit staatlicher Genehmigung der jeweils zuständigen Schulaufsichtsbehörden betrieben werden", schreibt das Kultusministerium hierzu auf Nachfrage. Um etwa eine neue Schule zu gründen, bedürfe es also eines umfangreichen Genehmigungs- und Abstimmungsprozesses.

Erst vor zwei Monaten wurde eine nicht genehmigte Schule in Oberbayern geschlossen. Dort hatte eine verbeamtete und seit der Pandemie krankgeschriebene Lehrerin rund 50 Kinder in einer Scheune unterrichtet. Private Ersatzschulen unterliegen allerdings den jeweiligen Landesgesetzen und dürfen in Bayern nur mit staatlicher Genehmigung der jeweils zuständigen Schulaufsichtsbehörden betrieben werden.

Um sich rechtlich nicht angreifbar zu machen, greifen einige Querdenker-Eltern in der Pandemie deswegen alternativ auf Lerngruppen zurück. Auch dann können sich allerdings die Behörden einschalten, heißt es vom Kultusministerium dazu: "Sollte keine Schule im Sinne des Begriffs vorliegen, können auch Kinderbetreuungsangebote, private Lerngruppen und die Nutzung von Gebäuden und Grundstücken durch die Behörden geprüft werden." Gebe es Verstöße gegen Rechtsvorschriften, könne der Betrieb sogar untersagt werden.

Eltern müssen mit Konsequenzen rechnen

Der schulähnliche Betrieb auf dem Gelände bei Eltersdorf gehört dazu offenbar bislang nicht. Vom staatlichen Schulamt, das für die Stadt Erlangen sowie den Kreis Erlangen-Höchstadt verantwortlich ist, heißt es, man habe zwar Gerüchte gehört, bislang aber keine "konkreten Informationen". Man wisse aber über die Schulleitungen von einigen Eltern, "die die Möglichkeit der Beurlaubung ihrer Kinder vom Präsenzunterricht bei individuell erhöhtem Risikoempfinden schon über einige Monate hinweg wahrgenommen haben". Und auch seit der nun geltenden Regelung gebe es weiterhin Schüler, die dem Unterricht fern blieben, bestätigt Schulamtsdirektor Frank Wessel auf Nachfrage.

Seien diese Kinder nicht etwa wegen Krankheit durch ein offizielles Attest entschuldigt, müssten die Schulleitungen die Eltern an die Behörden melden. Das Schulamt will nun überprüfen, ob dieser Schritt auch entsprechend erfolgt ist. Für mögliche rechtliche Konsequenzen, auch mit Blick auf den mutmaßlich illegalen Schulbetrieb, seien dann aber die Behörden beziehungsweise das Rechtsamt der Stadt zuständig, schließt Wessel.

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