Corona: Geringverdiener am finanziellen Abgrund

25.01.2021, 05:57 Uhr
Corona: Geringverdiener am finanziellen Abgrund

© Foto: af

In der ersten Oktoberwoche führte der Deutsche Caritasverband laut einer Pressemitteilung für die Erzdiözese Bamberg eine Erhebung unter seinen Insolvenz- und Schuldnerberatungsstellen in ganz Deutschland durch. Demzufolge sagen in Bayern 28 Prozent der Stellen, dass die Inanspruchnahme im Vergleich zum Vorjahr zugenommen habe, 15 Prozent registrieren außergewöhnlich viele Ratsuchende, die einen Minijob verloren haben. Dieses Klientel ist bei ihnen auf über ein Zehntel aller Klienten angewachsen.

Einen Anstieg an Ratsuchenden kann Jürgen Rotter bislang nicht verzeichnen, rechnet aber im Sommer oder Herbst diesen Jahres mit einem "Run auf die Schuldnerberatung", dem man hoffentlich gewachsen sei. Arbeitnehmer mit ohnehin schon geringerem Einkommen hätten mehr unter den Folgen der Pandemie zu leiden als Menschen mit höherem Einkommen. Finanzielle Polster seien kaum vorhanden, "dieses Klientel kann nicht auf einen Urlaub verzichten, weil es nie in den Urlaub fährt". Im Falle von Kurzarbeit würden sie "wegen oft fehlender tarifvertraglicher Zuschüsse und niedriger Tarifbindung im Niedriglohnsektor" seltener eine Aufstockung erhalten.

Schlecht bezahlte Jobs in Branchen wie dem Einzelhandel oder dem Gastgewerbe würden aufgrund des Lockdowns gänzlich wegfallen. Für solche Arbeitnehmer bedeute Kurzarbeit bis zu 40 Prozent Einbußen ihres Nettogehalts. Vor allem Familien würden auffallen, bei denen beispielsweise die Frau mit einem 450-Euro-Job die Haushaltskasse aufgebessert hat.

Die Lage dieser Minijobber sei besonders schwierig, rund drei Viertel von ihnen würden laut Rotter zu einem Niedriglohn arbeiten und hätten demnach keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Gerade solchen Menschen im unteren Einkommensbereich breche "ein erheblicher Teil" der Einnahmen weg. Hinzu kommen zusätzliche Kosten, beispielsweise für FFP2-Masken. Beim Homeschooling würden zwar Geräte gestellt werden, Kosten für Internet oder Druckerpatronen würden dennoch anfallen, sagt Rotter. Wurden die Kinder sonst mit Mittagessen in der Schule versorgt, müssen dafür nun die Eltern aufkommen.

Nicht "armutsfest"

Generell würde sich Rotter wünschen, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes II realistischer werde, der Regelsatz von Hartz IV – seit Januar erhalten Alleinstehende beispielsweise 432 Euro im Monat – sei nicht "armutsfest", "das ist keine neue Erkenntnis, aber Corona hat das offen gezeigt". 110 Euro seien beispielsweise für Hygieneartikel vorgesehen, nicht leistbar in Zeiten, in denen FFP2-Masken Pflicht sind. Die Diakonie – wie auch andere Verbände – habe deshalb eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II um 100 Euro für die Pandemie-Zeit gefordert.

Grundsätzlich hilft die Schuldnerberatung beispielsweise dabei, einen Haushaltsplan aufzustellen. Finanzielle Mittel kann sie nicht zusteuern, die Evangelische Landeskirche stelle aber seit März welche für dringende Fälle bereit. Rund 50 Anträge, teils im vierstelligen Bereich, seien dafür eingegangen, sagt Rotter.

Seit November sei das Beratungsangebot im Landkreis erneut stark eingeschränkt: Keine offenen Sprechstunden, hauptsächlich Beratung per Telefon oder E-Mail. In Krisensituationen sei der persönliche Kontakt freilich möglich. Pro Jahr würden im Schnitt etwa 250 Klienten zu den bestehenden hinzukommen. "Die Schulden entwickeln sich über Jahre", sagt Rotter, "es braucht meist die gleiche Zeit, um sie wieder abzubauen." Es sei ein längerer Prozess, bei dem alte Verhaltensmuster aufgelöst würden. Auch Scham spielt eine Rolle: Rotter appelliert, sich nicht zu scheuen, nach Hilfe zu fragen.

Keine Kommentare