Ankerzentrum Bamberg: Bewohner erheben schwere Vorwürfe

11.6.2019, 15:57 Uhr
Gewalt zwischen den Bewohnern des Ankerzentrums und dem Sicherheitsdienst gab es in der Vergangenheit immer wieder.

© Alexander Roßbach Gewalt zwischen den Bewohnern des Ankerzentrums und dem Sicherheitsdienst gab es in der Vergangenheit immer wieder.

"Wir managen eigentlich eine kleine Stadt", sagt Stefan Krug, Sicherheitschef im Regierungsbezirk Oberfranken, über das Ankerzentrum Bamberg. Denn in den 13 auf dem Gelände genutzten Wohngebäuden leben zwischen 1.200 und 1.500 Asylbewerber – das sind rund sieben Personen pro Wohneinheit. "Wir hatten im Jahr 2015 auch in Oberfranken die Situation, dass zum Teil 800 Menschen pro Tag mit Bussen hier angekommen sind", erinnert sich Krug. Das Ankerzentrum, im August 2018 gestartet, bietet 1.500 Plätze für Asylsuchende. Aktuell sind 1.143 Personen einquartiert.

Das Asylverfahren: "Die Asylbewerber bleiben grundsätzlich bis zum Abschluss des Verfahrens hier", berichtet Peter Immler, Leiter der lokalen Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Eine rechtliche Grundlage, gegen den Willen in der Aufnahmeeinrichtung festgehalten oder am Verlassen gehindert zu werden, gibt es dabei nicht. Wird der Asylantrag positiv entschieden, werde unmittelbar kommunal verteilt. Im Falle der Ablehnung gelte die Ausreisepflicht und es drohe die Rückführung, so Immler weiter. Vergangenes Jahr wurden 389 Ausreisepflichtige aus dem Ankerzentrum abgeschoben. Für das laufende Jahr ist das Saldo – im Schnitt mit 255 Zugewanderten pro Monat bei 296 Abgängen – in Oberfranken negativ. Ausreise ist geläufiger als Einreise.

Heimat auf Zeit

"Die Menschen sind im Durchschnitt ungefähr vier Monate hier", betont Regierungsmann Krug. Das Niedrigste seien zwei Wochen. Ein genauer Blick zeigt, dass 59 Prozent der Asylsuchenden ein bis drei Monate im Ankerzentrum bleiben. Die weiteren 41 Prozent sind zwischen drei und 24 Monaten ansässig. Das Maximum bilden gegenwärtig 15 Personen, alles Fälle aus sicheren Herkunftsstaaten, "die zwei Jahre bei uns sind", so Jürgen Wolf, Sachgebietsleiter für die Erstaufnahme von Asylbewerbern im Regierungsbezirk Oberfranken. "Das heißt, sie wären eigentlich dazu verpflichtet, wieder in ihr Heimatland zurück zu gehen", so Wolf.

Für viele ein Kommen und Gehen, für manche ein Bleiben. Einer der statistischen Ausreißer ist ein Mann aus dem Senegal. Rund 60 Personen aus dem westafrikanischen Staat sind zurzeit untergebracht. Sein Name: Chico. Er lebt seit 2017 in der Ankereinrichtung Oberfranken und kritisiert auf einer Protestkundgebung: "Wir leben in einem Gefängnis namens Ankerzentrum, wo wir von der Polizei schikaniert werden". De jure vollziehbar ausreisepflichtig, de facto zeigen sich manche Herkunftsstaaten bei der Identitätsfeststellung und Rücknahme ihrer Staatsbürger wenig kooperativ. Die Folge: Endstation Ankerzentrum. Bei freiwilliger Ausreise stünden dem Staatenlosen finanzielle Mittel aus Rückkehrprogrammen zur Verfügung. Es seien zwei Jahre "ohne einen Transfer woanders hin", "voller Schikanen", und das "ohne Papiere an einem der schlimmsten Orte" gewesen. Immer weniger der Leute im Lager, so Chico, wollen zu den Ärzten gehen, "weil sie nur noch Schmerzmittel" bekämen.

Protest hat Tradition

Ein anderer Fall ist der von Armin. Der junge Mann stammt aus dem Iran, floh mit der ganzen Familie. Der Iran gehört neben der Russischen Föderation und Nigeria im Moment zu den drei am stärksten vertretenen Herkunftsländern vor Ort. "Ich bin seit elf Monaten in diesem Camp", berichtet er knapp 80 Demonstranten vor den Zäunen des Ankerzentrums. Der Protest gegen die Ankerzentren hat in Bamberg Tradition, ist zuletzt aber deutlich zurück gegangen. Armins Vater und sein Bruder seien in Eichstätt in Gewahrsam, die Mutter steckt in der Bamberger Psychiatrie am Michelsberg. "Sie können nicht in Deutschland bleiben", teilte ihm das BAMF mit. Der Grund: Der Erstantrag auf Asyl wurde in Italien gestellt – ein Dublin-Fall –, das heißt: Italien ist für sein Asylverfahren zuständig, dorthin müsse er fahren. Und die Familienangehörigen? "Wir wollen in Deutschland bleiben", sagt er abschließend und bedankt sich fürs Zuhören.

Thomas Bollwein vom Bayerischen Flüchtlingsrat in Nordbayern verfolgt die Zustände im Ankerzentrum seit Langem. "Zurzeit beobachten wir das Problem der Security-Gewalt", macht Bollwein deutlich. Zum Vergleich: Zwei Ehemalige des Sicherheitsdienstes erstatten im Oktober 2017 Anzeige bei der Polizei in Bamberg, weil sie eine 'Sondertruppe' innerhalb des Security-Personals beobachtet hätten, die zu gewalttätigem Verhalten gegenüber Bewohnern des Ankerzentrums neige. Die Leitung reagierte mit einem neuen Gewaltschutzkonzept und der Freistellung auffälliger Wachleute. Das Verfahren wurde später mangels Tatnachweisen eingestellt. Für Bollwein ein bis heute strukturelles Problem, das immer wieder auftrete, weil die Sicherheitskräfte – 65 Personen in der Tagschicht und 35 während der Nacht – von unabhängigen Stellen "nicht überwacht oder kontrolliert werden".

Kein Sicherheitsgefühl

Farzaneh Ezati vom Nürnberger Imedana e.V. unterstützt geflüchtete Frauen im Alltag. Rund 38,3 Prozent der Asylsuchenden im Ankerzentrum sind weiblich; dem gegenüber sind 61,7 Prozent der Untergebrachten männlich. Sie sagt: "In diesen Ankerzentren gibt es kein Sicherheitsgefühl für die Flüchtlinge." Zimmertüren dürfen nicht abgesperrt werden, Privatsphäre und Sicherheit fehle, sie hätten Ängste und wüssten oft nicht, was mit ihnen passiere, so die Flüchtlingshelferin. Ihre Bilanz: Die Situation für Flüchtlinge in Bayern habe sich in den zurückliegenden Jahren verschlimmert. Bollwein beanstandet die psychologische Betreuung, die im Ankerzentrum Bamberg nicht ausreiche, um alle Bewohner zu versorgen. Es gebe eine Psychotherapeutin für rund 1.500 Menschen. "Was sie tut, ist Pillen verschreiben", sagt er.

Getrennte Wege: Samira kam mit Ehemann und Kind per Flugzeug nach Deutschland. Drei Monate ist das her: "Mein Mann ist in München in ein anderes Lager gekommen" und sie wurde mit Tochter von München nach Bamberg geschickt. Iran – das ist eines der Länder mit höherer Schutzquote. "Er wurde nach Iran abgeschoben" und säße dort in Haft, berichtet die nun Alleinstehende verständnislos, "obwohl er hier in Deutschland einen Anwalt gehabt hat". Sein Anwalt habe von der Abschiebung nichts erfahren, sagt sie: "Und ich bin hier – getrennt."

Über 200 Kinder

Die Schutzquote im Ankerzentrum Bamberg liegt aktuell zwischen 30 und 35 Prozent. Das heißt, etwa jeder dritte Asylantragssteller wird als Flüchtling komplett oder teilweise anerkannt. Über 200 Kinder im Alter bis 10 Jahre leben auf dem Gelände. Die größte Gruppe bilden die 26- bis 40-Jährigen, gefolgt von den 18- bis 25-Jährigen. Oberflächlich betrachtet ist der typische Bewohner des Ankerzentrums also männlich, etwa 27 Jahre alt und hat höhere Chancen auf Ablehnung als auf Asyl. Von den Abgelehnten ziehen laut Angaben der Regierung Oberfranken rund 60 Prozent ins Ausland oder tauchen unter, bei etwa 40 Prozent kommt es zur Abschiebung. Die Schutzquote, so Sachgebietsleiter Wolf, ergebe sich anhand der Herkunftsländer der Asylsuchenden: "Wir vor Ort haben 15 Herkunftsländer, acht davon sind als sichere Herkunftsländer identifiziert. Und wir haben von diesen acht alle im Portfolio."