Corona: Nürnberger Intensivmediziner warnt vor Engpässen

5.11.2020, 17:44 Uhr
Bei der ersten Corona-Welle mussten bis zu 15 Prozent der Patienten in Krankenhäusern intensivmedizinisch behandelt werde. Foto: Klinikum Nürnberg

© Klinikum Nürnberg Bei der ersten Corona-Welle mussten bis zu 15 Prozent der Patienten in Krankenhäusern intensivmedizinisch behandelt werde. Foto: Klinikum Nürnberg

Bei der ersten Corona-Welle musste ein relativ großer Anteil der Patienten in den Krankenhäusern auf der Intensivstation behandelt werden. "Das waren durchaus bis zu fünfzehn Prozent der wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus aufgenommenen Patienten", sagt Professor Dr. Stefan John, Leiter des Funktionsbereichs Intensivmedizin am Nürnberger Klinikum.

Wie viele Betroffene diesmal so schwer erkranken, sei noch nicht präzise abzuschätzen. Doch die Zahl der belegten Intensivbetten steigt wieder. "Wir haben alle am Anfang gehofft, dass es diesmal nicht so schlimm wird, was die intensivmedizinische Behandlung angeht. Die Zahlen sprechen aber jetzt klar dagegen, mit dem schnellen Anstieg der Infektionen werden mit dem entsprechenden Zeitversatz auch die Intensivzahlen steigen", so John, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin ist.

Hilferuf aus Augsburg

Bereits jetzt seien deutschlandweit fast wieder so viele Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt, wie im April. Aus Augsburg kam bereits ein Hilferuf, weil am dortigen Klinikum die Überlastung droht. "Bei uns ist es noch nicht so schlimm und ausgeprägt, wir sind da noch ein wenig verschonter als andere Regionen", sagt John. Auch wenn in Nürnberg der Inzidenzwert hoch ist. Aktuell werden am Südklinikum vier Patienten intensivmedizinisch versorgt, drei von ihnen müssen beatmet werden. Am Nordklinikum sind es sechs, in den Krankenhäusern Nürnberger Land zwei Patienten.

Doch das kann sich schnell ändern. Am 1. Oktober wurden in ganz Deutschland 362 Infizierte auf den Intensivstationen behandelt, am 5. November waren es laut DIVI-Intensivregister bereits 2653. Und der Aufwand bei der Behandlung ist immens, so John. "Wir müssen die Patienten isolieren, für das Zimmer muss es eine Schleuse geben, entsprechend muss das Personal auch eine komplette Schutzkleidung anlegen, die aus einem Schutzkittel, einer Kopfbedeckung und vor allem entsprechenden Masken besteht."

Große Belastung

Professor Dr. Stefan John, Leiter des Funktionsbereichs Intensivmedizin am Nürnberger Klinikum.

Professor Dr. Stefan John, Leiter des Funktionsbereichs Intensivmedizin am Nürnberger Klinikum. © Klinikum Nürnberg

Bei Eingriffen wie beispielsweise einer Spiegelung der Atemwege kommen weitere Maßnahmen hinzu. "Sie haben dann eine Schutzbrille auf plus vielleicht noch ihre normale Brille und noch ein zusätzliches Plastikvisier und damit müssen Sie dann arbeiten", so John. Zudem "muss man sich alles bringen lassen, man kann ja nicht selber schnell mal rausgehen und was holen, sondern es muss immer jemand von außen zuarbeiten.

Nicht nur für die Ärzte, sondern v.a. auch für die Pflegekräfte sei diese Situation physisch belastend. "Wenn man so eingepackt ist, dann kann man auch nicht beliebig lange drinbleiben und braucht wieder entsprechende Pausenzeiten."

Viele Patienten werden auch in Bauchlage gebracht, weil so die Sauerstoffversorgung im Körper besser ist. "Aber auch das ist ein zusätzlicher pflegerischer Aufwand, wenn die Patienten eben an den Schläuchen und der Überwachung sind und man sie dann auf den Bauch drehen muss und wenn man dann röntgen will, muss man sie wieder zurücklegen und so weiter", so John.

Eine Pflegekraft für zwei Patienten

Eine Pflegekraft könne deshalb maximal zwei Corona-Patienten auf der Intensivstation betreuen, ein Mediziner zehn. "Und das muss ja rund um die Uhr passieren." Der Personalaufwand sei damit nochmals höher als bei einem Intensivpatienten, der aus einem anderen Grund beatmet werden muss. "Es ist deutlich anstrengender auf einer Corona-Intensivstation als auf einer normalen Intensivstation", so John.

Zumal sich der Zustand der schwer Erkrankten schnell verschlechtern kann. "Natürlich gibt es Patienten, die noch nicht beatmet werden müssen, die aber wegen einer schweren Störung der Sauerstoffversorgung im Blut eben auf der Intensivstation überwacht werden müssen. Das erstaunliche bei der Covid-Erkrankung ist ja, dass sich die Patienten selber oft gar nicht so schlecht fühlen obwohl der Sauerstoffgehalt des Blutes schon drastisch vermindert ist."

Kommt es zur Verlegung auf die Intensivstation, wird in der ersten Phase nur Sauerstoff über eine Maske gegeben. Genügt das nicht, gibt es die Möglichkeit zur so genannten High-Flow-Sauerstoffbehandlung. Dabei wird ein Schlauch in die Nase eingelegt, durch den der Patient pro Minute mit bis zu 60 Litern Sauerstoff versorgt wird.

Erhöhte Infektionsgefahr

Das ist sowohl für den Patienten unangenehmer als auch für das Personal mit einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden, "möglicherweise weil da sehr viele Aerosole gebildet werden", so John. "Wenn das alles nicht geht, müssen die Patienten intubiert und künstlich beatmet werden", was "relativ häufig" nötig ist.

Die Sorge, dass das Personal in den kommenden Wochen nicht reichen wird, ist da. "Es ist ja nichts Neues, dass es einen Pflegemangel in Deutschland gibt und den gerade im Intensivbereich", so John. In "normalen" Zeiten gebe es "gerade so genug Pflegekräfte für die Intensivkapazitäten."

Im Gegensatz zur ersten Welle, die geprägt von Problemen mit fehlenden Maschinen und Schutzausrüstungen waren, "hätten wir jetzt eine große Schwierigkeit, die zusätzlich aufgebauten Intensivplätze auch zu betreiben", sollten sie aufgrund steigender Patientenzahlen in Betrieb genommen werden müssen.

Pflegepersonal selber betroffen

Auch, weil dazu ein höherer Krankenstand bei den Pflegekräften kommt, was auch mit der steigenden Coronavirus-Durchseuchung der Bevölkerung zusammenhängt. "Dadurch sind auch viele Pflegekräfte direkt oder über ihr Umfeld betroffen und müssen beispielsweise in Quarantäne gehen, weil der Ehepartner positiv getestet wurde."

Wie groß der Personalengpass am Ende sein wird, ist noch nicht abzusehen. Das günstigste Szenario ist laut John, dass zusätzliche Pflegekräfte von außen gewonnen werden können. "Da gibt es doch eine ganze Menge Leute bei uns, die eine Pflegeausbildung hatten und mittlerweile ein Studium aufgenommen haben. Die haben uns in der ersten Welle zum Beispiel sehr geholfen."

Auch in der Klinikumsverwaltung gebe es "nicht wenige Pflegekräfte, die eine Intensivausbildung haben. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass in den Operationssälen nur noch nicht aufschiebbare Eingriffe stattfinden und dadurch weitere Pflegekräfte freigesetzt werden.

"Im schlimmsten Fall wird sich der Betreuungsschlüssel einfach deutlich verschlechtern, weil wir dann alle zusehen müssen, wie wir die Patienten noch versorgt kriegen."

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