Debatte um Sterbehilfe: Das sagt ein Experte aus Franken

25.2.2020, 18:20 Uhr
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird am Mittwoch ein Urteil über das Verbot sogenannter geschäftsmäßiger Sterbehilfe sprechen.

© Sebastian Kahnert Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird am Mittwoch ein Urteil über das Verbot sogenannter geschäftsmäßiger Sterbehilfe sprechen.

Hintergrund sind sechs Verfassungsbeschwerden, über die im April 2019 mündlich verhandelt wurde. 2015 hatte der Bundestag nach langen und kontroversen Debatten den neuen Paragraph 217 Strafgesetzbuch beschlossen, wonach "geschäftsmäßige Förderung zur Selbsttötung" eine Straftat ist. Diese Einstufung ist bis heute umstritten. Hans Kudlich, seit 2004 Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen als Professor tätig, vertritt mehrere schwerkranke Menschen in dem Fall. Im Interview erklärt er, wieso der Paragraph so in der Kritik steht.

Wie kam es dazu, dass Sie sich mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigen?

Hans Kudlich: Zunächst bin ich damit schon durch meine Biografie mit dem Thema "Sterben in Würde" in Berührung gekommen: Ich habe Zivildienst in einem Krankenhaus gemacht, meine beiden Eltern waren Ärzte, meine Mutter hatte eine kurze, aber sehr schwere Krankheit vor ihrem Tod. Im Jahr 2012 hatte ich mich zufällig auch in einem rechtsphilosophischen Vortrag mit dem Thema befasst. Insgesamt hatte ich deshalb eine sehr klare Meinung zur Autonomie von Sterbewilligen. Als mich der Münchner Strafverteidiger Professor Knauer, der für die Verfassungsbeschwerde als Prozessvertreter angefragt worden war, gebeten hat mitzumachen, war das für mich keine Frage, zumal wir auch schon in anderen Verfahren zusammengearbeitet haben und wir zum Thema Suizidbeihilfe eine ganz ähnliche Grundhaltung vertreten.


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Mit dem Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches wurde ja die "geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid" unter Strafe gestellt wird. Was genau ist denn mit dem Wort "geschäftsmäßig" gemeint?

Kudlich: Ausgangspunkt war, dass der Gesetzgeber nicht dem einzelnen verbieten wollte, sich das Leben zu nehmen, sondern nur eine gewisse organisierte Form der Unterstützung dafür. Gewählt wurde dafür das Wort "Geschäftsmäßigkeit" Das ist etwas anderes als der im Gesetz häufig verwendete Begriff "Gewerbsmäßigkeit", denn das würde bedeuten, dass man mit der Suizidhilfe finanziellen Gewinn machen will. Der Gesetzgeber wollte das hier aber bewusst weiter fassen, um auch Vereine wie zum Beispiel "Sterbehilfe Deutschland" zu erfassen, die nicht in Gewinnabsicht handeln.

Hans Kudlich wurde in Neustadt an der Aisch geboren. Für sein Studium ging er erst nach Augsburg, dann nach Würzburg, wo er auch promovierte. Seine Habilitation machte er in München. Danach arbeitete er zwei Jahre an der privaten Rechtsuniversität „Bucerius Law School“ in Hamburg als Professor, bevor er 2004 nach Erlangen an die Friedrich-Alexander-Universität wechselte.

Hans Kudlich wurde in Neustadt an der Aisch geboren. Für sein Studium ging er erst nach Augsburg, dann nach Würzburg, wo er auch promovierte. Seine Habilitation machte er in München. Danach arbeitete er zwei Jahre an der privaten Rechtsuniversität „Bucerius Law School“ in Hamburg als Professor, bevor er 2004 nach Erlangen an die Friedrich-Alexander-Universität wechselte. © Michael Matejka

Ab wann handelt man denn "geschäftsmäßig"?

Kudlich: Grob gesagt handelt man geschäftsmäßig, wenn man vorhat, wiederholt tätig zu werden. Also man macht das nicht nur ein Mal, sondern mehrfach oder behält sich zumindest vor, noch ein zweites Mal einem Menschen zum Suizid zu verhelfen.

Das trifft dann in diesem Fall auf sehr viele Ärzte und Palliativmediziner zu.

Kudlich: Genau, es könnte jedenfalls auf alle Mediziner zutreffen, die bereit sind, diese Form der Unterstützung zu gewähren, wenn jemand selbst sein Leben verkürzen will. Man muss aber fairerweise differenzieren: Wenn in einem bestimmten Stadium der Erkrankung schmerzlindernde Mittel in hohen Dosen gegeben werden müssen, von denen man weiß, dass sie das Leben des Patienten verkürzen könnten, weil sie etwa auch den Kreislauf supprimieren, sind solche Fälle der sogenannten indirekten Sterbehilfe grundsätzlich straffrei. Bei der Suizidbeihilfe sprechen wir von Fällen, in denen die Patienten gezielt lebensverkürzende Mittel nehmen. Viele Mediziner lehnen eine Hilfestellung dabei ohnehin ab, entweder weil sie es nicht mit ihrem Berufsethos vereinbaren können oder weil sie meinen, dass angesichts der vielfältigen Möglichkeiten in der Palliativmedizin, Schmerzen zu lindern, im Grunde niemand einen Sterbewunsch verspüren muss. Es gibt aber eben auch Ärzte, die grundsätzlich dazu bereit sind, aktive Suizidunterstützung zu leisten. Bei ihnen läge dann angesichts ihres Berufes nahe, dass sie auch bereit wären, nicht nur einem Patienten in ihrer Laufbahn zu helfen.

Warum hat man denn 2015 überhaupt einen neuen Paragraphen eingeführt?

Kudlich: In der Gesetzesbegründung hieß es, dass man dadurch ein suizidfreundliches Klima in Deutschland verhindern will. Man wollte nicht, dass Suizid etwas gesellschaftlich Akzeptiertes wird. Ist Suizid, so die Argumentation, kein Tabu mehr, könnten sich zum Beispiel alte, kranke Menschen unter Druck gesetzt fühlen, solche Maßnahmen zu ergreifen, die Allgemeinheit oder ihre Angehörigen nicht weiter zu belasten. Man hatte also Angst, dass Menschen sich zu Selbsttötung gedrängt fühlen könnten und damit ihre Autonomie am Lebensende verkürzt würde.

Halten sie diese Befürchtung denn für berechtigt?

Kudlich: Ich halte sie aus zwei Gründen nicht für berechtigt: Zum einen: Bis 2015, war die Hilfe zum Suizid nicht strafbar. In den fast 150 Jahren seit Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches 1871 ist dieses Klima nie aufgekommen, das legt zumindest nicht nahe, dass diese Gefahr besteht. Zum anderen: Wenn es tatsächlich einzelne Fälle gibt, in denen Menschen solche schlimme Gedanken kommen, dann ist zwar schrecklich. Aber meiner Meinung nach wäre die Position dieser Menschen trotzdem weniger schützenswert als die Position derjenigen, die frei verantwortlich ihr Leben beenden wollen. Denn wenn der Staat gewisse Freiheiten gewährt, dann müssen das auch die, die diese Freiheit nicht nutzen wollen, aushalten.

Sie vertreten nun in dem Verfahren vier Patienten?

Kudlich: Richtig, wir haben in dem Verfahren vier alte, kranke Patienten vertreten, die an ganz unterschiedlichen schweren Erkrankungen mit einem unheilbaren und absehbar schweren Verlauf litten. Einige hatten im engsten familiären Umfeld lange und qualvolle Krankheitsverläufe und Sterbeprozesse miterlebt und für sich deshalb beschlossen, ihr Lebensende – wenn die Situation es erfordert – selbstbestimmt zu gestalten. Zwei unserer Beschwerdeführer sind in der Zwischenzeit allerdings schon verstorben. Den anderen beiden geht es gesundheitlich leider auch so schlecht, dass sie zu der Urteilsverkündung nicht selbst kommen können.

Ihren Mandanten ging es jetzt bei der Beschwerde aber jetzt nicht um den Punkt der "Geschäftsmäßigkeit", richtig?

Kudlich: Nein, das betrifft die Ärzte, die sich durch den Paragraphen kriminalisiert fühlen. Von dieser Seite wurde auch eine Beschwerde eingereicht. Manche Verteidiger des Paragraphen argumentieren übrigens, dass Ärzte nicht unter diesen Paragraphen fallen. Allerdings empfinden viele Mediziner hier eben aktuell eine unzumutbare Rechtsunsicherheit. Bislang ist mir zwar noch kein Verfahren bekannt, bei dem es wirklich zu einer Anklage gegen einen Arzt gekommen ist – aber gerade deshalb sind die Grenzen hier eben auch noch nicht ausgelotet. Unsere Mandanten fühlen sich dagegen fühlen in ihrem Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben beschnitten, weil sie niemanden dazu um Hilfe bitten können, der das geschäftsmäßig macht, was aber auch heißt: der sich damit auskennt. Plakativ und etwas überspitzt: Helfen lassen darf man sich nur noch von Leuten, die davon keine Ahnung haben – das ist bei einem so wichtigen Thema keine schöne Aussicht.

Das Recht auf Selbstbestimmtheit wiegt ihrer Meinung hier also höher?

Kudlich: Ja. Wir vertreten nicht die Ärzte, die sich "nur" auf ihre Berufsfreiheit berufen, sondern alte, kranke Patienten. Und die sehen sich in ihrem Selbstbestimmungsrecht, also dem Recht selbst darüber zu entscheiden, wie man stirbt, eingeschränkt. Momentan könnten sie zwar einen Angehörigen bitten, beim Suizid zu helfen. Wenn man aber als alter Mensch zum Beispiel seine Tochter um Hilfe bittet, dann hat die normalerweise nicht das nötige Wissen dafür, und vielleicht bringt sie es - aus absolut nachvollziehbaren Gründen – auch nicht übers Herz, ihrem Vater helfen, sich zu töten. Nicht jeder hat die Möglichkeit, jemanden zu finden. Damit werden die Möglichkeiten einer würdevollen Selbsttötung erheblich eingeschränkt. Politisch ist Deutschland, im Gegenteil zu anderen Ländern wie der Schweiz sehr zurückhaltend, was Sterbehilfe angeht.

Was denken Sie, warum ist man hier so restriktiv?

Kudlich: Auf den ersten Blick liegt nahe, hier historisch zu argumentieren, aber das überzeugt mich nicht. Wir haben 60 Jahre vor und 70 Jahre nach der NS-Diktatur die Rechtslage gehabt, dass die Unterstützung des Suizids erlaubt war. Die Unterstützung eines schwer kranken Menschen, der sein Schicksal nicht mehr ertragen kann, hat nichts mit dem NS-Schrecken zu tun.

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