Eine Fürther Firma lässt Omas für sich stricken

31.10.2013, 07:01 Uhr
Eine Fürther Firma lässt Omas für sich stricken

© MyOma

Hätte sie die Deutschlandkarte doch nur gekauft, denkt sich Sigrid Wiese. Dann wüsste sie jetzt, wo die Stadt genau liegt. Draußen, hinter den Fenstern des ICE, ziehen Bäume vorbei, Häuser, weite Landschaften. Die 65-Jährige atmet tief durch. Es wird ohne die Karte gehen. Wohin sie muss, weiß sie ja. Dinslaken, in die Hans-Böckler-Straße 10-12.

Dort befindet sich der Handwerksladen Quiltzauberei, wo sie vor Strickfans das Buch „Wollrausch“ vorstellen soll – das Strickbuch von MyOma, einem Fürther Unternehmen, für das Sigrid Wiese seit mehr als einem Jahr arbeitet. Wiese will über die Kollektion sprechen und die Firmenphilosophie. Denn bei MyOma ist Alter kein K.o.-Kriterium, sondern eine Voraussetzung.

Verena Röthlingshöfer, Geschäftsführerin von MyOma (deutsch: meine Oma), steht im Büro des Unternehmens. Zu ihren Füßen ruht ein Karton mit der neuesten Winterkollektion – Mützen, Schals, Stulpen. Alles aus dicker Wolle und alles selbst gestrickt von Röthlingshöfers angestellten Omas. Während die Politiker über die Überalterung der Gesellschaft und den Fachkräftemangel diskutieren, hat die 33-Jährige längst Nägel mit Köpfen gemacht.

Omas haben schließlich Fähigkeiten, die andere zu schätzen wissen. Mehr als 25 Omas aus Franken greifen mittlerweile für das Fürther Unternehmen zu den Stricknadeln. Deutschlandweit sind es weit mehr. Handarbeit in Geld zu verwandeln, steht für Röthlingshöfer jedoch nicht im Vordergrund. „Ich wollte etwas schaffen, das älteren Menschen eine Aufgabe gibt“, sagt sie, die MyOma vor zwei Jahren mit ihrem Bruder gegründet hat. Seit dem vergangenen Jahr hat sich sogar ein älterer Herr, Opa Klaus, zu der Damenrunde gesellt.

„MyOma hat mein Leben umgekrempelt“

Die Mützen und Schals mit Namen wie Schneestrickchen, Maschentraum oder Herr und Frau Wolle können die Kunden über das Internet bestellen. Danach verteilt Verena Röthlingshöfer die Aufgaben auf die Omas, je nachdem, wer gerade Zeit hat. Wolle und Stricknadeln stellt das Unternehmen und damit es ihre Angestellten so bequem wie möglich haben, gibt es – wer wünscht – auch die teureren Bambusnadeln.

Gestrickt werden kann daheim oder in der großen Küche des Unternehmens. Die Damen bringen manchmal sogar ihre Enkelkinder mit, sagt Röthlingshöfer, die der Trubel überhaupt nicht stört. Denn auch das will ihr Unternehmen erreichen: einen Ort schaffen, an dem sich die Omas austauschen können.

Eine Fürther Firma lässt Omas für sich stricken

© dpa



Nach zwei Wochen wird die Ware verschickt, zusammen mit einer Karte der Strickerin, einem Foto und Grußworten: „Herzlichen Dank für die Bestellung! Ich habe mich sehr über Ihren Strickauftrag gefreut und hoffe, dass Ihnen meine Handarbeit gefällt.“

Ein Drittel des Verkaufspreises fließt auf das Konto der Angestellten. Für Sigrid Wiese ist das ein Zubrot, aber nicht der ausschlaggebende Grund, warum sie bei MyOma arbeitet. Sie verdankt dem Unternehmen sehr viel und fühlt sich als ein Teil von MyOma. „MyOma hat mein Leben umgekrempelt.“ Früher waren schon kleine Dinge eine große Herausforderung. Sigrid Wiese erzählt etwa von jenem Tag, an dem sie das erste Mal mit der Nürnberger U-Bahn gefahren war. Als sie am Ende beim Unternehmen in Fürth angekommen war, klebte das Unterhemd an ihrem Rücken. Vor lauter Anspannung war sie völlig durchgeschwitzt.

Heute ist von Unsicherheit und „furchtbaren Hemmungen“ nichts mehr übrig. Es ist fast schon Alltag geworden, in Buchhandlungen über das Stricken zu sprechen und in Kursen den Gästen Tipps zum Thema Maschen zu geben. Dass sie ständig auf Achse ist, tut ihr gut. So hat sie keine Zeit, über ihre Wehwehchen nachzudenken, sagt die 65-Jährige und muss schallend lachen. „Mir hätte nichts Besseres passieren können. Ich habe ein unheimliches Selbstbewusstsein gekriegt“, sagt Sigrid Wiese heute. „Ich weigere mich darüber nachzudenken, wie mein Leben ohne MyOma verlaufen wäre.“

Die Idee zu MyOma ist Verena Röthlingshöfer während ihres Urlaubs gekommen, als sie im Fernsehen einen Bericht über ältere Damen sah, die sich zum Stricken trafen. Es war die Initialzündung. Obwohl sie damals noch in einer PR-Agentur in München gearbeitet hat, war der Weg zum Unternehmen mit Omas als Angestellten gar nicht so weit. Sie ist ein Oma-Kind, sagt die 33-Jährige. In ihrer Kindheit hat sie mit ihrer Oma unter einem Dach gelebt. Oben wohnten Röthlingshöfers Eltern, im Erdgeschoss die Oma. „Ich fühle mich unter Omas wohl.“ Sigrid Wiese heißt für sie daher Oma Siggi.

Sigrid Wiese will das Smartphone in Angriff nehmen

Gemeinschaft. Gesellschaft. Das Gefühl, gebraucht zu werden. MyOma will mehr sein als nur ein klassischer Arbeitgeber. Einmal im Monat, immer am letzten Mittwoch, kommen die Omas in der Küche der Firma zusammen. Es gibt Kaffee und Kuchen und neben geschäftlichen Dingen wird viel über Privates Gesprochen. „Wie geht es den Enkelkindern? Gut, und deinen? Was hast du als letztes gestrickt?“ Röthlingshöfer, die immer ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Omas hat, ist diese lockere, herzliche Atmosphäre sehr wichtig.



Vor kurzem hat Verena Röthlingshöfer in Fürth noch das MyOma-Café eröffnet. In dem kleinen Raum mit einem angeschlossenen Café sollen sich Jung und Alt treffen – und gegenseitig helfen. Häkeln. Nähen. Drechseln. Röthlingshöfer fand es schade, dass diese Fähigkeiten keinen Platz mehr hatten. Sigrid Wiese ist jedenfalls von der Idee eines MyOma-Cafés begeistert. Sie wird hingehen, denn sie hofft, dass ihr dort endlich mal ein Jüngerer erklärt, wie ein Smartphone funktioniert. „Die eigenen Kinder haben dafür keine Geduld.“

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