Jubiläum

10 Jahre evangelische Kirche in Herzogenaurach: Für Architekten eine Königsdisziplin

10.12.2020, 05:41 Uhr
10 Jahre evangelische Kirche in Herzogenaurach: Für Architekten eine Königsdisziplin

© Christine Schlederer

Herr Wimmer, was sind die Besonderheiten des Herzogenauracher Entwurfs gewesen?

Nach außen sollte die Kirche sichtbar sein und Teil der Turmsilhouette der Stadt. Im Innern war ein Sakralraum gewünscht, der sowohl der großen Feier Raum gibt, als auch dem kleineren Besucherkreis ein intimeres Beisammensein erlaubt.

In die neue Kirche wurden Teile der alten Kirche integriert.

Richtig. Die Aufgabenstellung dieser Kirchenerweiterung haben wir umgesetzt, indem die bis auf den Chorraum abgetragene alte Kirche weiterhin die Mitte bildet. Diese ist ablesbar an den Stützen, die dem Verlauf der alten Wände folgen. Die Erweiterung nach allen Seiten erlaubt im zweiten Schritt die Ausbildung des größeren Kirchenraums mit Empore, Foyer und Nebenräumen, sowie die Angliederung der Gemeinderäume unter einem gemeinsamen großen Dach. Aus diesem wächst zentral der Glockenturm hervor. Als Identität stiftend wurden neben dem Chor auch die alte Holzbalkendecke und das Betonkruzifix in den Neubau übernommen.

10 Jahre evangelische Kirche in Herzogenaurach: Für Architekten eine Königsdisziplin

© Foto: privat

Ist es nun also ein Neubau oder eine Erweiterung gewesen?

Man muss wohl sagen: beides. Die evangelische Gemeinde dieses kleinen Ortes mit drei Dax-Unternehmen war über die Jahrzehnte gewachsen. Die Kirche war deutlich zu klein geworden und weitere Räume waren auch erforderlich für ein erweitertes gesellschaftliches Angebot. Sie erscheint als Neubau, der wie bei vielen historischen Kirchenvergrößerungen Elemente des Vorgängerbaus einbezieht.

Was reizt Sie am Kirchenbau?

Sakralräume sind große Gemeinschaftsräume, die vor allem einem geistigen Anspruch dienen. Sie stehen anderen soziokulturellen Nutzungen offen, aber der religiöse Ritus und seine Feier stehen im Mittelpunkt. Keine andere Bauaufgabe erlaubt es unverwechselbare Gebäude und Räume für eine solch ideelle Nutzung mit so hohem Anspruch zu entwerfen. Kirchenbau galt daher schon immer als Königsdiziplin in der Architektur.

Gibt es heutzutage überhaupt noch Chancen für weitere Kirchenbauten?

Chancen für weitere Wettbewerbe für Neubauten gibt es tatsächlich immer wieder mal. Vor allem aber liegt das Potenzial im Umgang mit dem qualitätsvollen Bestand von Kirchenbauten. Umnutzungen, Erweiterungen und Ersatzbauten können ebenso wie der reine Neubau zu spannenden Ergebnissen führen.

Sie haben auch die aufsehenerregende Kirche in Holzkirchen gebaut.

Ja, die katholische Kirche St. Josef Holzkirchen war mehr oder weniger ein Ersatzbau. Das alte Kirchengebäude der 60er Jahre musste wegen Baufälligkeit gesperrt werden. Zudem wurden mehrere Umlandgemeinden zu einem Pfarrverband mit dieser neuen Hauptkirche zusammengeschlossen. Hier spielt der priesterliche Personalmangel eine Rolle. Im Neubau wurden die Prinzipalstücke der alten liturgischen Ausstattung übernommen, die der von der Kirchenschließung enttäuschten Gemeinde einen wichtigen Bezug bedeuteten.

10 Jahre evangelische Kirche in Herzogenaurach: Für Architekten eine Königsdisziplin

© Büro Wimmer

Eine große neue Kirche also, aber insgesamt doch auch eine Verkleinerung.

In den späten 80er Jahren haben sich Kirchengebäude in Städten vermehrt als zu groß erwiesen. Wir haben damals einen zuschaltbaren großen Gemeindesaal in die Münchner Gethsemanekirche eingebaut. Eine Teilumnutzung oder Nutzungsanpassung für einen kleiner werdenden und veränderten Bedarf. Ein Wachsen nach innen, wenn man so will.

Bei Kirchenumbauten wird zunehmend auch auf ein breiteres Nutzungskonzept geachtet.

St. Markus, die denkmalgeschützte Dekanatskirche Münchens, haben wir mit dem flexiblen Konzept einer Kulturkirche umgestaltet und ergänzt. Sie ist auch als Universitätskirche, Ort bedeutender Konzerte und Kunstausstellungen jetzt mit vielen sensibel vorgenommenen Eingriffen im Bestand auf die nächsten Jahrzehnte bestens vorbereitet.

Konzerte, Kunst, Kultur: Ist das ein Bedeutungsverlust des Begriffes "Gotteshaus"?

Das würde ich so nicht sagen. Vom Neubau bis zum Verkauf kann mit Kirchenbauten letztlich geschehen, was auch mit anderen Gebäuden möglich ist. Besonders bleibt aber immer der gesellschaftliche und städtebauliche Stellenwert eines Sakralbaues. Auch wenn er zum Relikt einer anderen oder vergangenen Zeit wird, ist er herausragender Zeitzeuge geistiger Bedürfnisse des Menschen egal welcher Religion – ein einmaliger Ort und Symbol geistiger Ruhe und Kraft.

Bis vor kurzem konnten in der evangelischen Kirche Herzogenaurach trotz Corona Chorproben stattfinden, weil es so geräumig dort ist.

Größere Räume mit flexibler Bestuhlung eignen sich besonders gut für verschiedenste Nutzungen. Auch der Pfarrer in Holzkirchen hebt die Großzügigkeit der Rundkirche und insbesondere die 80 Meter im Rund umlaufende Bank am Rand als "für diese Zeiten sehr geeignet" hervor.

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