Absolute Präsenz und Leidenschaft

25.9.2019, 19:22 Uhr

Die Sonne geht danach nochmals auf als die schottisch-italienische Geigerin Nicola Benedetti im kobaltblauen, einseitig schulterfreien Kleid mit lockiger hüftlanger Haarpracht und strahlendem Lächeln die Bühne betritt. Wow! Die Ausstrahlung, das Charisma der Virtuosin sind auf Anhieb spürbar. Absolute Präsenz und Leidenschaft im Spiel auf der "Gariel"-Stradivari nehmen sofort auch das Publikum für die Musikerin im Sibelius-Violinkonzert ein.

Mit Pathos und Intensität, technisch risikofreudig, holt die 32-Jährige alle Kraft aus dem Doppelgriff-Triumph des ersten Satzes heraus, was schon mal Nebengeräusche in den tiefen Lagen zeitigt. Siegesgewiss ist Benedettis Lächeln nach so viel geigerischer Wucht und Musizierfreude.

Ergreifend schön mit inniger Tongestaltung führt die "Jeanne d’Arc" der Violine die Kantilene des nobel-pathetischen Adagio-Mittelsatzes. Das ergänzt und changiert innig mit dem bestens geführten Orchester. Mucksmäuschenstill ist es danach im Saal. Mit rustikaler Virtuosität und robuster rhythmischer Pointie-rung geht’s mit vehementer Grandezza durch den exaltierten Finalsatz. Immer waghalsiger scheint sich dieser zuzuspitzen im musikalisch packenden Schlagabtausch zwischen Orchester und Solistin. Spannend, aufregend ist das! Heftig sind auch die begeisterten Ovationen des Publikums: Charmant gibt die Schottin Benedetti ihre Zugabe mit einer atmosphärisch dichten, berührenden schottisch-artifiziellen Volksweise des Landsmannes Robert Burns.

Das Sibelius-Konzert mit dem Star Benedetti bleibt der künstlerische Höhepunkt dieses Abends. Das kann das souveräne Sinfonieorchester aus Estland nicht einmal mit Bruckners vierter Symphonie, der "Romantischen", steigern. Wesentlich ist das Hornmotiv am Anfang, das – verzeihlich, aber dennoch beeinträchtigend – mit einem kleinen Kiekser erklingt. Gerts führt mit präzisem großen Gestus und hat weniger romantische als klare, unprätentiöse Klangfülle im Sinn.

Das hebt zwar manche Motive und Themen besser heraus, lässt bisweilen jedoch die typisch Bruckner’sche "Klangweihe", den thematischen Beziehungsreichtum der Sätze gerade am Ende der Symphonie vermissen. Im Jagd-Scherzo und im Finale führt diese Klarheit zu Klanghärte bis hin zur forcierten intonatorischen Beeinträchtigung. Überzeugend sind die einzelnen Orchestergruppen dennoch, vor allem in den Holzbläsern, im Blech und den Streichern. Groß sind die satztechnischen Linien und kontrapunktischen Verdichtungen im zweiten Satz, die elementaren Gewalten im Finale.

Als Zugabe gibt es ein einnehmen-des, kompositorisch vergleichsweise einfaches hymnisch-melodisches Werk, "Souvenir aus Estland" wie der sympathische junge Dirigent.

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