Blicke auf die «innere Zerrissenheit

22.8.2009, 00:00 Uhr
Blicke auf die «innere Zerrissenheit

© nriko/oh

Ihr Debüt wird in eine Reihe mit dem «Fänger im Roggen» von J. D. Salinger gestellt. Haben Sie mit so einem Erfolg gerechnet? Und was bedeutet Erfolg für Sie?

Thomas Klupp: Ich habe natürlich gehofft, dass das Buch ein paar Leuten gefallen wird, aber bestimmte Erwartungen hatte ich im Vorfeld nicht. Vermutlich schon aus Selbstschutz nicht, weil man da nur verlieren kann. Als dann die ersten positiven Kritiken kamen, habe ich mich sehr gefreut, klar, aber unter Erfolg verstehe ich doch eher etwas Langfristiges. Also für mich schließt sich da die Frage an, ob es mir auch in Zukunft gelingen wird, Texte zu schreiben, an die ich glaube und die eine Leserschaft finden. Das werden die nächsten fünf bis zehn Jahre zeigen.

Wie kamen Sie auf die Idee zu Ihrem Buch?

Klupp: Am Anfang stand die Idee, einen radikalen Opportunisten darzustellen, jemanden, dem der Schein weit wichtiger ist als das Sein. Vermutlich war es ein Abtasten der Konfliktfelder, die ich bei vielen Menschen, einschließlich mir selbst, immer wieder beobachtet habe. Also diese Sucht, zu gefallen, immer im besten Licht dazustehen, Erfolg zu haben etc. Urmenschliche Eigenschaften im Grunde, die aber in jeder neuen Generation neue Ausprägungen finden.

Ist Ihnen Alex Böhm sympathisch?

Klupp: Sympathisch nicht unbedingt, aber ich betrachte ihn mit wohlwollendem Interesse. Ich finde es zum Beispiel gut, dass er bei all seiner Verlogenheit den anderen Romanfiguren gegenüber zum Leser immer sehr ehrlich ist. Ich finde auch seine absurden Gedanken gut und diese heiter-skurrile Weltsicht, die er an den Tag legt. So tragisch ja manches ist, er entdeckt immer noch irgendeinen positiven Aspekt daran.

Sie sind in der Studentenstadt Erlangen geboren. Hanns Peter Kunnisch schreibt in der «Zeit», Sie hätten in Paradiso «den naturtrüben Slang und die schlingernden Herzen der Studenten von heute» getroffen. Würden Sie ihm zustimmen, dass die Studenten von heute derart zerrissen sind?

Klupp: Von den geschätzten zwei Millionen Studenten hier zu Lande kenne ich vielleicht zwei- oder dreihundert, deswegen kann ich das wirklich nicht überblicken. Ich glaube aber, dass ein bestimmtes Maß an innerer Zerrissenheit eine menschliche Grundeigenschaft ist. Vielleicht gilt das für Leute zwischen 16 und 35 noch stärker als für andere Altersgruppen, aber nicht einmal da bin ich mir sicher. Am Unheimlichsten finde ich allerdings, wenn jemand überhaupt keinen Riss in sich spürt. Der ist dann entweder Buddha oder unendlich langweilig oder er hat ein richtig großes Problem.

Sie sagen, «Deutschland ist ein supertolles Land, mit unfassbar vielen Abgründen». Inwieweit ist der Roman für Sie auch ein gesellschaftspolitischer Roman?

Klupp: Ich glaube schon, dass «Paradiso» gesellschaftskritische Anteile hat. Wenn man einen Charakter wie Alex Böhm durch ein realistisch gezeichnetes Hier und Heute schickt, lässt sich das auch kaum vermeiden. Er entlarvt sich durch seine Aussagen ja andauernd selbst – und damit auch bestimmte Wahrnehmungsmuster, die die gegenwärtige Gesellschaft hervorgebracht hat. Gerade wenn es um Phänomene wie die Internetpornographie oder sein Verhältnis zum Geld geht, hat der Einzelfall Böhm durchaus kollektive Aussagekraft. Zumindest hoffe ich das.

Können Sie mit dem Schreiben Ihre fränkischen Schäuferle, Glöß und das Neuhauser Zoigl Bier – das auch im Buch vorkommt – verdienen?

Klupp: Auf die nächsten ein, zwei Jahre hin gesehen ja, das Weitere wird die Zukunft zeigen. Interview: LEONHARD F. SEIDL

Thomas Klupp, «Paradiso» (Berlin-Verlag); Klupp stellt seinen Roman beim Poetenfest am 29. August um 18.30 Uhr bei der «Revue der Neuerscheinungen» im Schlossgarten vor.