Ein Erlanger Professor und seine Rolle während der NS-Zeit

28.4.2021, 10:30 Uhr
Ein Erlanger Professor und seine Rolle während der NS-Zeit

© Harald Hofmann

Das Ergebnis seiner Nachforschungen erschreckt ihn. Nicht nur, dass Liermann Mitglied im Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund und weiteren NS-Organisationen war. Liermann war auch ab 1933 "förderndes Mitglied" der SS. Von Debschitz schreibt daraufhin dem Erlanger Kirchenrechts-Insitut, das nach Hans Liermann benannt ist. Ihm geht es dabei nicht darum ein Denkmal von Sockel zu stürzen. Ihn wundert viel mehr, dass es keinerlei kritische Würdigung des Namensgebers auf der Homepage des Hans-Liermann-Instituts gibt.

Wer war Hans Liermann

Doch wer war Hans Liermann? Als Sohn eines Mediziners 1893 geboren, nahm er als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Als 36-Jähriger wurde er zum Wintersemester 1929/30 als Persönlicher Ordinarius für Kirchenrecht an die Uni Erlangen berufen. Liermann engagierte sich rasch im Universitätsleben und gründete 1931 das Kirchenrechtliche Seminar, das heute seinen Namen trägt. 1939 wurde er zum Dekan ernannt.

Aus dieser Zeit stammen auch zahlreiche Publikationen, die den Geist des Nationalsozialmus widerspiegeln. So schrieb Liermann 1938 in schlimmster NS-Diktion über "Recht und Sittlichkeit": "Es ist deswegen der die Gegenwart bewegende Gedanke, dass das rassische Moment für die Bildung der sittlichen Überzeugung mit ausschlaggebend ist, gerade auch für die Beurteilung des Verhältnisses von Sittlichkeit und Recht von entscheidender Bedeutung. Rasse bedeutet körperliche und seelische Eigenart. Darum gibt es ein Rechts- und Moralgefühl der germanischen Rasse, welches ihrer seelischen Gestalt entspricht."

Nach dem Krieg ging es für Hans Liermann mehr oder weniger problemlos weiter. Zunächst wurde er als Dekan der Juristischen Fakultät bestätigt. Wenig später aber entlassen. Als Begründung hielt man ihm einen Satz in seiner akademischen Festrede zum Universitätsjubiläum 1943 als "militaristisch" vor, wie er in seinem Buch "Erlebte Rechtsgeschichte" schreibt. In einem Entnazifizierungsverfahren wurde er schließlich als "Nicht Betroffener" eingestuft, was ihm die Rückkehr an die Universität ermöglichte.

Als "Papa Liermann" war der Kirchenrechtler fortan ein gesuchtes Ausschussmitglied (von 1951-53 und von 1954-56 als Prokanzler). Seine profunden Detailkenntnisse, seine Loyalität und sein Streben nach Ausgleich machten ihn zum "Mann im Hintergrund". 

Ein Erlanger Professor und seine Rolle während der NS-Zeit

© Stadtarchiv Erlangen

Zu seinem 60. Geburtstag 1953 ernannte ihn die Theologische Fakultät Erlangen zum Ehrendoktor, und seit 1953 war er auch Mitglieder Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1961 emeritierte Liermann. Für seine Verdienste um das Kirchenrecht wurde er mit dem Bayerischen Verdienstorden, dem Großen Bundesverdienstkreuz und dem Goldenen Ehrenring der Stadt Erlangen ausgezeichnet. Außerdem den Kulturpreis der Stadt Nürnberg. 1976 starb Hans Liermann in Erlangen.

1983 entspricht das Bayerische Kultusministerium der Bitte des Landeskirchenrats, dem Institut für Kirchenrecht Hans-Liermann-Institut zu geben. "Mit der Umbenennung sollten nicht nur die besonderen Verdienste des am 22. Februar 1976 verstorbenen Prof. Dr. Dr. Hans Liermann um das evangelische Kirchenrecht und das von ihm begründete Institut für Kirchenrecht, das eine im Bundesgebiet einmalige Institution darstellt, gewürdigt werden; vielmehr wollte die Universität auch zum Ausdruck bringen, dass die Juristische Fakultät das Erbe Liermanns als verpflichtend ansieht und dass auch in Zukunft das evangelische Kirchenrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg eine besondere und dauernde Pflegestätte behält", hieß es.

Die Landeskirche räumt aber auf Anfrage unserer Zeitung heute ein, dass eine etwaige Nazi-Vergangenheit und damit die "Würdigkeit" von Hans Liermann, Namensgeber für das Institut zu werden, "mangels besonderen Anlasses nicht geprüft" wurde. "Er galt als sehr bedeutender Kirchenrechtler, damit war die Sache für die 1983 Beteiligten hinreichend begründet."

Kurt Bloch – ein deutscher Jude

Kurt Bloch kam am 9. November 1908 in Dortmund zur Welt. Im Sommer 1927 nahm er das Studium der Rechtswissenschaften auf. Er studierte in Bonn, Berlin, Freiburg und in Erlangen, wo er 1930 promovierte. Wie für viele andere bedeutete die Machtübernahme der Nazis für den Juden Kurt Bloch das berufliche Aus. Anfang April 1933 "beurlaubt" und von der Entlassung bedroht, zog er umgehend die Konsequenzen und verließ Deutschland. Sein Ziel: die Niederlande.

Mit dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 in die Niederlande, geriet er als Jude wiederum in unmittelbare Gefahr. Nach einiger Zeit musste er untertauchen, um nicht Freiheit und Leben zu verlieren. Mit Hilfe niederländischer Bürger konnte er von 1943 bis 1945 im Spitzboden eines Hauses in Enschede als "Onderduiker" (niederländisch für "Untergetauchter") überleben. Das Schicksal seiner Eltern war weniger glücklich. Der Vater, der als Frontsoldat mit ruinierter Gesundheit aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war, starb 1934. Die Mutter wurde deportiert.

Trotz der Gefahr, entdeckt und ins Konzentrationslager verschleppt zu werden, gestaltete Kurt Bloch in seinem Versteck fast jede Woche ein eigenes Magazin in Westentaschengröß, das zwischen den versteckten Juden und ihren Unterstützern zirkulierte. Es bestand aus Collagen und Gedichten auf Deutsch und Niederländisch, in denen er seine verzweifelte Situation in Worte fasste. So kamen im Verlauf der Zeit im Untergrund 95 Magazine zusammen.

Aus Kurt wird Curt

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Bloch noch einige Jahre in Amsterdam, wo er im Juli 1946 heiratete. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor. 1948 wanderte die Familie in die USA aus. Seinen Vornamen änderte Bloch in Curt.

Den Lebensunterhalt verdiente er anfangs als Lagerarbeiter in einer Margarinefabrik und als Helfer in einer Fleischwarenfabrik. Nach einiger Zeit konnte er eine Tätigkeit als Angestellter finden. 1953 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Am 14. Februar 1975 starb Curt Bloch in New York.

Doch wie heute mit einer Persönlichkeit wie Hans Liermann umgehen? Ihm schlicht einen Nazi-Stempel aufzudrücken wäre einfach, würde aber nicht den Tatsachen entsprechen, auch wenn Liermann formal durch seine SS-Fördermitgliedschaft und inhaltlich, wie zum Beispiel in seinem Buch "Recht und Sittlichkeit", immer wieder eine Nähe zum Nazi-Gedankengut zeigte.

"Seine 1976 veröffentliche Haltung zur NS-Zeit würde man heute so nicht mehr formulieren, und sie erscheint uns heute befremdlich", schreibt Heinrich de Wall, seit 2001 Inhaber des Lehrstuhls und Vorstand des Hans-Liermann-Instituts. "Aber das lässt sich im Rückblick natürlich leicht sagen." 

"In den ersten Nachkriegsjahrzehnten", heißt von der FAU, "wertete man in der bundesrepublikanischen Gesellschaft ,bloße‘ regimetreue Äußerungen und verbale Anbiederungen (wir wissen heutzutage besser um deren fatale Konsequenzen) oftmals als Nebensächlichkeiten und ordnete sie positiven Lebensleistungen unter." Spätestens seit den 1980er Jahren sei dies einer "differenzierteren Beurteilung" gewichen, welche Rolle Personen während der NS-Zeit spielten.

"Kritisch gewürdigt"

Die Person Hans Liermann sei in den entsprechenden universitätsgeschichtlichen Werken der FAU seit den Publikationen zum Universitätsjubiläum 1993 kritisch gewürdigt worden. "Derzeit ist unter Federführung des Stadtarchivs Erlangen eine neue Buchpublikation zu Erlangen in der Weimarer Republik und der NS-Zeit in Arbeit, für die relevanten Quellen eingehend ausgewertet werden und in der auch in einem eigenen Beitrag die Rolle der Juristischen Fakultät der FAU einschließlich der Rolle Liermanns aufgearbeitet wird." Mit einer Veröffentlichung dieser Publikation sei in den nächsten Monaten zu rechnen.

Der FAU, heißt es weiter, sei es ein "großes Anliegen, Entscheidungen mit großer Sorgfalt und der angemessenen Ernsthaftigkeit zu treffen". "Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat die Universitätsleitung der FAU vor einiger Zeit eine Arbeitsgruppe ,Erinnerungskultur‘ gegründet, die sich mit solchen Fragen befasst und als ein permanenter Prozess die Verantwortung der Universität für ihr Handeln in Forschung, Lehre und Verwaltung reflektiert." Die Bewertung "dieser diskussionswürdigen Namensgebung nach Hans Liermann" sowie das Für und Wider einer etwaigen Umbenennung ständen somit ganz aktuell auf der Agenda.

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