"Wird schon wieder"

Für Familien war der 1. Lockdown noch wie eine Entschleunigung. Und jetzt?

20.11.2021, 14:25 Uhr
Etwa 70 Prozent der Eltern meinen, dass ihre Kinder mit den Folgen der Pandemie zurechtkommen. Und die verbleibenden 30 Prozent? vor allem mit ihnen hat sich das Bundesinstitut für Bevölkerung in einer aktuellen Studie beschäftigt.

© Mascha Brichta, NN Etwa 70 Prozent der Eltern meinen, dass ihre Kinder mit den Folgen der Pandemie zurechtkommen. Und die verbleibenden 30 Prozent? vor allem mit ihnen hat sich das Bundesinstitut für Bevölkerung in einer aktuellen Studie beschäftigt.

Wenn ich meine eigenen Kinder beobachte, habe ich nicht das Gefühl, dass die Pandemie an ihnen oder an uns als Familie große Schäden hinterlassen hat. Hatten wir Glück oder schaue ich nicht richtig hin?

Mit dieser Einschätzung stehen Sie nicht alleine da, eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zeigt, dass ca. 70 Prozent der Eltern insgesamt der Meinung sind, dass ihr Kind mit der aktuellen Situation gut zurechtkommt.

Die Folgen der Pandemie sind tatsächlich nicht für alle gleich. Kinder und Jugendliche, die bereits vor der Pandemie Schwierigkeiten hatten, waren von den Problemlagen besonders betroffen, während Kinder, die auch vorher gut zurechtkamen, die Situation relativ gut meistern. Es gibt aber auch einen Anteil von zirka 25 bis 30 Prozent an Kindern und Jugendlichen, die zum Teil stark unter den Auswirkungen der Krise gelitten haben und z.T. noch leiden, wobei erhebliche soziale Ungleichheiten sichtbar werden, d.h. dass besonders Kinder in sozialen Problemlagen betroffen sind.

Kerstin Ruckdeschel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Bevölkerung. Nach ihrem Studium der Soziologie in Bamberg und in Bordeaux war sie zunächst als wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Familienforschung an der Uni Bamberg tätig, bevor sie über Stationen an der Uni Mainz  ans BiB nach Wiesbaden wechselte.

Kerstin Ruckdeschel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Bevölkerung. Nach ihrem Studium der Soziologie in Bamberg und in Bordeaux war sie zunächst als wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Familienforschung an der Uni Bamberg tätig, bevor sie über Stationen an der Uni Mainz  ans BiB nach Wiesbaden wechselte. © Bundesinstitut für Bevölkerung, NN

Das kann man z.B. am Bildungshintergrund der Eltern festmachen, je höher die Bildung desto eher kann bei der Bewältigung der schulischen Aufgaben geholfen werden. Erschwerend kommt hinzu, wenn die Muttersprache der Eltern nicht Deutsch ist. Aber auch Ungleichheiten bei der Wohnsituation spielen eine Rolle, es zeigt sich, dass höher gebildete Eltern das Lernfeld zuhause positiver bewerteten. Da sie normalerweise ein höheres Einkommen haben, können sie im Normalfall eine gute digitale Ausstattung, ein eigenes Zimmer und womöglich die Nutzung eines eigenen Gartens zum Ausgleich eher bieten.

Woher kommen die Daten, die für die Studie herangezogen wurden?

Wir haben eigene Auswertungen mit dem Familienpanel pairfam gemacht, das jährlich erhoben wird und eine Zusatzbefragung zur Coronasituation durchgeführt hat. Außerdem wurde die Mannheimer Corona-Studie von uns mitausgewertet und schließlich bieten wir einen Überblick über die Ergebnisse anderer nationaler und internationaler wissenschaftlicher Studien zum Thema.

Die Studie will Entscheidungsträgern belastbare Infos geben, damit diese wissen, wo sie ansetzen müssen. Welche Infos wären das zum Beispiel?

Die Studie zeigt zunächst die Größenordnung der betroffenen Gruppen auf. So waren z.B. 11,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und ihre Familien unmittelbar von den Schulschließungen betroffen. Dann werden die Folgen der Schulschließungen für die Bildung dargestellt, soweit die wissenschaftliche Datenlage bis Juni 2021 das zuließ.

Es geht vor allem um die durch den Schulausfall und das Distanzlernen bedingten Lernrückstände und wer davon besonders betroffen war. Einen weiteren wichtigen Punkt stellen die Belastungen von Kindern und Jugendlichen und deren Folgen für die physische und v.a. psychische Gesundheit dar. Während der Lockdowns und der anschließenden Zeit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit, ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Beschwerden z.T. erheblich gewachsen.

Ursache waren u.a. die fehlenden sozialen Kontakte mit Gleichaltrigen, die mit zunehmendem Alter der Kinder immer wichtiger werden. Aber auch die körperliche Gesundheit hat durch den Ausfall des Schulsports und des organisierten Sports in Vereinen und der allgemein eingeschränkten Bewegungsfreiheit gelitten. Schließlich gehen wir auf die Belastungen der Eltern ein, die die ganze Situation zum großen Teil alleine organisieren und meistern mussten.

Auch hier zeigt sich, dass gerade Eltern jüngerer Kinder und hier vor allem Mütter und Alleinerziehende erheblich unter Stress standen, während z.B. Kinderlose oder Eltern von älteren Kindern zumindest den ersten Lockdown auch als Entschleunigung wahrnahmen. Insgesamt ist die Lebenszufriedenheit von Müttern und Vätern im Verlauf der Pandemie vom Mai 2020 bis zum März 2021 stark gesunken. Für alle diese Themenbereiche wollten wir mit der Studie belastbare Daten bieten (bis zum Zeitpunkt des Erscheinens).

Lässt sich der Lockdown mit allem, was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, mit irgendetwas vergleichen, das Kinder und/oder Familien auf ähnliche Weise herausgefordert hat?

Dazu kann ich wenig sagen, aber in diesem Ausmaß und mit diesen Folgen könnte das wohl am ehesten noch mit den Folgen des zweites Weltkrieges verglichen werden, was auch häufiger getan wird.

Online-Veranstaltung vom Bündnis für Familie

wann: am Mittwoch, 24. November 2021, von 16 bis 17:45 Uhr

Anmeldung: bis Sonntag, 21. November, auf den Seiten des Bündnisses für Familie im Landkreis ERH

Referenten:

Prof. Dr. Oliver Kratz, stellv. Leiter der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit am Uniklinikum Erlangen

Ben Keßler, Bezirksschülersprecher für mittelfränkische Realschulen

Luise Dümmler, Sozialpädagogin an der Ritter-von-Spix-Schule in Höchstadt

Tobias Bauer, Sozialpsychiatrischer Dienst der Erlanger Caritas

Kerstin Ruckdeschel vom BiB

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