Hupfla Erlangen: Die verleugneten Todesopfer

12.8.2020, 14:00 Uhr
Hupfla Erlangen: Die verleugneten Todesopfer

© Rudi Stümpel/Stadtarchiv Erlangen

Immer noch unklar ist, wie viele Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen der sogenannten "B-Kost" zum Opfer fielen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Suche nach stichhaltigen Belegen für diese fett- und fleischfreie Kost in den Krankenakten als schwierig erweist. Bisher konnte nur in wenigen Akten ein expliziter Vermerk zur "B-Kost" gefunden werden. Und auch das im Prozess gegen den Direktor der Heil- und Pflegeanstalt, Wilhelm Einsle, erwähnte Totenbuch, in welchem laut Zeugenaussagen ein entsprechender Vermerk bei den verstorbenen Patienten vorgenommen worden sein soll, gilt als verschollen.

Aus diesem Grund müssen die Krankenakten auf Verdachtsmomente geprüft werden, die auf Mangelversorgung schließen lassen. Ein solcher Anhaltspunkt wäre etwa eine beiliegende Wiegekarte, deren Verlauf einen rapiden Gewichtsverlust zeigt. Auch Hinweise auf den zunehmenden körperlichen Verfall, eine starke Abmagerung sowie das Auftreten von typischen Begleitsymptomen der Hungerkrankheit, die Arbeitsunfähigkeit der betreffenden Personen, eine zunehmend abwertende Sprache des Pflegepersonals ihnen gegenüber oder der "plötzliche" Tod an Herzversagen oder Lungenentzündung wären als Indizien anzusehen. Anhand dieser Kriterien lassen sich diejenigen Patienten ermitteln, die zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit an Hunger und gezielter Vernachlässigung starben. 

Ein weiteres Problem bei der Feststellung der Opferzahlen ist, dass der "Hungerkost-Erlass" nicht den Beginn der dezentralen "Euthanasie" markierte. Stattdessen handelte es sich lediglich um die schriftliche Fixierung bereits bestehender Verhältnisse in den bayerischen Heil- und Pflegeanstalten. Schon 1941 hatte etwa der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, Valentin Faltlhauser, die Reduzierung der Lebensmittelversorgung seiner Patienten angeordnet.

Es darf davon ausgegangen werden, dass auch in Erlangen vor dem 30. November 1942 bewusst Anstaltsinsassen durch allgemeine Vernachlässigung und ungenügende Verpflegung getötet wurden. Nach Kriegsende stritten die meisten befragten Ärzte und Pflegenden die konsequente Durchführung der "B-Kost" vehement ab, so dass auch ihre sich zudem oft widersprechenden Aussagen nicht als Beweise für den "Hungermord" herangezogen werden können.

Inzwischen ist bekannt, dass es in der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt mindestens zwei Hungerkoststationen gegeben haben muss (wohl jeweils eine für Männer und Frauen). Trotzdem versuchten die Befragten, die Situation zu relativieren.

So behauptete etwa die Zeugin Maria B., die während des fraglichen Zeitraums als Oberpflegerin in der Anstalt beschäftigt war: "Offiziell, d.h. von der Direktion, habe ich nichts über die Einführung der B-Kost erfahren." Auf diese Weise konnte sie die Schuld einer direkten Beteiligung von sich weisen. Ihre Nichtbeteiligung betonte sie zusätzlich, indem sie aussagte: "Über Einzelheiten in der Art der Durchführung der B-Kost kann ich nicht viel sagen, weil ich nichts damit zu tun hatte." Zudem versuchte Maria B. die dramatischen Auswirkungen der mangelnden Versorgung zu relativieren.: "Ich habe […]gehört, dass an Sonntagen auch die B-Patienten genau so Fleisch erhalten haben […]." In ihre Argumentationslinie passt auch, dass sie behauptete, nichts davon gehört zu haben, "dass die Sterblichkeitsziffer auf den B-Stationen besonders hoch gelegen" habe.

Zur Benennung einer möglichst genauen Opferzahl in Bezug auf die dezentrale Phase der "Euthanasie" ist noch viel Forschungsarbeit notwendig. Näherungsweise ist zu vermuten, dass die "Hungerkost" in Erlangen zwischen 1000 und 1500 Opfer forderte. Jedes davon ein Menschenleben zu viel.

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