Neue Vorwürfe gegen Erlanger Ausländeramt

5.2.2012, 09:07 Uhr
Neue Vorwürfe gegen Erlanger Ausländeramt

© Bernd Böhner

Anfang November 2007 lag Sefik Alp Bahadirs 86-jährige Mutter in einem Istanbuler Krankenhaus. Sie war in schlechtem Zustand, dem Tod geweiht. Die Ärzte hatten Leberkrebs im letzten Stadium diagnostiziert: Die Seniorin habe nur noch wenige Wochen zu leben und müsse die Klinik wieder verlassen, weil alle Betten gebraucht würden.

Bahadirs Mutter lebte allein und brauchte Betreuung. Der Professor für Gegenwartsbezogene Orientforschung an der Uni Erlangen-Nürnberg beschloss, die kranke Frau nach Erlangen zu holen, und war optimistisch, dies unbürokratisch regeln zu können — schließlich hatte sie bereits 1997 nach einem Armbruch ohne Visum binnen 24 Stunden ins Waldkrankenhaus der Hugenottenstadt geflogen werden dürfen.

Doch diesmal war es anders. Bahadir — der seit 50 Jahren hier lebt und von OB Siegfried Balleis als „Botschafter zwischen Deutschland und der Türkei“ bezeichnet wird — sagt im Rückblick: „Wir sind wirklich integriert — dachte ich.“ Er erfuhr Anfang Dezember in der Ausländerbehörde, dass ein Verfahren mit umfangreichen Unterlagen eingeleitet werden müsse.

Weihnachten mit den Kindern?

Die rot-grüne Bundesregierung hatte 2003 die Gesetzeslage geändert. Beim deutschen Generalkonsulat in Istanbul müsse ein kompletter Visumsantrag gestellt werden, hieß es. Der Leiter der Erlanger Ausländerstelle, Günter Schiffmann, widerspricht: Der türkische Wissenschaftler sei erst sehr viel später in der Behörde gewesen.

Bahadirs Wunsch war es, die Mutter rasch nach Erlangen zu holen, damit sie noch einmal Weihnachten und Neujahr im Kreise ihrer Lieben — die meisten deutscher Staatsangehörigkeit — hätte feiern dürfen. Doch die Hürden waren hoch.

Zunächst hinterlegte der Professor am 30. November beim Waldkrankenhaus eine Vorauszahlung in Höhe von 8000 Euro. Dies wurde verlangt, damit eventuell entstehende Klinikkosten gedeckt werden könnten. Obwohl Bahadir einen Krankenhausaufenthalt vermeiden wollte: „Unsere Mutter sollte bei uns zu Hause sterben.“ Beim Generalkonsulat in Istanbul — das offenbar nicht den unbürokratischsten Ruf genießt — bekam der Professor zu hören, ab Mitte Dezember beginne die Urlaubszeit und diplomatische Angelegenheiten würden liegen bleiben.

Er solle sich deshalb beim Erlanger Ausländeramt um eine sogenannte Vorabzustimmung bemühen, um die todkranke Mutter noch vor Weihnachten nach Deutschland holen zu können. (Siehe Zur Sache unten)

Während Professor Bahadir behauptet, zwei bis drei Mal beim Erlanger Amtsleiter persönlich gewesen zu sein, der immer neue Unterlagen gefordert und die Vorabzustimmung schließlich verweigert habe, weist Schiffmann dies vehement zurück: Bahadir sei erst Ende Dezember persönlich erschienen, bei einer zuständigen Sachbearbeiterin. Bei ihm selbst sei der Professor vorher nie gewesen.

Auch bei einem klärenden Gespräch, das gestern auf Vermittlung der Erlanger Nachrichten bei OB Balleis stattgefunden hat, ist keine Annäherung gelungen. Fakt ist: Am 17. Dezember erreichte das Ausländeramt ein erstes Schreiben des Konsulats. Am 20. Dezember ließ Bahadir eine notariell verbriefte, unmittelbar vollstreckbare Unterhalts-Verpflichtungserklärung mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung ausstellen, mit der er für etwaige Sozialleistungen in Höhe von 40.000 Euro geradestand.

Nun erst begann das eigentliche Verfahren in Erlangen, das OB Balleis als „extrem schnell gehandelt“ bezeichnet. Am 2. Januar 2008 ging der Visumsantrag ein, am 4. Januar stellte die Ausländerbehörde den Härtefall fest, am 7. Januar um 18.06 Uhr wurde dem Konsulat Zustimmung zur Erteilung des Visums für dauerhaften Aufenthalt erteilt — also binnen dreier Arbeitstage.

Im Sarg zurück

Bahadir war unterdessen nach Istanbul gereist und war über Weihnachten bei seiner Mutter geblieben. Am 16. Januar flogen sie nach Deutschland; zehn Tage später brachte der Professor seine Mutter wieder zurück — in einem Sarg.

Bahadir bleibt unversöhnlich. „Der Leiter der Ausländerbehörde hatte mit meiner Mutter kein Erbarmen.“ Auch als Sprecher der Türkischen Gemeinde in der Metropolregion Nürnberg geht der Professor noch weiter: „Die Erlanger Ausländerbehörde gilt — auch bei Studenten — als die schwierigste in der ganzen Region. Die Leute haben Angst.“ Der vorhandene Spielraum bei Entscheidungen werde nicht zugunsten der Ausländer genutzt. Bahadir nimmt nicht mehr an Integrationskonferenzen teil, weil er das Motto „Offen aus Tradition“ nicht mehr ernst nimmt.

OB Balleis und Amtsleiter Schiffmann reagieren „erschüttert und schockiert“ auf die harten Vorwürfe; die Behörde arbeite „wohlwollend“, müsse aber Bundesrecht beachten und umsetzen. Speziell in Bahadirs Fall sei äußerst schnell gearbeitet worden. Rechtsreferentin Marlene Wüstner bedauert den unversöhnlichen Ausgang des Treffens und beteuert, die Stadtverwaltung sei stets bestrebt, den Menschen hinter einem bürokratischen Vorgang zu sehen. Doch Professor Bahadir bleibt hart: „Es ist eine Schande.“

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