Vom Tango zum Line Dance

23.4.2019, 16:36 Uhr
Vom Tango zum Line Dance

© Foto: Klaus-Dieter Schreiter

Wie etwa die 1. Vorsitzende des Erlanger Tanzhauses, Kathrin Gensler.
Wer in Erlangen das Tanzhaus sucht, wird zwar nicht fündig, findet aber doch bald einen passenden Tanzboden. Das liegt daran, dass es ein richtiges Tanzhaus als Immobilie gar nicht gibt. Ein Blick zurück: In den 1980er Jahren war die Erlanger Tanzszene aufgesplittet in vielerlei Gruppen. Erstmals in größerem Stil kam die Szene bei der Vorbereitung auf die Feierlichkeiten zu „300 Jahre Hugenottenstadt“ im Jahr 1986 zusammen. Axel Röhrborn, damals die treibende Kraft hinter vielen Tanzaktivitäten in der Stadt, bündelte Gruppen und Ressourcen – der Verein „Erlanger Tanzhaus“ wurde gegründet.
Seitdem wurden immer wieder wechselnde Räume gemietet. „Langfristiges Ziel war es, ein eigenes Haus zu haben“, erläutert Kathrin Gensler (49). „Das ist in der Vereinsgeschichte auch zweimal versucht worden, aber letztlich hat es sich als zu teuer und zu aufwendig erwiesen. Denn so ein Gebäude ehrenamtlich zu unterhalten, ist dann doch zu anstrengend.“

Acht bis zehn Räume

Doch der flexible Standort hat auch seine Vorteile. Statt also eines Saales stehen den Tanzbeflissenen je nach Angebot an die acht bis zehn Räume zur Verfügung. Und das an bis zu zweihundert Tagen im Jahr. Und ebenso wenig, wie das Tanzhaus über eine „feste“ Adresse verfügt, so verfügt es auch nicht über ein klar definiertes Profil. Oder anders gesagt: Es besticht durch seine Abwechslung und Vielfalt. „Wir sind keine Tanzschule mit dem Ziel, die Leute binnen zehn Stunden für die Hochzeit tanzfähig zu machen“, erläutert Kathrin Gensler, „wir tanzen auch nicht in Trachten oder legen Wert auf sportlichen Ehrgeiz. Aber wir bieten durchaus eine Mischung aus all dem an. So bieten wir Folkloretänze aus aller Welt an.“

Leidenschaftlicher Tango

Vom Tango zum Line Dance

© Foto: Erlanger Tanzhaus

Ein Blick ins Programmheft sorgt für Verblüffung und lässt manchen Tanzlehrer vor Neid grün anlaufen. Da gibt es Tänze aus Israel, aus Osteuropa und dem Balkan. Tänze aus dem Baskenland, aus Schottland, Irish Ceili, Bal Folk aus der Bretagne oder Cajun aus den Sümpfen Louisianas. Leidenschaftlicher Tango Argentino. American Linedance. Schlangengleicher Bauchtanz aus dem Orient und entfesselter Stammestanz aus den Tiefen Afrikas und den Hawaii-Inseln. Und wer es ganz stilvoll wie die Altvorderen pflegen will, der übt sich in Gavotte und Allemande, Gigue und weiteren Tänzen des Barockzeitalters.

Vielfältiges Programm

Wie bekommt man bloß solch ein vielfältiges Programm zusammen? „Unsere Tanzmeister sind zum größten Teil unsere eigenen Leute“, verrät Kathrin Gensler, „aber es gibt auch Leute, die kreuz und quer durch Europa reisen, regionale Tänze erlernen und diese dann im Unterricht weitergeben.“ Und damit die Musik passt, engagiert das Tanzhaus bei Festivals Tanzlehrer und Musikgruppen aus dem Ausland, die Workshops anbieten.
Getanzt wurde und wird unter anderem beim Trachtenverein Erlangen, im Freizeitzentrum Frankenhof, im Kulturforum Logenhaus, in den Mensen von Gymnasien und in Gemeindesälen. Und wer kommt alles? „Altersmäßig ist alles vertreten, aber es kommen doch eher ältere Herrschaften“, stellt Kathrin Gensler fest. „Junge Leute in den Zwanzigern treiben sich eher auf den Festivals herum.“ Herren sind stets willkommen und haben die freie Auswahl, denn zwei Drittel der Teilnehmer sind Frauen. Ist so ein Überschuss nicht ein bisschen frustrierend oder abschreckend? „Nein, gar nicht“, sagt Kathrin Gensler. „Das kommt auch auf den Tanz an. Balkantänze sind bei den Frauen sehr beliebt, denn hierbei handelt es sich in aller Regel um Kreistänze, wo man keine Partner braucht.“

Vom Tango zum Line Dance

© Foto: Bernd Böhner


Gibt es Tänze, die Männer eher ansprechen als Frauen? „Ja, beim Bal Folk sind die Männer überdurchschnittlich gut vertreten, denn das ist ein klassischer Paartanz. Und dann gibt es ,Mixer‘, wo zu lebhafter Musik alle paar Schritte der Partner wechselt. Bei schottischen Tänzen legt man richtige Wege zurück, da dreht man eine Acht oder tanzt in geometrischen Figuren.“ Dann spricht also das räumliche Denken die Herren der Schöpfung an? „Das kann man so sagen. Umgekehrt liegen den Frauen Tänze mit kleinen Trippelschritten oder schnell wechselnden Schrittfolgen besser als Männern.“

„Locker und zwanglos“

Aber trotz allem: „Eine Heiratsbörse sind wir nicht, auch wenn bei uns schon so einige Paare beim Tanzen zueinander gefunden haben“, stellt die Erste Vorsitzende fest. „Aber das ist bloß ein Nebeneffekt. Bei uns geht es sehr locker und zwanglos zu. Auch wenn wir ein Verein mit derzeit 220 Mitgliedern sind, ist niemand dazu verpflichtet, bei uns Mitglied zu werden. Jeder kann eine Tanzveranstaltung seiner Wahl besuchen und mitmachen. Die Freude an der Bewegung steht bei uns im Vordergrund. Entsprechend sind bei uns auch alle Berufe vertreten, das reicht vom Handwerker bis zum Uni-Professor. Aber die Leute sprechen gar nicht über ihre Berufe, sondern übers Tanzen, wie oft und wo sonst man noch tanzt.“
Sorgen über die Zukunft, über ein mögliches Abflauen am Tanzinteresse macht sich Kathrin Gensler keine: „Musik, Bewegung und Gesellschaft ist etwas, was den meisten Leuten gefällt.“ 

 

 

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