Foodsharing sucht Mitstreiter

Zu gut für die Tonne: So aktiv sind Lebensmittelretter in Erlangen-Höchstadt

1.9.2021, 12:30 Uhr
Die Foodsharing-Lebensmittelretter holen von Geschäften überschüssige Ware ab und verteilen sie weiter. Damit setzen sie auch ein Zeichen gegen die Wegwerf-Kultur. 

© imago images/Jürgen Held, NN Die Foodsharing-Lebensmittelretter holen von Geschäften überschüssige Ware ab und verteilen sie weiter. Damit setzen sie auch ein Zeichen gegen die Wegwerf-Kultur. 

Katrin Litz hat das Foodsharing in Erlangen gelernt, schon seit mehreren Jahren war die 41-Jährige aus Höchstadt in der Hugenottenstadt als Lebensmittelretterin aktiv.

Doch wer überschüssiges oder aussortiertes Obst, Gemüse, Gebäck, Brot und vieles andere mehr vor der Mülltonne bewahren und Ressourcen und Natur schonen möchte, will dann nicht dutzende Kilometer mit dem Auto zwischen den beiden Städten hin- und herpendeln und somit der Natur mit klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) letztlich wiederum doch zusetzen. "Wir wollen so nachhaltig sein wie nur möglich", sagt sie, "und deshalb haben wir in Höchstadt auch einen eigenen Foodsharing-Bezirk gegründet, eine lokale Vernetzung ist wichtig, um die langen Wege zu vermeiden."

"Wir" ist dabei leicht über- oder untertrieben, je nachdem, wie man es sieht. Gemessen an der Mitgliederzahl ist es über-, mit Blick auf Katrin Litz untertrieben. Denn im Prinzip ist sie es fast allein, die die Gruppe Erlangen-Höchstadt vor rund zwei Jahren gegründet, mit Leben gefüllt und nun nach der schwierigen Anlaufphase während der Corona-Lockdown-Zeit auch wieder etwas ankurbeln möchte.

Katrin Litz ist Foodsharing-Botschafterin für den Landkreis Erlangen-Höchstadt. 

Katrin Litz ist Foodsharing-Botschafterin für den Landkreis Erlangen-Höchstadt.  © privat, NN

Dazu holen die Gruppenmitglieder verkaufte oder überschüssige Lebensmittel bei Geschäften ab und verteilen sie untereinander - nichts wird weggeschmissen und alles verbraucht.

"Tafel" soll nicht verdrängt werden

Dabei will Litz mitsamt ihren Helferinnen und Helfern karitative Einrichtungen, die Lebensmittelspenden an Bedürftige abgeben, nicht verdrängen oder abhängen, sondern eine Lücke schließen, etwa zwischen dem, was die Tafel holt und dem, was am Ende noch übrig ist. "Wir versuchen, soziale Projekte noch mit zu unterstützen", erzählt Litz.

So hatte die Gruppe unter anderem schon die Laufer Bollerwagen Crew bei ihrem Engagement für Obdachlose oder auch den in Forchheim gestrandeten Circus Renz unter die Arme gegriffen. "Wir wollen auf keinen Fall, dass Bedürftige wegen uns weniger bekommen", betont sie.

Vielmehr sieht Litz die Gruppe als Ergänzung zu sozialen Projekten. Alles sei besser als das Verschwenden von Nahrungsmitteln, sagt sie, "wenn ein Mitarbeiter in einem Betrieb Übriggebliebenes mit nach Hause nimmt, ist das doch auch super, wir unterstützen alles, was Lebensmittel rettet, Hauptsache es landet nichts im Müll."

Damit das nicht passiert, holen die Mitglieder überschüssige Lebensmittel aber nur ab, wenn es mit den Supermarkt-Verantwortlichen wirklich abgeklärt ist. Im Gegensatz zum sogenannten Containern, bei dem Lebensmittel-Retter selbstständig meistens nachts die Ware aus den Tonnen holen, ist bei Foodsharing alles legal, darauf legt Katrin Litz Wert.

"Wir wollen ein Zeichen setzen gegen die Ressourcenverschwendung und die Wegwerf-Kultur, jedes Produkt hat einen Wert und soll auch weiterverwendet werden", findet die Arzthelferin.

Auch ein Paket Kaffee wird angeboten

Daher können die Mitglieder auch selbst etwas in die WhatsApp-Gruppe stellen, etwa, wenn jemand ein Paket Kaffee hat, das er nicht trinkt und weitergeben möchte. "Es soll nichts verkommen", sagt sie, "denn das ist zu schade." Da wurden auch schon Pflanzen und Kräutertöpfchen verschenkt und weitergegeben.

Inzwischen umfasst die Foodsharing-Community für den Landkreis zwar 20 bis 30 Personen, von denen rund die Hälfte selbst als Foodsaver, also Essensbewahrer, aktiv ist - doch Katrin Litz bleibt neben der Öffentlichkeitsarbeit weitgehend für die Suche nach sogenannten Kooperationspartnern (das sind Geschäfte, die nicht verwendete Lebensmittel abgeben), Abholung und Verteilung zuständig.

Kein Wunder: Schließlich ist die Arzthelferin Foodsharing-Botschafterin, eine Position, die in der Hierarchie des Netzwerkes Foodsharing ziemlich weit oben und mit vielen Aufgaben verbunden ist.

Weitere Gruppe basiert auf Privatinitiative

Noch stehen die Mitstreiterinnen und Mitstreiter mit ihrem Engagement eher am Anfang. Aber, und das ist für die gesamte Struktur wichtig: Die Foodsharing-Gruppe um Katrin Litz ist Teil der Foodsharing.de-Initiative. Eine weitere Gruppe, die sich in Höchstadt unter Foodsharing ERH zusammengeschlossen hat, ist eine rein private Initiative der Höchstadterin Marina Hawel und hat mit der offiziellen Plattform bis auf das Prinzip nichts zu tun.

Anders die Gruppe um Katrin Litz: Die regionale Sektion der deutschen Foodsharing-Community erfüllt alle Regularien. Die sogenannten Bezirksmitglieder müssen entsprechendes (Lebensmittel-)Wissen vorweisen, außerdem gibt es eine Einteilung in Foodsharer, also Personen, die Lebensmittel aus ihrem Privathaushalt mit anderen teilen und Foodsaver, das sind Personen, die überschüssige Lebensmittel bei kooperierenden Lebensmittelunternehmen abholen und sie entweder an gemeinnützige Einrichtungen und an Privatpersonen verteilen oder sie in sogenannten Fair-Teiler legen.

Dabei handelt sich um öffentlich zugängliche Kühlschränke oder Boxen, in denen gerettete Lebensmittel zum Tausch zwischengelagert werden.

Sobald jemand etwas in einen Fair-Teiler gelegt hat, teilt er das in einem Beitrag auf der Online-Pinnwand von foodsharing.de mit. Jede und jeder darf sich dann kostenlos am Fair-Teiler bedienen.

Bei der Gruppe aus Erlangen-Höchstadt funktioniert das so (noch) nicht, denn dazu ist sie zu klein und intim. Litz und ihre Mitstreitenden kommunizieren derzeit über den Nachrichtendienst WhatsApp, sehr oft holt Katrin Litz die Lebensmittel selbst bei den Betrieben ab, fragt in ihrer Gruppe, wer etwas möchte und bringt die Ware dann auch persönlich zum vereinbarten Ort.

Kooperationspartner wie Bäcker und Supermärkte sitzen etwa in Höchstadt, Hemhofen und Herzogenaurach; Foodsaver kommen unter anderem auch aus Dachsbach und Neustadt, das Zentrum aber liegt in Herzogenaurach und vor allem in Höchstadt.

Katrin Litz ist überzeugt: "Es gibt da noch Potenzial, wir könnten noch größer werden", sagt sie. Gerade im ländlichen Bereich, wo viele Menschen wohnen, sei es doch von Vorteil, wenn man über ein solches Netzwerk schnell und unbürokratisch Lebensmittel retten könne, sagt sie. "Wir machen das alle ehrenamtlich und freuen uns, wenn wir unserem Ziel näher kommen, nämlich gemeinsam gegen die Lebensmittelverschwendung vorgehen." Das sei auch ihr Antrieb.

Wenn dann der Foodsharing-Bezirk ERH größer wird, es die Pandemie-Situation zulässt und sich immer mehr Mitstreitende finden, kann sich Katrin Litz auch noch andere Aktionen vorstellen, etwa Ausstellungen und Infoabende zum Thema Foodsharing, Klima- und Umwelt oder Foodsharing Dinner, bei denen Foodsaver und -sharer aus Lebensmittelresten zusammen ein Menü zaubern. "So etwas finde ich ganz toll", sagt Katrin Litz, "man rettet Lebensmittel, kocht etwas und hat auch noch das Gemeinschaftsgefühl, das ist klasse". Solche Veranstaltungen gibt es im Erlanger Lesecafe schon seit Längerem. Auch hier hat die Hochstadterin von der Hugenottenstadt gelernt.

Die Gruppe freut sich über Mitstreitende, aber auch weitere Kooperationspartner wie Supermärkte und Bäcker o.ä. sind herzlich willkommen. Interessenten wenden sich sich bitte an Katrin Litz unter katrin-litz@web.de

Weitere wichtige Infos zur Lebensmittelverschwendung

Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fallen jährlich in Deutschland entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an, sechs Millionen davon allein in Privathaushalten. Die Foodsharing-Bewegung "rettet" ungewollte und überproduzierte Lebensmittel in privaten Haushalten sowie von kleinen und großen Betrieben.

Die Organisation der Community der Aktivitäten läuft nach eigenen Angaben in erster Linie über die Online-Plattform foodsharing. Hier vernetzen und koordinieren sich die Lebensmittelretterinnen und -rettter (Foodsharer/Foodsaver) in den einzelnen Städten und Regionen. Über die Plattform werden überregionale Themen, Veranstaltungen und Informationen veröffentlicht. Die Initiative entstand 2012 in Berlin. Mittlerweile ist sie zu einer internationalen Bewegung mit über 200 000 registrierten Nutzerinnen und Nutzern in Deutschland, Österreich, der Schweiz und weiteren europäischen Ländern herangewachsen.

Die Mitglieder der foodsharing-Community arbeiten ehrenamtlich und unentgeltlich. Die Initiative ist kostenlos, nicht kommerziell, unabhängig und werbefrei.

Auch das BMEL weist in der Kampagne "Zu gut für die Tonne" auf die Lebensmittelverschwendung hin. So findet vom 29. September bis 6. Oktober 2021 bereits zum zweiten Mal die bundesweite Aktionswoche "Deutschland rettet Lebensmittel" mit Aktionen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung statt. Mehr Informationen dazu gib es hier

Keine Kommentare