Zwischen Wut und Vakuum: Erlanger Wahlverlierer erzählen

16.11.2020, 18:30 Uhr
Jörg Volleth.

Jörg Volleth.

Jörg Volleth (49) ist seit Mai 2020 Bürgermeister der Stadt Erlangen. Er unterlag in der Stichwahl 2020 Oberbürgermeister Florian Janik mit 45,5 zu 54,5 Prozent der Stimmen

Verlieren und Gewinnen, das ist seit meiner Kindheit tief in meiner DNA verankert. Beides habe ich beim Sport gelernt – und es hat mir auch bei der verlorenen Stichwahl zum Oberbürgermeister geholfen.
Eine solche Niederlage anzuerkennen und zu respektieren ist ein Grundprinzip unseres Zusammenlebens. Sicher darf man enttäuscht sein, das war ich auch – schließlich hatte ich viel Engagement in den Wahlkampf eingebracht.
Natürlich ist es schwer, den Stress, die Anspannung zu verarbeiten, die in den Tagen nach einer Niederlage abfällt. Mir hat dabei auch wieder der Sport geholfen, die Bewegung an der frischen Luft. Bis heute nutze ich den kalten Wind im Gesicht beim morgendlichen Joggen, um mich auf jeden Tag vorzubereiten.

Genauso wichtig ist und war bei der Wahl meine Familie, die vom ersten Tag an, schon bei der Entscheidung zur Kandidatur, ganz nah war und immer bei mir blieb. Sie hat mir den Rücken gestärkt, Halt gegeben, und wir haben diese Anspannung gemeinsam getragen. Mit jedem Gefühl, Höhenflug wie Niederlage, war es so einfacher umzugehen.
Am Ende blieb für mich nicht etwa die Enttäuschung, sondern die Freude, dass wir als Partei ein gutes Ergebnis erreicht hatten. Und dass ich persönlich Bürgermeister wurde.

 

Siegfried Balleis.

Siegfried Balleis.

Siefried Balleis (67) war von 1996 bis 2014 Oberbürgermeister der Stadt Erlangen. Nach drei gewonnenen Wahlen unterlag er dem Herausforderer Florian Janik mit 36,3:63,7 Prozent der Stimmen:

Im ersten Moment war die Enttäuschung gigantisch. So eine Niederlage nimmt man natürlich persönlich: 18 Jahre habe ich als Oberbürgermeister 80 Stunden in der Woche fürs Gemeinwohl gearbeitet – dann ist so eine Niederlage furchtbar schwer. Auch wenn sich mir der Satz "Im Sieg bescheiden, in der Niederlage gefasst" tief eingebrannt hatte – nach diesem habe ich auch drei Wahlsiege ohne Überheblichkeit gefeiert.

Bis ich die Niederlage in der Stichwahl aber verarbeitet hatte – das hat gedauert. Ein Jahr bestimmt. Auch musste ich mir natürlich Fehler eingestehen – die Erlangerinnen und Erlanger haben es mir wohl übel genommen, dass ich mit dem Amt des Sparkassenpräsidenten geliebäugelt hatte. Die werden sich gedacht haben: Wenn er etwas Anderes will, dann kann er das ja machen. Das ist, finde ich, ein wichtiger Bestandteil des Verlierens: sich seiner Fehler bewusst werden.

Und sonst habe ich die sogenannte Schwarz-Rot-Gold-These durchlebt, das ist eine Phasenbeschreibung eines Psychologen, der Manager, Politiker und Sportler coached, die in tiefe Löcher gefallen sind: Die erste Phase ist die Trauer. Dann kommt die Wut, in der habe ich Holz für drei Winter gehackt. Zuletzt kommt das Goldene Zeitalter – in dem befinde ich mich. Über sechs Jahre nach der Niederlage habe ich meinen Frieden und neue Aufgaben gefunden.

 

Gisela Niclas.

Gisela Niclas.

Gisela Niclas (72) unterlag 1996 gegen OB Siegfried Balleis mit 41,6 zu 52,2 Prozent der Stimmen:

Es gibt Menschen, die sagen: Beschäftige dich nicht einmal mit dem Gedanken daran zu verlieren. Das sehe ich anders. Vom ersten Tag meiner Kandidatur an habe ich mich mit dem Gewinnen und dem Verlieren beschäftigt. Wir hatten damals noch unseren Hund, es war unser Ritual, mit ihm abends raus zu gehen. Dabei haben mein Mann und ich über die Ereignisse des Tages gesprochen. So auch in dieser Zeit. Und eben auch darüber, dass es passieren kann, dass ich diese Wahl verliere. Dadurch fühlte ich mich gut vorbereitet in dem Moment, als gewiss wurde, dass es so kommen wird. Trotzdem war es natürlich eine sehr, sehr große Enttäuschung für mich. Aber eine, die ich hinnehmen musste und hingenommen habe: Eine demokratische Entscheidung. Damit muss ich und kann ich auch leben.

Es gibt so einen Spruch: Wenn man mal hinfällt, muss man eben sein Krönchen richten und wieder aufstehen. So habe ich das gehalten und bin der Politik treu geblieben.

Aber ich brauchte danach erst einmal Zeit für mich, ich war unglaublich erschöpft vom Wahlkampf, von der Anstrengung. Ich war dankbar, dass ich endlich mal wieder bis in die Puppen ausschlafen konnte. Das habe ich auch gebraucht! Was bis heute hängen geblieben ist, das sind die Menschen, die mir zuvor so kräftig die Hand geschüttelt haben. Und die plötzlich, nach der Niederlage, durch mich hindurch gesehen haben. Das kränkt und das schmerzt.

 

Birgit Herbst.

Birgit Herbst. © Foto: privat

Birgit Herbst (48) unterlag bei der Stichwahl 2020 mit 648:677 Stimmen Andreas Wasielewski:

Sechs Jahre lang habe ich mich sehr leidenschaftlich als Bürgermeisterin für Spardorf engagiert. Es waren häufig 70-Stunden-Wochen, die ich im Einsatz war – voller Freude, Dinge sehr direkt mit dem Gemeinderat gestalten zu können, die mir für uns Bürgerinnen und Bürger am Herzen lagen und liegen. Dementsprechend schmerzhaft war natürlich die Niederlage. Zumal das Ergebnis ungemein knapp war. Ich habe es aber vom ersten Moment an akzeptiert. Freie Wahlen sind die vornehmste Disziplin unserer Demokratie, daher ist es für mich selbstverständlich, eine Niederlage anzuerkennen.

Natürlich fällt man auch in ein Loch, das ist doch klar. Ich denke, das muss man auch annehmen und zulassen, dieses Vakuum, das plötzlich da ist. Schließlich hat sich mein Alltag komplett geändert. Ich bin aber mit mir selbst im Reinen, weil ich immernoch dieselbe Person bin, ob als Bürgermeisterin oder als Privatperson – ich habe immer mit derselben Stimme gesprochen. Meine Überzeugungen, Ziele und Visionen für die Gesellschaft habe ich ja mit der Wahlniederlage nicht einfach abgelegt.

Dass ich mir gerade mehr Zeit für meine Familie und Freunde nehmen kann, hilft mir ebenso wie die Gewissheit, in meiner Zeit als Bürgermeisterin Gutes und Richtiges auf den Weg gebracht zu haben.

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