Experte: "Autoverkehr wird eine Renaissance erleben"

22.5.2020, 06:00 Uhr
Experte:

© Archivfoto: Harald Sippel

Herr Balleis, an einigen Messstationen wurden, wie eine aktuelle bundesweite ARD-Umfrage zeigt, trotz des coronabedingt geringeren Verkehrs erhöhte oder unveränderte Stickoxidbelastungen in den Städten gemessen. Wie kann das sein?

Um die Luftverschmutzung ermitteln zu können, müssen auch klimatische, meteorologische oder topografische Daten berücksichtigt werden. Generell lässt sich aber sagen, wie auch Zahlen des Umweltbundesamtes für 2020 belegen, dass die Stickoxidbelastung im Vorjahresvergleich in allen deutschen Städten signifikant gesunken ist, sich also überall die Luftqualität verbessert hat.

Wie sieht’s diesbezüglich in den Großstädten der Metropolregion Nürnberg aus?

In Nürnberg war die Luft im ersten Quartal diesen Jahres so sauber wie seit langem nicht mehr. An allen fünf Messstationen in der Stadt ging die Stickoxidbelastung im Vorjahresvergleich teils deutlich zurück, selbst am Messpunkt der am meisten belasteten Ecke in Sündersbühl nahe dem Frankenschnellweg. Hier lag im ersten Quartal 2020 im Schnitt die Belastung bei 36 Mikrogramm pro Kubikmeter, 2019 waren’s noch 43. Der zulässige Grenzwert liegt bei 40.

Und in Erlangen oder Fürth?

Die offiziellen Daten, die zum Beispiel in Erlangen erhoben werden, haben mit der Realität in der Stadt nicht viel zu tun. Der Grund dafür ist eine vom zuständigen Landesamt für Umwelt gegen den Widerstand der Stadt veranlasste Verlegung der einzigen Messstation – weg von einer stark belasteten Stelle in der Innenstadt in eine waldreiche Siedlung. Insofern können die Nürnberger Werte am ehesten als Referenzwerte für die Nachbar-Großstädte dienen.

Insgesamt sanken die Stickoxid-Immissionen coronabedingt in Bayern um durchschnittlich 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an den Messstationen in Straßennähe. Was sollten Kommunen in unserer Region daraus lernen?


Petition gestartet: Das könnte sich auf Nürnbergs Straßen ändern


Um wirklich etwas für reinere Luft zu tun, müssen die Probleme flächig angegangen werden. Das heißt: Vor allem die großen Fahrzeuge, also Laster, Züge und Schiffe, müssen andere Antriebsformen erhalten – weg vom Diesel hin zur Elektro-Mobilität und besser noch: zur Wasserstofftechnologie. Die Städte müssen natürlich bei der Umrüstung ihrer Flotten weitermachen. Und an der Umrüstung, gerade von privaten SUVs, führt auch kein Weg vorbei, wenn wir sauberere Luft haben wollen – und der Bund wegen schlechter Luftwerte in unseren Großstädten keine hohen Millionen-Strafen an die EU bezahlen will. Die Klage gegen Deutschland wegen der nicht eingehaltenen Luft-Grenzwerte in manchen Städten läuft ja noch. Ende des Jahres könnte die Entscheidung fallen.

Welche Städte in Bayern profitieren von den "Saubere Luft"-Bundesmitteln in Höhe von zwei Milliarden Euro?

Bedacht wurden neben Würzburg und Regensburg, die die Grenzwerte mittlerweile einhalten, Augsburg, Nürnberg und als "Negativspitzenreiter" München. Gefördert werden Busbeschleunigungsmaßnahmen oder Parkleitsysteme. Nürnberg nutzt das Programm zum Beispiel für den Ausbau digitaler Anzeigetafeln, um mehr Menschen zum Umsteigen auf den ÖPNV zu bewegen. Entstehen soll auch eine mobilitätsübergreifende Plattform – nach dem Motto: der ganze Nahverkehr in der Hosentasche.

Apropos ÖPNV. Was bedeutet die Coronakrise für die Verkehrswende?

Ich befürchte, dass in den nächsten Monaten der motorisierte Individualverkehr auch in der Region eine Renaissance zu Lasten des ÖPNV erleben wird. Die Menschen werden – zumindest bis auf Weiteres – vermutlich aus Sicherheitsgründen Bus und Bahn eher meiden.

Verwandte Themen


16 Kommentare