Falsche Atteste ausgestellt? Staatsanwaltschaft durchsucht Arztpraxis bei Erlangen

24.2.2021, 15:53 Uhr

Man kennt die Bilder aus dem Fernsehen. Aufgebrachte Menschen, die gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestieren. Einige ohne Maske. Und wenn dann die Polizei kommt, halten manche Demonstranten ihr einen Zettel entgegen – ein Attest für eine Befreiung von der Maskenpflicht.

"Bei der Ausstellung ärztlicher Atteste müssen Ärztinnen und Ärzte gemäß § 25 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns mit der notwendigen Sorgfalt verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung aussprechen", sagte Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), im Vorfeld des 79. Bayerischen Ärztetages im Oktober. Ein Attest könne nur aus der unmittelbaren Kenntnis der gesundheitlichen Situation des Patienten erstellt werden.

"Mit allen Konsequenzen"

Deshalb seien eine gründliche Anamnese und eine körperliche Untersuchung entsprechend den medizinisch-fachlichen Standards notwendig. "Wer ohne die notwendige Sorgfalt oder gar nur aus Gefälligkeit ein Attest ausstellt, verstößt nicht nur gegen die Berufsordnung, sondern macht sich unter Umständen auch strafbar – mit allen Konsequenzen", erklärte Quitterer.


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Die Pressestelle der Bayerischen Ärztekammer teilt dazu mit: Für die Berufsaufsicht seien in Bayern die acht Ärztlichen Bezirksverbände (ÄBV) zuständig. Ein festgestellter Verstoß könne mit einer Rüge, einer Geldstrafe oder der Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens sanktioniert werden.

ÄBV Mittelfranken erstattet Anzeige

Der ÄBV Mittelfranken ist diesbezüglich gegen einen niedergelassenen Arzt aus dem Landkreis Erlangen-Höchstadt tätig geworden, wie die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auf Anfrage dieser Zeitung bestätigt. "Der ÄBV Mittelfranken hat Anzeige erstattet, uns sind aber auch bei Demonstrationen schon mehrfach durch diesen Arzt ausgestellte Atteste aufgefallen", sagt Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke, "wir ermitteln wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse in mehreren Fällen."

In dieser Woche wurden die Praxis sowie die Privatwohnung des Arztes durchsucht. Es ist nicht der erste Mediziner, der wegen dieses Verdachts ins Visier der Staatsanwalt geraten ist. "Wir haben diesbezüglich einige laufende Verfahren, abgeschlossen ist noch keines", sagt Gabriels-Gorsolke.


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Wie leicht es bei dem Hausarzt aus dem Landkreis Erlangen-Höchstadt ist, an ein Attest zu kommen, hat der Verfasser dieser Zeilen in einer investigativen Recherche erlebt. Nach Hinweisen von Bürgern ließ man sich im Dezember in besagter Praxis einen Termin geben – mit dem Ziel, aus nichtigen Gründen von der Maskenpflicht befreit zu werden.

Der Praxisbesuch

Bereits am Telefon werde ich von der Sprechstundenhilfe darauf hingewiesen, dass mich die Ausstellung des Attestes 30 Euro kosten wird. Die Untersuchung werde eine ärztliche Kollegin des Praxisinhabers vornehmen.

Um sich über die Haltung dieser Ärztin zu informieren, genügt es, ihren Namen zu googeln: Wie der Name des Praxisinhabers ist auch ihrer unter einem offenen Brief der Bewegung "Ärzte stehen auf" an die Bundesregierung gelistet, neben etwa 300 weiteren Medizinern. In dem Schreiben aus dem November fordert die Bewegung die "sofortige Aufhebung aller Corona-Maßnahmen". Nach der "anfänglichen verständlichen Sorge" und den "folgeschweren Maßnahmen" sei bislang das Wichtigste auf der Strecke geblieben, nämlich "wissenschaftlicher Diskurs und offene Debatten, Rückschau halten, Fehler suchen – entdecken – zugeben und korrigieren."

Beim Praxisbesuch wird ab dem ersten Moment klar, welche Meinung die Ärztin vertritt. Statt einer Maske trägt sie ein Faceshield. Sie legt es vor sich auf den Schreibtisch und sagt mir, dass ich "dieses Ding" ruhig abnehmen könne, gemeint ist meine Maske. Ich schildere ihr, warum ich ein Attest möchte: Mein Bart juckt unter der Mund-Nase-Bedeckung, was tatsächlich der Wahrheit entspricht. Ich sage ihr, dass ich mich aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen schon genug einschränken müsse und daher kein Verständnis hätte, mir wegen des Juckreizes auch noch meinen Bart abzurasieren.

Die Ärztin versteht mich. Sie hält nichts von den Schutzmaßnahmen, Masken seien sowieso nicht geeignet, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Ob ich gesundheitliche Probleme durch die Maske habe? Ich verneine. Keine Panik, keine Atemnot, kein Schwindelgefühl, nur Juckreiz. Meine Symptomatik deute auf einen Hautpilz hin, der sich verschlimmern könnte, falls ich weiterhin eine Maske trage, meint die Ärztin. Das genügt ihr für die Diagnose, die in lateinischen Begriffen auf meinem Attest festgehalten wird. Sie bringt die Bescheinigung zum Praxisinhaber, der sie unterschreibt – ohne mich, den Patienten, jemals gesehen zu haben. Das Attest kostet mich 29,49 Euro, die ich in bar bezahle. Mit 13,41 Euro wird eine "vollständige körperliche Untersuchung mit mindestens 1 Organsystem" berechnet. Doch diese Untersuchung gab es nie. Der Praxisbesuch beschränkte sich ausschließlich auf das geschilderte Gespräch mit der Ärztin.

Konfrontiert mit den Erlebnissen bei dem Besuch in seiner Praxis, möchte der Mediziner am Telefon keine Auskunft geben. Stattdessen bietet er ein persönliches Gespräch an, in seiner Praxis, nach seinem Weihnachtsurlaub bis Anfang Januar.

Zu dem vereinbarten Termin kommt es nicht mehr. Stattdessen wendet sich der Arzt an Anwalt Edgar Weiler. Der Jurist erlangte Bekanntheit, weil er vor acht Jahren den Holocaustleugner Richard Williamson vor Gericht vertrat. Weiler schickt ein Schreiben, in dem er das Gespräch mit dem Arzt absagt. Er erteilt Hausverbot und möchte die Gründe für den Praxisbesuch wissen. Ich schicke ihm einen Fragenkatalog, den er nach Rücksprache mit seinem Mandanten beantworten soll. Weiler antwortet schriftlich am 18. Januar: "Die hier vorgelegten Fragen reiche ich zunächst an meinen Mandanten weiter. Nach Besprechung komme ich auf den Vorgang unaufgefordert zurück." Das ist bis heute nicht geschehen. Zwei gesetzte Fristen für die Beantwortung der Fragen ließen Weiler und sein Mandant verstreichen.

Aus welchen Gründen der ÄBV Mittelfranken Anzeige gegen den im Landkreis Erlangen-Höchstadt niedergelassene Arzt erstattet hat, ist dieser Zeitung noch nicht bekannt. Aus der Geschäftsstelle des ÄBV heißt es, Presseauskünfte erteile lediglich die Vorstandsvorsitzende. Die sei erst nächsten Dienstag wieder zu erreichen.

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