Düfte werden zur Tortur: Frau berichtet von seltener Krankheit

13.5.2020, 16:58 Uhr
Düfte werden zur Tortur: Frau berichtet von seltener Krankheit

© Foto: Petra Malbrich

  "Mit einer Bekannten haben ich darüber gesprochen. Sie hatte ähnliche Beschwerden und diese kamen von den Duftstoffen und Chemikalien" , erzählt Engel. Auf Menschen mit diesen Problemen aufgrund Duftstoffen und Chemikalien soll der 12. Mai aufmerksam machen. Das ist der internationale Tag der Multiplen Chemikalienunverträglichkeit, kurz MCS.

Dieser Tag wurde 1992 von dem US-amerikanischen Mediziner Tom Hennessy ins Leben gerufen. Damit soll die Öffentlichkeit auf die Belange der Menschen aufmerksam gemacht werden, die ein Chronisches Erschöpfungssyndrom, Fibromyalgie haben oder eben an der Multiplen Chemikalien Sensitivität leiden. Von da an richtete Andrea Engel ihr Augenmerk auf diese Stoffe. An ihrem Arbeitsplatz, im Hallenbad, traten die gesundheitlichen Probleme nur auf, nachdem die Schülerinnen nach dem Schwimmunterricht in den Umkleiden ihre Deos sprühten. Damit war das Rätsel gelöst. Ihre Probleme lösten manche Deos, Rasierwasser oder Parfüms aus. Inzwischen kann sie nicht einmal mehr durch die Gänge mit den Hygieneartikeln im Supermarkt laufen. Engel bekommt dann keine Luft mehr. 

Husten bis zum Erbrechen

Ihrem Sohn Florian geht es nicht anders. "Schon als Schüler habe ich Beschwerden entwickelt, wenn Mitschüler Deos verwendeten oder Rasierwasser aufgetragen hatten", erklärt er. Starke Übelkeit und schwere Atemnot mit den typischen pfeifenden Lungengeräuschen waren die Folge. Der festsitzende Schleim kann nur mit Mühe abgehustet werden. Manchmal heißt das Husten bis zum Erbrechen. Ein normales Leben wie es andere junge Erwachsene führen, kennt Florian nicht. Konzerte kann er nicht besuchen, Kinofilme kann er nur auf DVD schauen. "Räume, in denen sich viele Menschen aufhalten, kann ich nicht betreten", sagt er.

Die Ausgangsbeschränkungen, die nun alle wegen Corona erdulden, wird den MCS Kranken das ganze Jahr über aufgebürdet. Das macht die Vielfalt der Chemikalien, die zu gesundheitlichen Beschwerden führen, deutlich. Viele ganz normale Freizeitbeschäftigungen sind nicht mehr möglich. Kein Besuch im Fitness Center, kein Essen im Restaurant, selbst Familienfeiern werden problematisch. Neue Möbel? Ohne Schaumstoffe geht es nicht und selbst Matratzen sind mit Flammschutzmitteln besprüht.

Urlaub? Wo? Überall lauern versteckte Chemikalien, Allergene und Duftstoffe. Nur wenige Wohnungen sind für MCS-Kranke konzipiert. Und selbst das Einkaufen wird zur Tortur, denn nicht selten sind auch diese Räume beduftet. Betroffene bleiben gerne zu Hause, um wenig Beschwerden zu haben. "Im Haus habe ich keine Probleme. Wir haben ein Niedrigenergiehaus und mit Naturstoffen gebaut", sagt Engel. Im Gegenteil: Corona tut den Kranken gut, da kaum Menschenkontakt erlaubt ist. "Im Moment verbessern sich meine Symptome", sagt Engel. Nicht nur wegen der Asthmasprays, die ihr vom Lungenfacharzt verschrieben wurde, sondern weil diese Menschenansammlungen wegfallen. Ebenso Treffen in geschlossenen Räumen. Gerade dort halten sich die Duftstoffe und Chemikalien.

Gesichtlose Gefahr

Oft sind die problemauslösenden Stoffe nicht riechbar. Es sind eben nicht nur die Duftstoffe, die dieses Krankheitsbild verursachen und auslösen. "Strohhalme beispielsweise bereiten mir genauso Probleme", sagt Engel. Das liegt an den chemischen Stoffen, die in dem Plastik enthalten sind. Und bei der Gräfenbergerin Elke Then, die in einer Pflegeeinrichtung arbeitet, sind es die Putzmittel, die Atemnot verursachen. Selbst beduftete Tüten für den Mülleimer gibt es zu kaufen.

Zu Hause von Betroffenen gibt es keine herkömmlichen Putzmittel mehr. Doch auch in natürlichen Mitteln können ätherische Öle reizend sein. Es hilft nur Probieren.

Wichtige Fragen und Antworten zur Krankheit: 

Was ist MCS?

MCS zählt laut der Weltgesundheitsorganisation als Allergie zur Gruppe der chronischen Multisystem-Erkrankungen und äußert sich in starker Unverträglichkeit von vielfältigen flüchtigen Chemikalien. Es handelt sich um eine multiple chemische Empfindlichkeit, die durch vielfache Symptome im Organsystem gekennzeichnet ist. Betroffen ist das neurologische System, sowie das Atmungs-, Haut-, Immun- und Muskelsystem. Bei erneutem Kontakt mit chemischen Substanzen wird dann eine Reaktion ausgelöst, die zu einem chronischen Verlauf der Krankheit führt.

Was passiert im Körper?

Anders als bei gesunden Menschen liegt bei den von MCS betroffenen Menschen die Toleranzschwelle gegenüber symptomauslösenden Stoffen deutlich niedriger und so können Chemikalien in Abgasen, Duftstoffen, Zigarettenrauch und mehr zu schweren Reizungen oder einer toxischen Wirkung führen.

Auf welche Stoffe reagieren Betroffene?

Schädlings-, Bekämpfungsmittel, Duftstoffe, Raumsprays, Hygieneartikel und Putzmittel, Nahrungsmittelzusätze, Baumaterialien, Farben, Teppiche, Holzschutzmittel, neue Kleidung, denn diese kann Formaldehyd enthalten, Laserdrucker und selbst Latexmatratzen aus 100 Prozent Naturkautschuk.

Warum ist die gelbe Schleife das Symbol der MCS Kranken?

Die Farbe Gelb erinnert an die Kanarienvögel, die früher von Minenarbeitern als Warnsignal gegen Sauerstoffmangel mit in die Schächte genommen wurden. War zu wenig Sauerstoff in der Luft, fiel der Vogel von der Stange. Das war das Signal für die Bergleute, den Mienenschacht zu verlassen. Es gibt auch Schleifen mit Grün.

Wodurch erkrankt man?

Durch Allergene, vor allem Schimmelpilze, durch Fein- und Schwebstäube, durch mikrobielle Erreger, durch Gase wie Formaldehyde, durch Dämpfe, durch Geruchstoffe und durch Aerosole. Damit sind flüssige oder feste Schwebeteilchen gemeint. Luftbefeuchter sind das zu Hause von Keime und Allergenen. Die Diagnose stellt ein Umweltmediziner.

Gibt es Hilfe?

Chemikalien, die negative Reaktionen auslösen, sollten gemieden werden. Zudem sollten Reizstoffe wenn möglich beseitigt werden. Luftreiniger können hilfreich sein. Gesichtsschutzmaske mit Aktiv-Kohle-Filter. Eine andere hält die Stoffe nicht ab. Der Filter muss aber regelmäßig gewechselt werden. Auf Facebook gibt es einige Gruppen, um sich mit Betroffenen austauschen zu können und um von deren Erfahrungen zu lernen.

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