Waldkindergarten: Das sind Gräfenbergs "Wolperkinder"

8.11.2019, 06:00 Uhr
Waldkindergarten: Das sind Gräfenbergs

© Petra Malbrich

Es ist still in diesem Teil des Waldes, obwohl dort gut zehn Kinder beim Spielen sind. Ab und zu knackt ein Ast, wenn die Kinder beim Transportieren ihrer mit Wasser und Matsch gefüllten Kochtöpfe zum großen Baumstamm balancieren. Damit sind alleine in der unscheinbaren Spielsituation schon fast alle Vorteile des Waldkindergartens angesprochen.

„Die Motorik wird gefördert. Hier auf dem Boden müssen sie sich ausbalancieren. Es ist alles da, was im Regelkindergarten künstlich geschaffen werden muss. Außerdem bedeutet den ganzen Tag draußen zu sein viel Zeit zum freien Spiel und regt die Kreativität an. Die Kinder müssen zudem mehr interagieren“, sagt Lisa Sandner, Vorsitzende des Elternvereins Waldkindergarten in Gräfenberg. Sandner ist die Leiterin des Waldkindergartens Waldstrolche in Forchheim und überzeugt vom Konzept eines Waldkindergartens. Auch ihr Sohn Levi sollte einen solchen in seiner Heimat Gräfenberg besuchen, weshalb sie mit einigen anderen Familien die Wolperkinder in Gräfenberg ins Leben gerufen hat.

Echte Wolperkinder in freier Wildbahn.

Echte Wolperkinder in freier Wildbahn. © Petra Malbrich

Der Stadt kam das damals entgegen, wird doch die Betreuungssituation mit diesem Angebot erweitert und zugleich entlastet. Gräfenberg übernimmt fünfzig Prozent der Anschaffungskosten. Nur ein geeignetes Grundstück war zunächst nicht vorhanden. Der Bolzplatz war ein Vorschlag der Stadt. Doch eine Wiese ist kein Wald und so kam Sandner mit der Besitzerin des angrenzenden Waldstücks ins Gespräch und schließlich zu einem Pachtvertrag.

Rote Bänder sind um einige Stämme des Waldkindergartens gebunden, zeigen die erlaubten Grenzen an. Mehr nicht. Keine Wand, kein Zaun. „Sie übertreten die Grenze nicht“, bekräftigt Sandra Brendel-Balewski, die Leiterin des Gräfenberger Waldkindergartens. Bei jedem Morgenkreis werden die wichtigsten Regeln wiederholt. „Man darf die Grenze nicht allein überschreiten. Die Erzieherinnen müssen gesehen und gehört werden und die Stöcke dürfen nur bis zum Bauchnabel gehen“, fasst Brendel-Balewski die Regeln zusammen.

Überhaupt werden wenig Regeln benötigt. Ständiges Ermahnen wie in einem Regelkindergarten entfällt. Es gibt kein „seid nicht so laut“ oder „lauft nicht so schnell“. „Es ist erholsam. Hier können die Kinder schreien, dann geht man zwei Meter weg und hört nichts mehr“, sagt Sandner.

Die Kinder sind so in ihre eigen ausgedachten Spiele vertieft, dass sie überhaupt erst nicht schreien müssen. Auch Spielraum müssen sie sich nicht erobern. Der Wald bietet Platz für alle. Zugleich lernen sie die natürlichen Zusammenhänge kennen und lernen an den natürlichen Zusammenhängen. Bildung ganz nebenbei in freier Natur.

Kigaleiterin Brendel-Balewski hat dieser Tage schon manches Mal versucht, die Kinder davon zu überzeugen, dass es Winter ist. Keine Chance. „Die Blätter fallen noch herunter, also ist es Herbst“, lautet die selbstsichere Antwort der Wolperkinder. Da lassen sie sich nichts vormachen. Während die beiden Frauen von dem Konzept des Waldkindergartens erzählen, sind die Kinder beim Spiel in dem erlaubten Waldareal verteilt.

Kastanien in der Freiluftmalecke

Ein Mädchen sitzt auf einem Holzstamm und bastelt mit Kastanien. Auch Papier und Stifte liegen dort in der Freiluftmalecke. Die Kinder sind warm in ihre Anoraks und Matschhosen gepackt, die durch das Spiel einheitlich braun gefärbt sind. Das Spielen mit Erde und Wasser ist noch immer so faszinierend und anziehend wie früher. Doch anders als in normalen Kindergärten sind Kinder und Eltern auf das tägliche Spiel bei Wetter, Wind und Dreck vorbereitet.

Bianca Bibl, die Erzieherin des eingruppigen Kindergartens, hält ein Backblech in Herzform in der Hand, in dem von Kindern aufgeschüttete Kastanien den Stau auf der Autobahn darstellen. An einem Tisch im Wald sind zwei Mütter gerade damit beschäftigt, Stempel aus Kartoffeln für den Laternenzug herzustellen. Bei der Erziehung wird sich an christlichen Festen orientiert und die dahinterstehende Symbolik herausgearbeitet. Das ist beispielsweise das Teilen an Sankt Martin.

Waldkindergarten: Das sind Gräfenbergs

© Petra Malbrich

Drei Jungen füllen inzwischen ihre Töpfe wieder mit Matsch und Wasser und bringen den gefüllten Topf schnell auf den Baumstamm. Heute ist dieser ein Krokodil, unter dem ein Swimmingpool entsteht, vorgestern war es ein Traktor. „Das Lenkrad ist hier“, sagen sie und machen auf das imaginäre Teil aufmerksam. Es ist eine beständige Kommunikation, ein Miteinander. Die Kinder erklären die Dinge gegenseitig, die Fantasie wird angeregt, Pläne geschmiedet. Das ist die soziale und sprachliche Interaktion, die einfach und schnell entwickelt wird.

Die beiden Mütter, die Stempelmotive in die Kartoffeln schnitzen, werden überhaupt nicht beachtet. Auf dem Waldsofa liegen ein paar Kissen, auf dem Tisch steht Tee. „Der Platz wurde mit den Eltern vorbereitet“, erklärt Sandner. Auch das ein Unterschied zu anderen Kindergärten, finden sie, denn es gibt hier im Wald viel Unterstützung. Als eine Erzieherin erkrankt war, sprang eine Mutter ein. Während sich in vielen Bereichen das Leben von der Natur entfernt, wird hier gezielt in und mit der Natur gelebt, gespielt und gelernt. Werbung braucht der Gräfenberger Waldkindergarten nicht mehr. Innerhalb kürzester Zeit war er belegt mit Kindern aus Gräfenberg, Egloffstein, Thuisbrunn oder Schellenberg.

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