Zeichen gegen das Vergessen: Vier neue Stolpersteine verlegt

4.7.2019, 17:20 Uhr
Zeichen gegen das Vergessen: Vier neue Stolpersteine verlegt

© Foto: Birgit Herrnleben

Wenn Georg Schneider an den Morgen zurückdenkt, als ihn seine Mutter zum Brötchenholen in die Bäckerei Müller in die Nürnberger Straße geschickt hatte, dann hört sich das an, als wäre es gestern gewesen. 78 Jahre sind seitdem vergangen, als Schneider am gestrigen Donnerstag in der Gereonskapelle vom Brötchenholen erzählt. Vergessen hat er die Situation bis heute nie.

Schneider ist acht Jahre alt, wohnt mit den Eltern in der Nürnberger Straße, in der zweiten Etage des "Judenhauses", die Vermieter sind nette Leute. Immer am Monatsletzten zahlt der Bub die Miete in Reichsmark. Dort bekommt er, wie er erzählt, "die erste Pizza seines Lebens". Matze ist es, ungesäuertes Brot, um das er sich mit seinen Brüdern kabbeln muss. Doch irgendwas ist anders an jenem Abend, ohrenbetäubender Krach holt den Buben aus dem Bett, "die Fenster im Parterre wurde eingeworfen und die Türen eingeschlagen", das weiß er noch, als wäre es gestern gewesen.

Zeichen gegen das Vergessen: Vier neue Stolpersteine verlegt

© Foto: Birgit Herrnleben

Auch in der Bäckerei ist am nächsten Morgen der Krach vom Vorabend reges Gesprächsthema: "Was war denn da los?" wird gefragt. Die Antwort gibt "ein Mann in dunkler Uniform", den Schneider noch heute vor sich sieht: "Heute Nacht war ein schweres Gewitter, das die Luft gereinigt hat", sagte der Uniformierte.

"Was haben wir euch getan?"

Wenige Jahre später, am 27. November 1941, spürt Georg, "dass da irgendwas nicht stimmt". Laute Stimmen, Schreie sind zu hören. Vor dem Haus hält ein Lkw, Menschen werden aus dem Haus getrieben, sie schreien: "Was haben wir euch getan?" Das Vieh vom Metzger Hubert nebenan wurde besser behandelt, als die Menschen, sagt Schneider rückblickend. Die Worte seiner Mutter an diesem Tag hat er immer noch im Ohr, als sie sagt: "Dieses Verbrechen ist der Anfang vom Ende."

78 Jahre später steht der 86-jährige Schneider wieder vor dem Haus, hält Händchen mit seiner Ehefrau, als könne man die Situation zu zweit besser ertragen, als Künstler Gunter Demnig die goldenen Täfelchen mit den eingravierten Namen von Julius Moritz Prager und Sera Rosenbaum in den Gehsteig einlässt. "Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist", zitiert der Künstler den Talmud.

In das Leben hineingegraben

Gegen das Vergessen haben auch die Gymnasiasten der 10b des Herder-Gymnasiums eine zutiefst berührende, würdevolle Gedenkveranstaltung im Vorfeld der Stolperstein-Verlegung in St. Gereon gestaltet. "Dona nobis pacem" singen die Schüler und stimmen einen "Shalom Kanon" an. Sebastian Ritter entlockt dem Flügel mit Chopins Nocturne Gänsehautmomente. Zusammen mit ihrer Religionslehrerin haben sich die Zehntklässler mit dem Thema "Holocaust" im Unterricht beschäftigt.

Zeichen gegen das Vergessen: Vier neue Stolpersteine verlegt

© Foto: Birgit Herrnleben

Doch wie bringt man die düsterste deutsche Geschichte einem jungen Menschen nahe? "Man muss einen empathischen Zugang entwickeln", sagt Lehrerin Sonja Döbrich, muss dem Ganzen ein Gesicht geben. Also sind die Schüler auf Spurensuche gegangen, haben recherchiert und in Archiven Akten studiert und sich in die Biographien, in die Leben quasi "hineingegraben", um die Erinnerung zu bewahren. Julius Moritz Prager, der ein Schuhgeschäft am Paradeplatz besaß, bekommt durch die Vorträge der Schüler plötzlich ein Gesicht. Der Kriegsinvalide kämpfte im ersten Weltkrieg an der Westfront, verlor ein Bein, wurde mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet, wird zusammen mit seiner Schwester Sera deportiert. Das einzige Erinnerungsstück, das von ihm bleibt, ist ein Schuhlöffel, mit der Aufschrift Schuhhaus Prager.

Demütigend und perfekt organisiert

Und da sind auch Rosa Tiesler und Sofie Kotz, die aus Forchheim vertrieben werden. "Demütigend und perfekt organisiert" war die Deportation, die unter dem Titel "Evakuierung" lief, erzählen die Schülerinnen, die aus historischen Schriften zitieren: "Außer einigen Selbstmorden sind keine Störungen eingetreten." 1944 wird die 83-jährige Sofie Kotz als "die letzte noch lebende Jüdin Forchheims" nach Theresienstadt deportiert. Der Rektor der Volksschule, Georg Konrad, das haben die Schüler aus einer Akte im Coburger Staatsarchiv recherchiert, wird an diesem Tag zu seinen Schülern sagen: "Heute haben wir einen großen geschichtlichen Tag. Forchheim ist judenfrei. Geht heim und sagt das euren Eltern." Ein "Erinnerungszeichen gegen das Vergessen", sollen die Stolpersteine sein, betont auch Stadtdekan Martin Emge in seiner Ansprache. "Auch Jesus wurde zum Stein des Anstoßes", sagt Emge.

"Wenn wir die Opfer vergessen, sterben sie ein zweites Mal", sagt Ingrid Käfferlein, Direktorin des Herder-Gymnasiums, die stolz auf ihre Schülerinnen und Schüler ist, für die das "Stolpersteine-Projekt" nicht mit der Verlegung im Gehsteig beendet ist. "Sie werden die Reinigung und Pflege der Stolpersteine übernehmen", betont die Direktorin.

Draufschauen und kurz verneigen

Auch Forchheims Oberbürgermeister Uwe Kirschstein erinnert daran, dass es "Forchheimerinnen und Forchheimer waren, die aus unserer Mitte heraus gerissen wurden".

Emmerich Huber, Vorstand vom Bündnis "Bunt statt Braun", das die Verlegung zusammen mit "BügEx" sowie den Evangelischen und Katholischen Gemeinden in Zusammenarbeit mit der Stadt Forchheim organisiert hat, fragte einst einen Sohn, dessen Vaters Name in einem Stolperstein eingraviert ist, wie es denn sei, wenn tagein tagaus Menschen über den Namen des Vaters laufen: "Draufschauen, an den Menschen denken und sich kurz verneigen."

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