Barocker Totenkult

22.8.2009, 00:00 Uhr
Barocker Totenkult

Als Glücksfall für die Forscher erwies sich die Tatsache, dass im Zuge der Schulhaus-Sanierung auch Versorgungsleitungen erneuert werden. Zum Verlegen musste zwischen dem Grundschulhaus und der Altstadtkirche St. Michael ein Graben ausgehoben worden. Ein Eingriff in den ältesten Fürther Friedhof, den die Denkmalschutzbehörde der Stadt nutzte, um den Archäologen eine Woche lang freie Hand zu geben.

Nachdem sich Mitglieder der Fürther Arbeitsgruppe Archäologie davon überzeugt hatten, dass das Terrain aufschlussreiche Funde verspricht, beauftragte die erst jüngst in ihrem Bestand gesicherte Außenstelle des Landesamts für Denkmalpflege auf der Nürnberger Burg zwei freiberufliche Archäologinnen mit der systematischen Untersuchung.

Dicht belegt

Anke Köber und Jana Baum aus Bamberg mussten nicht lange suchen, um fündig zu werden. Außerordentlich dicht liegen die historischen Grabstätten beieinander. Auch an Grabbeigaben ist nicht gespart worden. Am auffälligsten: die Totenkrönchen aus Silberdraht, in die Glas und Edelsteine hineingeflochten sind. Eine Fürther Besonderheit aus der Barockzeit. Totenkronen wurden vornehmlich verstorbenen unverheirateten Frauen aufs Haupt gesetzt. Zum Zeichen ihrer Keuschheit und Tugend, wie Anke Köber erläutert.

Aber auch verstorbene Kinder und Junggesellen bekamen in Fürth Totenkronen aufgesetzt. Bei früheren Bauarbeiten auf dem alten Kirchhof konnte bislang nur eine unvollständige Totenkrone geborgen werden. Sie ist in mühevoller Kleinarbeit ergänzt und restauriert worden. In der neuen historischen Ausstellung des Stadtmuseums Ludwig Erhard soll sie präsentiert werden.

Jetzt sind die Archäologinnen jedoch auf eine völlig erhaltene Totenkrone gestoßen. Ferner auf einen Fingerring und Spuren von Gürtelschnallen. «Es hat sich nicht um die Ärmsten gehandelt», schlussfolgert Köber. Erstaunlich sei diese Erkenntnis angesichts der doch beachtlichen Entfernung der Fundstelle von der Kirche. Denn gewöhnlich nehme mit der Entfernung vom Gotteshaus die gesellschaftliche Bedeutung der Bestatteten ab.

Besonders großzügig

Der Brauch, Verstorbene mit Totenkronen zu versehen, war an sich keine Fürther Spezialität. Auch im Fürther Landkreis wurde das praktiziert. Wie der Leiter der Arbeitsguppe Archäologie, Thomas Werner, erläutert, allerdings mit dem Unterschied, dass die Krone nur bis zur Beerdigung auf den Sarg gelegt wurde. So konnte sie bei späteren Bestattungen erneut verwendet werden. Nur die Fürther überließen diesen Schmuck großzügig ihren Angehörigen.

Nicht weit von der Fundstelle der Gebeine entfernt ist beim Ausschachten für die neuen Leitungen auch ein Mauerabschnitt freigelegt worden. Die massive Abstützung durch eine Steinrampe deutet darauf hin, dass es sich um eine Begrenzungsmauer zum steilen Hang des Pegnitztals handelt, vermutlich um die Friedhofsmauer. Allerdings hoffen Fürther Archäologen insgeheim immer noch, auf Reste der Fürther Urkirche zu stoßen, eine Heilig-Grab-Kapelle. Noch liegt die Materie im Bereich der Spekulation.

Als «erstaunlich gut» stufen die Bamberger Archäologinnen den Erhaltungszustand der Bestatteten bei. Zwei Frauenskelette konnten vollständig freigelegt werden. Ganz in der Nähe die Gebeine von Kindern, eines mit Totenkrönchen ausgestattet. Eine Frau hält ein Kind im Arm, der Kopf ruht auf ihrer Schulter. Dunkle Rechtecke im anstehenden Sand um die Gebeine zeigen den Archäologinnen, dass es sich um Sargbestattungen gehandelt hat. Um christliche obendrein, denn die Körper sind streng in Ost-West-Richtung beigesetzt, der imaginäre Blick nach Jerusalem im Osten gerichtet.

Die beiden freigelegten Skelette werden nebst den Grabbeigaben dem Landesamt für Denkmalpflege zur weiteren Erforschung überstellt. Einzelne beim Aufgraben zu Tage geförderte Knochen wurden sorgsam in Gebeinskisten gesammelt und werden nach Abschluss der Bauarbeiten an Ort und Stelle wieder beigesetzt.

Wenn das Kopfsteinpflaster des Kirchenplatzes wieder geschlossen ist, wird nichts mehr auf die Magie des Ortes hinweisen. Keinen Meter über den Knochen werden Schulkinder ausgelassen spielen und in regelmäßigen Abständen junge Graffler Trödel anbieten. Der alte Friedhof ist Geschichte. Die Stadtentwicklung hat ihn ebenso überholt wie den Nachfolger hinter der Auferstehungskirche, über den erst kürzlich wieder herausgeputzte Fürther beim Sommernachtsball hinweggetanzt sind.