Das mühsame Geschäft mit den Briefmarken

26.6.2008, 00:00 Uhr
Das mühsame Geschäft mit den Briefmarken

© Hans-Joachim Winckler

Betty Schicketanz fällt das Gehen schwer. Deshalb ist sie froh über jeden möglichst kurzen Weg. Zu Dorrs Postagentur hat es die 80-Jährige nicht weit: Einmal die Straße überqueren, dann ist sie schon drüben. Trotzdem sind es anstrengende Gehminuten. «Ich bin heilfroh, dass es die Post hier gibt», sagt Dorrs Kundin und wischt sich über die Stirn. Wie so oft ist sie gekommen, um eines der Päckchen abzugeben, die ihrem Sohn in Shanghai oder ihrem Enkel in der Schweiz eine Freude bereiten sollen. Gäbe es die kleine Agentur nicht, würde sich Betty Schicketanz wohl zwei Mal überlegen, ob sie manches Päckchen packt. Denn dann müsste sie mit dem Bus bis zur Hardhöhe fahren und sich dort auch noch in die Warteschlange am Schalter einreihen . . .

Christian Dorr ist gelernter Elektroinstallateur. Doch der 29- Jährige fand keinen Job, also übernahm er von seinen Eltern Martha und Hans Dorr den Familienbetrieb, eine Wäscherei, Änderungsschneiderei und Reinigungsannahmestelle mit Bügel- und Heißmangelservice. Seit 2005 gehört eine kleine Postagentur zum Geschäft, das sich im alten Ortskern von Oberfürberg befindet.

Für die Dorrs waren geschäftliche, aber auch soziale Gründe ausschlaggebend, sich nach der Schließung des Schreibwarenladens, der zuvor im Ort Briefmarken verkaufte, für den Postdienst zu entscheiden. Als Unternehmer hofften sie, mit neuen Postkunden auch neue Kunden für die Wäscherei zu gewinnen. Außerdem wollte Martha Dorr es nicht zulassen, dass «man die alten Leute hier im Ort im Stich lässt». Martha Dorr weiß, wovon sie spricht. Die 57-Jährige betreut ehrenamtlich Senioren in Oberfürberg und ist von Beruf Altenpflegerin, ein Job, den sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausübt.

Gesetzlicher Auftrag

«Die Bevölkerung nimmt den Service dankend an», berichtet Martha Dorr. «Viele Kunden sagen, dass sie ihre Briefmarken extra bei uns kaufen, um die Post zu erhalten.» Das sei schön, aber nicht ganz richtig gedacht. Schließlich habe die Post einen gesetzlichen Versorgungsauftrag in Orten mit mehr als 2000 Einwohnern wie Oberfürberg. Mit einem weiteren Missverständnis räumt Sohn Christian auf. «Wenn viele Postkunden zu uns kommen, dann heißt das nicht, dass wir das große Geld verdienen», sagt er. Die Post bezahle ihm einen Fixbetrag, an dem sich auch in der arbeitsintensiven Vorweihnachtszeit nichts ändere. Christian Dorr sieht es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. «Das Geld reicht halt für Ladenmiete und Strom», meint er. Und seine Mutter ergänzt: «Eine Postagentur kann man nur halten, wenn das eigentliche Geschäft läuft.» Es läuft, profitiere aber kaum von den Postkunden.

Die Postagentur befindet sich in einem Raum mit Pfaff-Nähmaschinen, vielen bunten Garnrollen, einer Umkleidekabine. Als Raumteiler fungieren Kleiderregale, in denen zur «Nähstube» hin Hosen und Sakkos hängen. Der Postbereich besteht aus einem Tresen, einigen Regalen und einer Waage. Hier können die Kunden zwar Briefmarken kaufen und Briefe, Päckchen oder Pakete aufgeben, aber keine Bankgeschäfte erledigen.

Einen Computer gibt es nicht, also auch keinen Anschluss ans Datennetz der Post. Den zwölfstelligen Code einer Retourensendung, die eine Kundin soeben abgegeben hat, muss Christian Dorr handschriftlich in ein Formular eintragen. Mit all den Abrechnungslisten für Wertmarken, Markensets und Pakete schickt er dieses dann nach Nürnberg, wo jemand anders den Code in den Computer eintippt. Die Registrierkasse musste Christian Dorr aus eigener Tasche bezahlen. «Die hat mich einen Monatslohn der Post gekostet», sagt er.